Herr Rüger, Ihre Kunden kommen vor allem aus dem Sportwagensegment. Wie verändern die neuen Antriebsformen Ihr Geschäft?
Unsere Kunden sind überwiegend Hersteller mit kleinen Volumen. Das sind in erster Linie die Sportwagenkunden, aber auch Start-ups aus der ganzen Welt. Gerade bei Letzteren ist zuweilen noch unklar, ob sie überhaupt in Serie gehen und welche Stückzahlen zu erwarten sind. Unsere Kundenlandschaft ist also ständig in Bewegung und diese Kunden haben häufig andere Fragestellungen als die großen OEM.
Welche sind das?
Es gibt Unternehmen, die sich klar zu einer batterieelektrischen Strategie bekannt haben. Aber es gibt auch diejenigen, die sich sehr wohl fragen, ob das für einen Sportwagen die richtige Strategie ist. Vor allem diejenigen, deren Autos auch auf der Rennstrecke gefahren werden, möchten die DNA ihres Fahrzeugs nicht beliebig ändern. Und die ändert sich mit einem batterieelektrischen Antrieb natürlich deutlich, weil die Autos erheblich schwerer werden. Zudem diskutieren unsere Kunden immer stärker Wasserstoff als Antriebsmedium, so dass der Verbrennungsmotor erhalten bleiben kann. So bliebe das Fahrzeuggewicht ungefähr identisch und die Abgasnachbehandlung würde sogar etwas einfacher. Eine Herausforderung ist noch das Platzieren der Wasserstofftanks, aber das ist lösbar. Wir haben einige Kunden, mit denen wir Demonstratoren bereits betreiben oder aufbauen.
Wie können Sie den neuen Playern in der E-Mobilität bei der Fahrzeugentwicklung helfen?
Von den Start-ups werden wir eher in Richtung Systementwicklung beauftragt. Beispielsweise mit dem Entwurf einer E/E-Architektur. Es geht also um das grundsätzliche Design der Fahrzeuge und der daraus abgeleiteten Frage, wie die Spezifikationen für die einzelnen Domänen aussehen müssen. Also was bedeutet das für den Antrieb, die Bremse oder das Thema ADAS? Wir haben für Kunden bereits solche Architekturen entwickelt. Dazu gehört dann auch ein großer Teil Systementwicklung bis hin zur Integration von Teilsystemen.
In der Zulieferindustrie gibt es in einigen Bereichen Insourcing-Bestrebungen der Fahrzeughersteller. Sehen Sie solche Tendenzen auch im Engineering?
Natürlich gibt es Aktivitäten der Fahrzeughersteller, Dinge selbst zu machen. Beispielsweise entstehen Softwarehäuser wie Cariad bei Volkswagen. Allerdings hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Softwareanteil im Fahrzeug etwa verzehnfacht. Trotz des Insourcings bleibt also für die Zulieferer und Entwicklungsdienstleister nicht nur genügend übrig, sondern der Anteil nimmt sogar zu. Studien zufolge wächst der gesamte Engineering-Markt im Automobilsektor mit durchschnittlich acht bis neun Prozent. Das liegt auch daran, dass die Software immer komplexer wird. Es ist nicht damit getan, eine Softwarefunktion zu schreiben, sondern auch Themen wie Safety und Security müssen berücksichtigt werden. Da gibt es für alle am Markt ausreichend zu tun.
Wie spielen Bosch Engineering und ITK Engineering zusammen?
ITK Engineering ist ebenso wie Bosch Engineering ein Bosch-Tochterunternehmen und Teil der Bosch Engineering Gruppe. Wenn Bosch Engineering an Domänenprojekten arbeitet, basiert das in aller Regel auf einer Bosch-Plattform. Zum Beispiel bei einem Bremsenprojekt typischerweise unter Nutzung von Bosch-Komponenten und Steuergeräten, wofür wir dann die kundenspezifische Software und Applikationen entwickeln. Die IP verbleibt bei diesen Projekten bei Bosch. ITK hingegen bietet Lösungen an, die nicht auf Bosch-Plattformentwicklungen basieren. Die Ursprünge der ITK liegen in der Kybernetik. Inzwischen haben wir viel Software- und IT-Kompetenz im Haus und die Fähigkeit entwickelt, komplexe Softwareprojekte zu managen. So wird am Ende eines Projektes in aller Regel der Source Code an den Kunden übergeben und auch die IP gehört dem Kunden. Wir nennen das ein White-Box-Modell. Bei Bosch Engineering ist es vereinfacht betrachtet in der Regel ein Black-Box-Model. Das heißt, der Kunde bekommt eine kompilierte Software und Applikation, aber die IP liegt weiterhin bei Bosch. In Summe können wir damit unseren Kunden ein attraktives Gesamtangebot machen.
Wie hoch ist der Anteil Ihrer Entwicklungsaktivitäten für den Mutterkonzern Bosch?
Eine Größenordnung ist zirka 80 zu 20. Wobei etwas mehr als 80 Prozent der Aktivitäten für externe Kunden sind.
Auf welchen regionalen Märkten sind Sie aktiv?
Bosch Engineering ist da, wo auch die Kunden sind; unsere Maxime ist "Local for Local". Wir haben regionale Geschäftseinheiten in Nordamerika, China und Japan; gerade in Nordamerika und China sehen wir weiter starkes Wachstum. Neben Deutschland haben wir in Europa noch weitere Standorte – so zum Beispiel in England, um die dortigen Sportwagenkunden zu bedienen.
