Es war sein letzter Auftritt als VW-Markenchef: Zwei Tage vor seinem Abschied von der Spitze der Kernmarke trat Ralf Brandstätter am Dienstag in Wolfsburg noch einmal vor die Belegschaft und sprach in Halle 11 auf der Betriebsversammlung. "Ich gehe mit dem Gefühl, dass Volkswagen und unser Heimatstandort gut für die Herausforderungen der Zukunft aufgestellt sind", sagte Brandstätter, der als neuer Konzernvorstand für China nach Peking wechselt, in seiner Abschiedsrede. Die Automobilwoche veröffentlicht den Text seines Redemanuskripts im Wortlaut.
Essstäbchen zum Abschied
Der scheidende Markenchef Ralf Brandstätter, der künftig von Peking aus das China-Geschäft leiten soll, war der heimliche Star der Betriebsversammlung. Vom Betriebsrat gab es ein besonderes Abschiedsgeschenk: Selbstgemachte Essstäbchen mit eingravierter Widmung. Die Automobilwoche veröffentlicht seine Rede im Wortlaut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch von meiner Seite ein ganz herzliches Willkommen zu dieser Betriebsversammlung. Ich freue mich auch sehr, dass wir uns erstmals wieder seit langer Zeit in einer solchen großen Runde persönlich treffen können.
Ich bin sicher, wir sind uns einig: Die letzten zwei Jahre haben es ziemlich in sich gehabt. 2020 zunächst die Corona-Pandemie, die uns beruflich und privat viel Flexibilität abverlangt hat. Dann 2021 die Halbleiter-Krise. Autobauen mit stabilen Fahrweisen war kaum mehr möglich. Und schließlich der furchtbare Krieg in der Ukraine. Das Leid der Menschen vor Ort und die vielen Unsicherheiten für uns alle in Europa.
So schwierig die vergangenen Jahre aber auch gewesen sind: Volkswagen hält zusammen, wenn es darauf ankommt. Das ist es, was dieses Team ausmacht. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an euch alle, für euren Einsatz, eure Unterstützung und Loyalität zu Volkswagen. Das gibt es nur hier. Vielen Dank!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben in den zweieinhalb Jahren aber nicht nur gezeigt, dass wir Krise können. Wir haben vor allen Dingen auch gezeigt, dass wir alle an einem Strang ziehen – für die Zukunft von Volkswagen und Wolfsburg.
Wolfsburg hat eine glänzende Zukunftsperspektive. Nie konnte der Standort - konntet ihr - zuversichtlicher nach vorne schauen. Trotz Pandemie, Halbleiterkrise und Krieg haben wir die Transformation mit aller Kraft in Angriff genommen.
Und ja, das war nicht immer einfach. Wir mussten alle schwierigen Entscheidungen treffen. Auch Kompromisse machen. Gemeinsam haben wie am Ende ein großes Standortpaket auf den Weg gebracht, dass die Zukunft von Wolfsburg nachhaltig stärkt. An dieser Stelle auch dafür an großes Dankeschön an Daniela Cavallo, den ganzen Betriebsrat und natürlich an euch. Das war eine großartige Teamleistung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Strategie ACCELERATE greift. Wir treiben die Elektromobilität mit tollen Produkten voran. Auch bei der Digitalisierung werden wir Schritt für Schritt immer besser. Gleichzeitig ist Volkswagen heute resilienter und profitabler als noch vor zwei Jahren.
2020 haben wir mit einem Volumen von 5,3 Millionen Fahrzeugen ein operatives Ergebnis von 500 Millionen erreicht. Die Rendite: weniger als ein Prozent. Im vergangenen Jahr haben wir mit 4,9 Fahrzeugen bereits 2,5 Milliarden verdient. Eine Rendite von 3,3 Prozent. Eine gute Basis, auf der wir weiter aufbauen und die Transformation gestalten können.
Was bedeutet das für Wolfsburg? Das Werk wird elektrisch. Los geht's im nächsten Jahr mit dem ID.3. Zunächst in Teil-, 2024 dann in Vollfertigung. Das Auto ist ein großer Erfolg. Mit der Produktaufwertung 2023 werden wir aber nochmal richtig nachlegen. Das Außendesign wird nochmal ein ganzes Stück reifer - schärfer. Vor allem in der Frontpartie. Dafür gehen wir richtig ans Blech. Ein Auto, das Volkswagen ist.
Der neue Tiguan startet 2023. Ich kann euch heute schon versprechen: Der neue Tiguan wird der beste Tiguan aller Zeiten. Der meistverkaufte Kompakt SUV wird auch als Nachfolger Maßstäbe im Wettbewerb setzen. Sowohl bei Design, als auch Technik. Das gilt vor allem für den Innenraum! Ein hochmodernes Cockpit mit riesigen Displays und vielen hochwertigen Materialen. Der neue Tiguan wird auch in der neuesten Generation ein Aushängeschild für dieses Werk.
