Turbulente Woche für VW-Chef Diess

Das hatte sich Herbert Diess anders vorgestellt. Eigentlich wollte der VW-Chef diese Woche zur Roadshow in die USA fliegen, mit Investoren sprechen und das Werk in Chattanooga besuchen. Die Betriebsversammlung am Donnerstag wollte er dafür sausen lassen. Doch nach massiver Intervention der Betriebsratschefin Daniela Cavallo musste er einlenken: Die USA-Reise wird verschoben, Diess sollte stattdessen der Belegschaft Rede und Antwort.

Zumindest der Frageblock bleibt Diess nun aber doch erspart: Wegen der Corona-Regeln musste der Betriebsrat die Versammlung am Dienstag zusammenstreichen. Statt 60.000 dürfen nur 7000 in die Halle, die Fragerunde am Ende fällt aus.

Der Empfang, den die Mitarbeiter ihrem Chef bereiten werden, dürfte trotzdem frostig ausfallen. Die Stimmung in der Belegschaft ist am Boden. Weil Chips fehlen, ist die Produktion im Stammwerk in Wolfsburg seit Monaten gedrosselt. Regelmäßig werden Schichten gestrichen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Bis Ende September wurden in dem Werk erst 300.000 Autos gebaut. Im Gesamtjahr dürften es wohl noch weniger werden als im Corona-Jahr 2020. Und das war schon das schwächste seit 1958.

Die dramatische Lage macht auch den Zeitplan für die kommende Woche zur Makulatur: Die alljährliche Planungsrunde, die am 12. November über Werksbelegung und Investitionen beschließen sollte, wurde kurzfristig auf den 9. Dezember verschoben. Noch gebe es an zu vielen Stellen Klärungsbedarf, hieß es. Im Mittelpunkt steht vor allem Wolfsburg: Für das Leuchtturmmodell Trinity, das hier 2026 anlaufen soll, müssen nun die Investitionen festgezurrt werden.

"Es sieht so aus, als ob Diess die Unruhe in Wolfsburg etwas unterschätzt hat", sagt Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. "Der Machtkampf mit dem Betriebsrat nach der Zeit Osterloh muss wohl auch grundsätzlich noch einmal ausgefochten werden." In der Sache habe Diess aber völlig recht, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. "Elon Musk schenkt VW keine Zeit. Es geht um die Zukunft und nicht um Höflichkeiten."

Betriebsratschefin Cavallo will dort dann auch die Auslastung im Stammwerk zum Thema machen. Um sie zu heben, will sie schon deutlich früher als 2026 ein E-Modell nach Wolfsburg holen. Am liebsten 2024 den ID.5, der gerade in Zwickau anläuft. Denn während am Hauptsitz regelmäßig die Bänder stillstehen, läuft die E-Auto-Produktion in Sachsen ohne große Störungen. VW lenkt die raren Chips gezielt dorthin, wo sie am meisten Geld bringen. Und das sind vor allem die margenstarken Sportwagen von Porsche und E-Autos, die fürs CO2-Flottenziel gebraucht werden. Für die in Wolfsburg gebauten Verbrenner Golf und Tiguan bleiben da kaum Halbleiter übrig.

Sowohl Diess als auch Cavallo haben ihren Tonfall zuletzt deutlich verschärft. Cavallo greift zu ungewohnt drastischen Worten: "Von der Führung eines Weltkonzerns darf man schon erwarten, in der Lage zu sein, den Einkauf so zu organisieren, dass verlässlich Autos gebaut werden." Und sie wirft dem Vorstand vor, keinen Plan zu haben, "wie diese Krise gemanagt werden kann".

Dabei hatte es nach dem Wechsel ihres Vorgängers Bernd Osterloh in den Traton-Vorstand so ausgesehen, als wäre der öffentliche Schlagabtausch vorbei. Jetzt ändert die Nachfolgerin die Tonlage. Manche vermuten dahinter Wahlkampf: Im Frühjahr muss Cavallo ihre erste Betriebsratswahl als Spitzenfrau überstehen, und von Osterloh sind die Mitarbeiter klare Kante gewohnt.

Der Ärger mit dem Betriebsrat kommt für Diess zur Unzeit. Denn das Programm, das er Wolfsburg für Trinity abverlangt, ist ehrgeizig genug. "Trinity wird VW und vor allem Wolfsburg revolutionieren", hatte er im Januar getwittert. Und gab ein ambitioniertes Ziel vor: Innerhalb von zehn Stunden soll das Auto gebaut werden statt 33 beim ID.3. Nur so komme man auf Augenhöhe mit Tesla.

Den Druck hat Diess seither stetig erhöht. Ende September mahnte er beim Treffen mit 120 Managern: "Wir müssen Wolfsburg endlich zukunftsfähig machen." Zwei Wochen später legte er bei der Führungskräftetagung in Alpbach in Tirol nach: "Für Trinity brauchen wir ein neues Mindset." Und fügte mahnend hinzu: "Es geht nicht nur um die Marke, sondern auch um den Konzern. Es geht um Wolfsburg."

Um das Ziel zu erreichen, wird nun darüber nachgedacht, für Trinity eine komplett neue Montagehalle zu errichten, intern "Fabrik in der Fabrik" genannt. Möglicher Standort: ein Parkplatz direkt neben der Golf-Montage. Nur so lasse sich der geplante Effizienzsprung schaffen, heißt es. Die alten Fabrikhallen stehen zum Teil unter Denkmalschutz und lassen sich nur schwer zum Vorzeigewerk umrüsten.

Helfen soll auch die neue Architektur des Trinity: Statt aus vielen kleinen Blechteilen könnte die Karosserie aus einem Guss entstehen, wie es auch Tesla plant. Und die Komplexität soll drastisch sinken: Statt unzähliger Varianten wie beim Golf soll es beim Trinity weniger als 100 geben.

Cavallos Forderung nach einem vorzeitigen E-Modell für Wolfsburg stößt auf wenig Gegenliebe. "Es ist doch alles schon verteilt", sagte ein Manager. In Zwickau und Dresden läuft die Produktion von ID.3, ID.4 und demnächst auch ID.5, in Emden hat der Umbau für ID.4 und Aero B längst begonnen. Jetzt eines der Modelle nach Wolfsburg zu verschieben, ergebe keinen Sinn.

Doch es zeichnet sich ein Kompromiss ab: Sollte die Nachfrage nach den E-Modellen weiter steigen, könnte Wolfsburg eine Überlaufproduktion für ID.3 oder ID.4 erhalten. Das Nachsehen hätten dann Standorte wie Audi in Neckarsulm, wo man ebenfalls auf eine solche Sonderauslastung hofft. Schließlich wird in Zwickau auch der Audi Q4 e-tron gebaut.

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