Zielen Sie auch auf Kunden mit größeren Fahrzeugstückzahlen?
Mit unseren kleineren Kunden haben wir grundsätzlich ausreichendes Wachstumspotenzial. Es gibt immer wieder neue Start-ups, die auf den Markt kommen und die entsprechende Unterstützung benötigen. Unsere typische Klientel hat jährliche Stückzahlen von bis zu rund 150.000 Fahrzeugen. Bei Kunden mit größeren Stückzahlen ist der Komponenten-Umsatz im Vergleich zum Engineering dominant; daher werden solche Kunden durch Bosch direkt bedient. Bei ganz kleinen Kunden – hier reden wir von Herstellern mit einer Stückzahl von vielleicht nur 50 Fahrzeugen im Jahr – ist der Komponentenumsatz sehr gering und der Engineering-Aufwand im Vergleich dazu hoch; diese sind typische Kunden für Bosch Engineering. Bei den großen Herstellern sind wir dennoch vertreten – dann typischerweise bei High-end-Varianten.
Welche Aufgabenstellungen übernehmen Sie beim softwaredefinierten Fahrzeug?
Wir müssen die Fähigkeit haben, über die klassische Embedded-Welt hinaus in Cloud-basierte Entwicklungen einzusteigen. Daran arbeiten wir seit einiger Zeit und bieten unseren Kunden domänenübergreifende Lösungen an.
Neue Fahrerassistenzsysteme erfordern einen hohen Testaufwand. Erwarten Sie eine stärkere Nachfrage in diesem Bereich?
Ein großer Trend ist die Digitalisierung in der Entwicklung. Mehr Simulation und weniger Fahrzeugtests, unter anderem, weil Versuchsträger extrem teuer sind. Wenn beispielsweise Fahrerassistenzfunktionen entwickelt werden, brauchen wir zudem Fahrzeuge, die über einen entsprechenden Reifegrad verfügen. Der Einbauort der Komponenten muss beispielsweise exakt dem entsprechen, wie er später in der Serie sein wird. Alles was man in diesem Bereich durch Simulation, also Digitalisierung in der Entwicklung darstellen kann, spart Aufwand und reduziert die Entwicklungsdauer.
Welche Rolle spielen Low-Cost-Standorte bei Ihren Entwicklungsleistungen?
Früher wurden häufig nur einfache Aufgaben an Low-Cost-Standorte vergeben. Wir verfolgen die Philosophie, die Aufgaben dorthin zu vergeben, wo sie auch mit der entsprechenden lokalen Kompetenz am besten bearbeitet werden können. Beispielsweise ist in einem Land wie Indien alles gut aufgehoben, was das Thema IT betrifft. Unsere dortigen Mitarbeiter verfügen über eine hohe Kompetenz. Themen zur Optimierung des Verbrennungsmotors oder der Fahrdynamik bearbeiten wir dagegen mehrheitlich in einem Land wie Deutschland, das auch eine hohe Affinität zu diesen Themen und Mitarbeiter mit entsprechender Expertise hat. Uns ist wichtig, Dinge aufgabenbasiert zu trennen und an den richtigen Ort zu bringen.
Wollen Sie Ihr Engineering auch anderen Branchen als der Automobilindustrie zur Verfügung stellen?
Das tun wir bereits. Eine Stoßrichtung ist unser Bahngeschäft. Derzeit liefern wir Kollisionswarnsysteme für Straßenbahnen und planen, unsere Aktivitäten auf die Eisenbahn auszuweiten. Im Grunde sind das Fahrerassistenz und Automatisierung, angepasst auf die Spezifika der Bahn. Wir haben daneben auch Aktivitäten im Bereich Robotik und im Off-Highway-Bereich sowie in der Luftfahrt. Immer da, wo wir mit unserem bestehenden Know-how neue, angrenzende Geschäftsfelder erschließen können.
In der Vergangenheit gab es durch Unternehmenszusammenschlüsse ein engeres Zusammenwachsen von Engineering und IT. Wird sich dieser Trend verstärken?
Ja, unter anderem getrieben durch die Entwicklung im Bereich des softwaredefinierten Fahrzeugs. Bosch arbeitet hier inzwischen mit Microsoft zusammen. Wir als Bosch Engineering gehen verstärkt in Kooperationen, schauen uns aber natürlich auch grundsätzlich um, mit welchen Kompetenzen wir uns gerade hinsichtlich des softwaredefinierten Fahrzeugs verstärken können.
Welche wesentlichen Trends sehen Sie in der Branche der Entwicklungsdienstleister?
Ohne Softwarekompetenz, ohne die Fähigkeit, kundenspezifische Lösungen in Software darzustellen, ohne IT-Kompetenz, um cloudbasierte Lösungen umsetzen zu können, wird man es in Zukunft als Engineering-Dienstleister im Markt schwer haben. Das gleiche gilt auch für die Systemkompetenz. Also die Fähigkeit, verschiedene Domänen integrieren zu können, bis hin zur kompletten Fahrzeugentwicklung. Zudem gibt es noch überlagernde Themen wie das Management großer Datenmengen mit Hilfe künstlicher Intelligenz. In all diesen Themen haben wir uns als Bosch Engineering in den vergangenen Jahren deutlich entwickelt und fühlen uns für die Zukunft gut aufgestellt.
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