Analyse: Hat die britische Autoindustrie eine Zukunft?

Die britische Automobilindustrie kämpft nach dem  Brexit und der Covid-Pandemie um ihre Zukunft. Wenige Tage vor der Parlamentswahl am 4. Juli droht jetzt Stellantis gar mit dem Abzug seiner Fertigung, weil die Regierung kaum zu erreichende Mindestverkaufs-Quoten für Elektroautos festgelegt hat.

Im Mai sackte die Pkw-Produktion in Großbritannien um 11,9 Prozent ab auf knapp 70.000 Einheiten. Zwar kletterte die Fertigung im vergangenen Jahr insgesamt wieder um 17 Prozent auf 905.000 Fahrzeuge, doch damit lag dieses Niveau immer noch deutlich unter dem Vor-Covid-Level von 1,3 Millionen aus dem Jahr 2019.

2022 war die Produktion auf 775.000 Einheiten eingebrochen, ein Tiefstand, der zuletzt im Jahr 1956 erreicht worden war. Zum Vergleich: Die Autobauer in Deutschland ließen 2023 gut 4,1 Millionen Pkw vom Band laufen.

Stellantis-Landeschefin Maria Grazia Davino hatte bei einer Tagung rundweg mit einer Abwanderung der Fertigung aus dem Land gedroht. Stellantis erwäge ein Ende der Produktion in dem Land, wenn die nächste Regierung nicht mehr tun würde für die Entwicklung der Elektromobilität, sagte sie.

"Wenn dieser Markt für uns feindlich wird, werden wir prüfen, ob wir woanders produzieren können", sagte Davino. "Die Produktion von Stellantis im Vereinigten Königreich könnte eingestellt werden." Ihre Drohung, die etwas verklausulierter zuvor auch schon Stellantis-Chef Carlos Tavares geäußert hatte, lösten in der britischen Medienlandschaft eine neue Debatte um den Industriestandort Great Britain aus.

Die Hersteller fordern erheblich mehr Fördermittel für E-Autos und ein deutlich höheres Tempo beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Sonst würden die Verbraucher dem E-Auto die kalte Schulter zeigen, befürchten sie.

Tatsächlich kletterte der Anteil der E-Autos bei den Neuzulassungen im Mai nur um minimale 0,3 Prozent auf 15,7 Prozent. Allerdings ist der Anteil damit höher als in Deutschland, wo er bei rund 12 Prozent liegt.

Die Regierung verlangt aber seit Januar von jedem Hersteller einen Mindestanteil von 22 Prozent Elektro-Neuzulassungen. Wird diese Schwelle unterschritten, drohen massive Strafzahlungen.

Keine ermutigende Botschaft für das Land war auch die jüngste Entscheidung von Tata Motors, ein neues Werk zum Bau von Jaguar Land Rover-Modellen im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu zu errichten und dafür eine Milliarde Dollar zu investieren.

Der Großeil der dort gebauten Autos dürfte in den Export gehen, denn für eine inländische Fertigung wäre ein eigenes Werk völlig überdimensioniert: Im gesamten Jahr 2023 verkaufte JLR in Indien nur 4436 Fahrzeuge.

Zwar hat Tata diesen Schritt noch nicht offiziell bestätigt, aber bereits erklärt, dass in Tamil Nadu ein neues Werk errichtet werde.

Für große Erleichterung sorgte dagegen im vergangenen September die Entscheidung von BMW, mehr als 600 Millionen Pfund (700 Millionen Euro) in den Umbau der beiden Mini-Werke in Oxford und Swindon zu investieren.

Ab 2026 werden nun im Werk Oxford zwei neue rein elektrische Modelle gebaut, der Mini Cooper Dreitürer und der Mini Aceman. Ab 2030 soll Oxford dann rein elektrische Modelle produzieren. Die britische Regierung fördert die Investition mit einer mehrstelligen Millionensumme. In Oxford beschäftigt BMW rund 4000 Mitarbeiter, das Werk besteht seit 111 Jahren.

Auch wegen dieser Entscheidung von BMW bleibt der Herstellerverband SMMT optimistisch. "Wir sind zurück im Spiel", sagte Verbandschef Mike Hawes im Januar.

Seine Zuversicht zog Hawes aus den Zusagen der in Großbritannien produzierenden Hersteller, neben BMW sind dies vor allem Nissan, Stellantis, Jaguar Land Rover, und Toyota. Zusammengerechnet belaufen sich deren im Jahr 2023 angekündigten Investitionsvorhaben bis 2030 auf 24 Milliarden britische Pfund (gut 28 Milliarden Euro), so der Verband.

"Es gab so viele Jahre, in denen das Vereinigte Königreich mit den Brexit-Verhandlungen nahezu uninteressant war. Politische Instabilität, wirtschaftliche Unsicherheit - es war schwer, Investitionen anzuziehen", räumte Hawes ein. Und er meinte damals: "Das hat sich jetzt erledigt."

Womöglich freute sich die Branche allerdings zu früh, wie die Drohungen von Stellantis und die Investitionsentscheidungen von Tata zeigen.

Zudem ist ein großes Problem für die Hersteller im Land nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Im Dezember lenkte die Europäische Union im Streit um die künftigen Zolltarife auf E-Autos ein, die in Großbritannien gefertigt und in der EU verkauft werden.

Dabei geht es um den Anteil außereuropäischer Komponenten an diesen E-Autos. Die EU gewährt prinzipiell nur dann Zollfreiheit, wenn mindestens 60 Prozent des Wertes einer Fahrbatterie und 45 Prozent des Gesamtfahrzeugwertes innerhalb der EU oder auch in Großbritannien selbst produziert werden ("rules of origin").

Bei E-Autos ist diese Schwelle allerdings wegen der vielfach aus Asien stammenden Batteriezellen derzeit noch kaum möglich. Erst mit dem Bau neuer Gigafactories in Europa dürfte eine höhere Wertschöpfung innerhalb der EU möglich sein.

Die EU entschied nun im Dezember, die Zollfreiheit auf Fahrzeuge und Fahrzeugkomponenten aus Großbritannien bis Ende 2026 zu gewähren, selbst wenn die Batteriezellen noch nicht überwiegend aus Europa stammen.

Angesichts des schleppenden Ausbaus der Batterie-Werke in Europa könnte sich die Zoll-Frage allerdings Ende 2026 erneut stellen.

Wegen solcher Entwicklungen blieb der Jubel verhalten, als der britische Verband der Fahrzeughersteller und -händler (Society of Motor Manufacturers and Traders, SMMT) die jüngsten Mai-Verkaufszahlen verkündete.

Die Verkäufe legten zwar um 1,7 Prozent zu und die Branche feierte den besten Mai seit 2021 – doch von einem wirklichen Aufschwung ist der britische Automarkt noch weit entfernt. Er liegt immer noch 20 Prozent unter den Absatzzahlen des Jahres 2020.