Das gilt auch für den neuen Tayron. Der Siebensitzer startet hier 2024. Das Auto wird als Nachfolger des Tiguan Allspace ein superattraktives Angebot für Familien werden, die viel Platz brauchen. Von außen mit einem ausdrucksstarken Design. Im Innenraum – wie der Tiguan – mit großen Displays und ganz viel Wertigkeit. Ein Auto, das richtig Spaß macht.
Herzstück von Wolfsburg ist und bleibt aber der Golf. Kein anderes Auto steht so für Volkswagen. Der Golf ist in seinem Segment weiter das Maß der Dinge. Auch hier werden wir 2024 nachlegen. Die Software ist schon jetzt gut. Stabilität und Funktionalität passen.
Den ganz großen Schritt in Richtung Zukunft macht Wolfsburg aber dann 2026 mit Trinity. Hier rollt dann das künftige Aushängeschild unserer E-Flotte vom Band. Das erste Fahrzeug auf der neuen Elektro-Plattform SSP – ausgestattet mit der modernsten Software des Konzerns. Damit gehen wir, wie beim MEB, in den Lead für mehr als 40 Millionen Konzernfahrzeuge! Oder um es anders zu sagen: Die Zukunft des Konzerns entsteht wieder einmal bei Volkswagen in Wolfsburg. Dafür richten wir auch die technische Entwicklung neu aus: 800 Millionen Euro investieren wir in den Neubau des Entwicklungszentrums – den Campus Sandkamp. Thomas Ulbrich und sein Team machen aus der weltweit größten Entwicklungseinheit einen der modernsten Entwicklungs-Hubs.
Gleiches gilt auch für die Produktion: Für rund zwei Milliarden Euro errichten wir in Warmenau ein neues Trinity Werk. Das neue Werk wird neue Maßstäbe setzen: weniger Varianten, weniger Bauteile, sowie neue Produktions- neue Logistikkonzepte. Wolfsburg wird zum Leuchtturm für modernste Produktionsmethoden im Konzern. Die ganze Industrie wird nach Wolfsburg schauen. Eine große Verpflichtung, aber auch einmalige Chance für Wolfsburg. Deshalb dürfen wir bei diesem Auto keine Kompromisse eingehen! Lassen Sie uns weiter konsequent an effizienten Logistik- und Produktionsprozessen arbeiten. Halten wir die Komplexität so gering wie möglich. Das ist wichtig! Wir müssen die Dinge von Anfang an richtig machen – konsequent!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben Volkswagen und diesen Standort in schwierigen Zeiten maximal in Richtung Zukunft beschleunigt. Darüber können wir uns einen Moment freuen.
Wir dürfen jetzt aber nicht nachlassen. Die Konkurrenz schläft nicht. Und die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen bleiben schwierig. Die Inflation steigt. Ebenso die Zinsen. Auch die Energie- und Rohstoffpreise. Eine Rezession ist nicht auszuschließen.
Auch wenn sich die Halbleiterversorgung im zweiten Halbjahr verbessert, müssen wir weiter mit aller Konsequenz an der Produktivität und der Wirtschaftlichkeit von Volkswagen arbeiten. Nur so bleiben wir auch bei schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen handlungsfähig. Ich bitte euch dabei um Unterstützung. Jeder kann hier einen Beitrag leisten.
Für mich geht es ab dem 1. August nach China. Ich gehe mit dem Gefühl, dass Volkswagen und unser Heimatstandort gut für die Herausforderungen der Zukunft aufgestellt sind. Für den Moment heißt es jetzt aber erst mal Abschied nehmen. Ich möchte mich an diese Stelle nochmals bei der ganzen Volkswagen Familie für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken.
Ich wünsche meinem Nachfolger Thomas Schäfer viel Erfolg. Bitte unterstützt ihn genauso wie mich. Alles Gute! Vielen Dank und bis bald.
Betriebsratschefin Daniela Cavallo hatte dann noch ein ganz besonderes Abschiedsgeschenk für Brandstätter dabei: Zwei Paar chinesischer Essstäbchen mit der Inschrift "Die VW-Belegschaft sagt Danke!" in Deutsch und Chinesisch. Azubis im Stammwerk hatten die Unikate selbst gestanzt, gefräst, gedreht, eloxiert und am Ende digital per Laser mit den Inschriften graviert.
Nach Brandstätter sprach dann auch dessen Nachfolger Thomas Schäfer, der am 1. Juli von der Skoda- an die VW-Markenspitze wechselt. "Mit Trinity erfindet sich Volkswagen neu – und setzt Maßstäbe beim Produkt und bei Produktion. Ein Booster für unsere Wettbewerbsfähigkeit!“, sagte er in seiner Rede. "Um wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir die Wirtschaftlichkeit weiter steigern. Das ist der beste Weg für Zukunfts- und damit Beschäftigungssicherung."
Mit Blick auf die Markengruppe Volumen, deren Leitung Schäfer ebenfalls übernimmt, ergänzte Schäfer dann: "In der Markengruppe Volumen steckt riesiges Potenzial, das wir jetzt zusammen heben. Wir schärfen die eigenständigen Markenprofile von Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge, Seat/Cupra und Skoda weiter und arbeiten partnerschaftlich zusammen - starke Marken, schlanker Maschinenraum."
Aus dem Datencenter: