Jetzt wird alles anders bei Mercedes

Jetzt gilt’s: Mercedes-Benz startet mit dem echten Agenturmodell in Deutschland. Deutschlandchef Jörg Heinermann sieht die Hersteller damit in der Vorreiterrolle im Automobilvertrieb. Bundesweit gelten künftig die gleichen Preise, egal ob der Kunden online oder offline kauft.

Mercedes verspricht seinen Partnern, dass das Geschäft deutlich planbarer wird. Sie sollen sich künftig stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, die Kunden beraten und die Marke vor Ort leben. In Deutschland haben bereits im Jahr 2021 alle 98 Mercedes-Benz Partner die Verträge für das neue Agenturmodell unterzeichnet.

Mit Deutschland hat Mercedes seinen „Vertrieb der Zukunft“, wie das Konzept intern genannt wird, bereits in acht Ländern umgesetzt.  Doch der deutsche Markt spielt eine entscheidende Rolle im Konzept.

Herr Heinermann, Mercedes-Benz startet in Deutschland Ende Mai mit dem Agentursystem. Inwiefern ist der Markt etwas Besonderes?

Jörg Heinermann: Deutschland ist nicht nur unser Heimatmarkt, es ist qua Volumen der wichtigste Markt in Europa und weltweit der drittgrößte. Von den drei großen Märkten ist es der erste, den wir auf das Agentursystem umstellen. Entsprechend ist die Bedeutung nicht zu unterschätzen.

Die Partner sagen, sie seien auf drei bis vier sehr schlechte Monate vorbereitet worden. Warum?

Es ist nicht gesagt, dass es so kommt. Aber natürlich hat jedes Autohaus seine eigenen Prozesse, jeder Mitarbeiter seine eigenen Gewohnheiten. Jetzt legen wir stattdessen einen standardisierten Prozessablauf über alle Betriebe. Die Mitarbeiter müssen sich entsprechend umstellen. Das muss sich alles erst einspielen und vielleicht dauert das auch wirklich ein paar Monate, so ehrlich muss man schon sein. Es wird aber nicht schwieriger, sondern anders. Sollte es wirklich Anlaufschwierigkeiten geben, wird sich das auch schnell wieder legen.

Was macht sie da so sicher?

Das zeigen unsere Erfahrungen in allen anderen Märkten, in denen wir bereits ins echte Agenturmodell gegangen sind. Ich bin mir sicher, dass die Vertriebspartner mittelfristig davon profitieren. Mit dem Agentenmodell zeigen wir ja auch, dass der physischer Kundenkontakt über unsere Agenten nach wie vor fest zu unserem Markenkern gehört.

In den vergangenen Monaten haben Sie Vorführwagen in den Markt gedrückt. Warum war dies notwendig?

Davon, dass wir Vorführwagen in den Markt drücken, kann nicht die Rede sein. Aber das echte Agenturmodell bringt es mit sich, dass wir die Flotten aufbauen, die künftig bei den Partnern stehen. Denn künftig sind wir für die Vorführwagen verantwortlich. Sie stehen nicht mehr in den Bilanzen der Partner. Zudem lösen sich die Lieferengpässe zunehmend auf. Wir haben noch Fahrzeuge geliefert, die wir bislang nicht liefern konnten. Im Zuge dessen haben wir punktuell auch versucht, den Bedarf des Handels nach Vorführwagen zu decken. Aber da haben wir nichts speziell gepusht.

Rund 92.000 Pkw-Neuzulassungen nach vier Monaten bedeutet ein Plus von 25 Prozent. Wo stehen Sie am Jahresende?

Mit dem Verlauf sind wir natürlich sehr zufrieden. Ich sehe uns auch weiterhin auf einem guten Weg.

Warum starten Sie mit der echten Agentur light?

Das ist nicht light, sondern eine komplette Umstellung. Der Verbleib einiger dispositiver Tätigkeiten im Handel ist nicht darin begründet, dass sich an der Einführung des echten Agenturmodells etwas geändert habe, sondern liegt daran, dass wir die Umstellung verschiedener Wholesale- und Werksplanungs-Systeme, die unabhängig zur Einführung der echten Agentur ohnehin in den kommenden Jahren geplant sind, nicht zeitgleich mit der Einführung des echten Agenturmodells durchführen. Die IT-Umstellung auf Wohlesale-Ebene haben wir bewusst zeitlich entkoppelt, um die Komplexität zu reduzieren und beide Schritte sauber durchzuführen. Alle Anforderungen eines echten Agenturmodells sind mit dem 31. Mai aber erfüllt.

Verschiedene Aufgaben wie beispielsweise Dispo bleiben aber erstmal beim Partner. Sie zahlen dafür einen Ausgleich. Warum ist dies notwendig?

Es gibt einen Überlappungszeitraum zwischen den beiden Systemen. Wir brauchen die bestehende Systemlandschaft, um die Auslieferungen der noch im alten System abgeschlossenen Verträge durchzuführen. Auch mit der Einführung der echten Agentur bleiben noch dispositive Aufgaben beim Handel, dazu gehören beispielsweise die Geschäftsfelder rund um die Gebrauchten.

In der echten Agentur muss der Hersteller diverse Aufgaben übernehmen. Wie viele neue Stellen müssen Sie durch die Umstellung bei Mercedes Benz Vertrieb Deutschland einrichten?

Insgesamt bauen wir für den deutschen Markt einige neue Funktionen auf. Das sind aber nicht nur Tätigkeiten, die zuvor im Handel ausgeführt wurden. Hier stecken zum Teil ganz andere Arbeiten dahinter, zum Beispiel Programmierer für KI.

In Österreich haben die Händler darüber gestöhnt, dass Mercedes mit IT-Insellösungen startete. Dadurch mussten sie Eingaben mehrmals machen. Wie ist das in Deutschland?

Schweden und Österreich haben in ähnlichen Systemlandschaften gearbeitet, das war ganz bewusst eine Pilot-Architektur. Wir wollten prüfen, ob der Agenturbetrieb operativ funktioniert. Wir wollten wissen, ob es anwendbar ist und wo wir nachschärfen müssen. An bestimmten Stellen wurden die Daten nicht automatisch übertragen. Dies automatisieren wir nun zunehmend.

Und Deutschland?

Hier bleibt das wesentliche Front-End-IT-System bestehen, die Landschaft ist den Partnern bereits bekannt und sie wird lediglich um weitere Module, zum Beispiel für Probefahrten, ergänzt. Das Kernsystem im Retail bleibt also das gleiche. Aber es ist natürlich eine Tatsache, dass IT-Systeme immer weiterentwickelt werden, Updates gehören dazu. Deshalb werden wir vermutlich auch in Deutschland das System immer weiter optimieren.

Ein wesentlicher Aspekt für die Umstellung sind die erhofften Einsparungen. Wie hoch sollen diese ausfallen?

Der entscheidende Grund für unsere Umstellung ist der Kunde. Aber es stecken natürlich auch Chancen in den Zentralisierungsprozessen. Konkrete Zahlen möchte ich dazu nicht nennen.

In der Branche hört man, es seien etwa zehn Prozent. Ist dies auch ihre Größenordnung?

Diesen Wert kenne ich nicht. Aber es reicht natürlich nicht, sich die Provision anzuschauen. Für uns ist die Gesamtkostenstruktur entscheidend.

Die Händler erhalten eine Provision von 6,5 Prozent. Das ist deutlich weniger als die Marge zuvor. Wo sparen die Händler?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich diese Zahl nicht kommentiere. Alle Funktionen, die wir übernehmen, werden natürlich von uns getragen. Dazu gehören zum Beispiel die Vorführwagen, deren Finanzierung und Wertverluste. Zahlreiche Kosten mit Blick auf die IT werden ebenfalls von uns getragen und ein kleiner Teil sind auch Personalverlagerungen.

Österreichische Händler warteten mehr als ein Jahr nach der Einführung noch auf die versprochenen Einsparungen. Wann greifen diese in Deutschland?

Die Prozesse müssen sich stabilisieren. In Schweden sehen wir durchaus deutliche Effekte. Aber man kann nicht versprechen, dass solche Effekte schon nach sechs bis acht Monaten eintreten.

Das Interview führte Christoph Baeuchle.

Aus dem Datencenter:

Agenturmodell: Vertriebsumstellungen von Autoherstellern in Deutschland

Händlerumfrage zum Agenturmodell