Die Automobilwoche Konferenz 2024 in München war am Donnerstag der Treffpunkt für die Branche. Unter dem Motto "Nachhaltig. Digital. Resilient" diskutierten namhafte Vertreter über Gegenwart und Zukunft von Autoproduktion und -handel. Zu den Höhepunkten gehörte die erstmalige Verleihung des Car Loyalty Awards.
Das Intro kam fast schon traditionell von VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Sie mahnte bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Deutschland an. Die deutsche Autoindustrie werde die von der Regierung geforderten 15 Millionen E-Autos bauen und verkaufen. Die Frage sei nur, wo. "Die Welt wartet nicht auf Deutschland", sagte Müller. "Wir brauchen eine höhere Geschwindigkeit."
Die Highlights der Automobilwoche Konferenz
Von Hildegard Müller bis zu Herbert Diess: Auf der Automobilwoche Konferenz ist Branchenprominenz am Start. Ein Überblick über die Vorträge und die Highlights aus München.
Die erste Keynote kam von Audi-Produktionsvorstand Gerd Walker. Er nannte vier Ziele in der Produktion: Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Flexibilität und Attraktivität. Audi will in den kommenden Jahren mehr als 20 neue Modelle auf den Markt bringen und damit eine lange Durststrecke beenden. Audi setzt konsequent auf weniger Hardware, die schnell veraltet und ausgetauscht werden muss, sondern mehr auf die Cloud. Die Edge Cloud hilft dabei, Kosten, Komplexität und Ressourcenverbrauch zu senken und Flexibilität und Geschwindigkeit zu steigern.
In Zukunft wird auch Künstliche Intelligenz, die Audi bereits in 100 Anwendungen nutzt, eine noch wichtigere Rolle spielen. Walker bezeichnete sie als "Gamechanger". Nachhaltigkeit ist aus seiner Sicht nicht nur aus regulatorischen Gründen wichtig, sondern auch ein entscheidender Faktor bei der Suche nach Fachkräften.
Für ZF-Vorstand Stephan von Schuckmann ist maximale Transparenz ein wichtiger Weg zur Nachhaltigkeit. Das erklärte er auf der Automobilwoche Konferenz in seinem Vortrag "Sustainability along the supply chain". Die Transparenz bei der CO2-Reduzierung gilt für ihn nicht nur bei neuen, sondern auch bei laufenden Projekten.
Ein wichtiger Dekarbonisierungshebel beim Zulieferer ist für ihn der Grünstrom. ZF will den Anteil daran bis zum Jahr 2025 auf 100 Prozent erhöhen. Einen weiteren wichtigen Hebel sieht er in der Umstellung auf nachhaltige Materialien. Von Schuckmann machte deutlich, dass auch die Lieferanten des ZF-Konzerns die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen, um zum Lieferantenkreis zu gehören.
Während beim Zulieferer schon heute die meisten Getriebegehäuse aus recyceltem Aluminium bestehen, liegt die Recyclingquote für Magnete bei E-Motoren heute bei unter einem Prozent. Von Schuckmann strebt an, bis 2027 einen Wert von 25 Prozent zu erreichen.
"Wir sind stolz auf das, was wir bereits erreicht haben, aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinmüssen", resümierte der ZF-Vorstand. Um besser zu werden, plädiert er für Netzwerke. Insbesondere bei kritischen Rohmaterialien müsse die gesamte Automobilindustrie zusammenarbeiten.
Hyundai will die Demokratisierung der Elektromobilität weiter vorantreiben. "Wir bringen noch in diesem Jahr ein Elektroauto auf den Markt, das zwischen 20.000 und 25.000 Euro kostet", kündigte Andreas-Christoph Hofmann, Vice President Marketing und Produkt Hyundai, bei der Automobilwoche Konferenz in München an. Statt auf das C- und D-Segment, setzt der südkoreanische Hersteller künftig stärker auf kleinere Fahrzeuge im A- und B-Segment.
Damit steigt auch der Wettbewerb mit chinesischen Anbietern: "Sie kommen mit aggressiven Preisen, aber wir haben diverse USPs, um das Preisdumping nicht mitzumachen", sagte Hofmann. Von der Preiserosion der vergangenen Monate wurde er überrascht. Zwar habe er sie erwartet, aber nicht in der Intensität und Geschwindigkeit.
Um den Übergang vom First-Mover- zum Fast-Follower-Markt erfolgreich zu gestalten, muss die Branche den Fokus stärker auf die Kundenbedürfnisse richten: Es sei nicht nur eine größere Emotionalisierung der Elektromobilität notwendig, sondern auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie eine klare und transparente Kommunikation mit den Kunden. Hofmann: "Die WLTP-Reichweite ist ein schöner Wert, aber mit der Realität hat das wenig zu tun."
Für ein Highlight am Vormittag sorgte der ehemalige VW-Chef Herbert Diess, der in einem Kurzvortrag seine Vision "Zero Zero" vorstellte. Diess übernahm Anfang Januar den Vorsitz des Verwaltungsrats von The Mobility House, einem Systemanbieter für Ladelösungen und Vehicle-to-Grid.
Diess: "Ich durfte ein Jahr lang nichts mit Autos machen. Deswegen habe ich ein halbes Jahr damit verbracht, die Solarindustrie zurück nach Europa zu bringen." Daraus entstand das Konzept "Zero Zero". Diess' Idee: Ein bidirektionales Ladekonzept, bei dem das Fahrzeug von der Wallbox geladen wird, wenn der Strom am Markt gerade im Überfluss vorhanden ist und nichts kostet und dem gegenüber in Zeiträumen mit hohem Strombedarf die Abgabe von Strom aus der Batterie des Elektroautos in Netz.
Herbert Diess: "Ich glaube, wenn uns das gelingt, ist es einer der größten Hebel, den Klimawandel zu stoppen. Das Fahrzeug kriegt damit eine völlig neue Rolle. Darum lohnt es sich für mich, mich hier zu engagieren. Zero Zero kann den Hochlauf der Elektromobilität beschleunigen. Wenn Kunden nichts mehr dafür zahlen müssen, wird Elektromobilität sehr attraktiv."
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Automobilwoche Konferenz interessierten sich aber auch für Diess' Meinung zur Lage bei seinem Ex-Arbeitgeber Volkswagen und der Branche allgemein. Das Urteil des Ex-VW-CEO: "Volkswagen macht das gut." Um die Situation der deutschen Hersteller macht sich Herbert Diess keine Sorgen: "Ich bin da sehr zuversichtlich. Vor kurzem bin ich den MG4 gefahren, der ja fast eine Kopie des ID.3 ist. Ist das Auto irgendwo besser als der ID.3? Aus meiner Sicht Nein."
"Die meisten von Ihnen gehen ähnlich gerne zum TÜV wie zum Zahnarzt". Ein großes Problem sieht Matthias Schubert, Bereichsvorstand Mobilität TÜV Rheinland, darin aber nicht. Es sei nun einmal Aufgabe der TÜV-Sachverständigen, genau hinzusehen und sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Doch nur unabhängig zu sein, reiche auch für ein Unternehmen wie TÜV Rheinland nicht mehr. "Wir müssen etwas daneben stellen", so Schubert. Notwendig sei vielmehr, Dienstleister, Berater und Wegbereiter für Technologie zu sein – sowohl für die Industrie als auch den Gesetzgeber. Letzterer brauche durch die zunehmende Komplexität anders als früher zunehmend Hilfe, um die regulatorischen Vorgaben für neue Technologien zu erarbeiten. Die Autoindustrie wiederum schätze es, einen neutralen Partner an der Seite zu haben, der auf eine neue Entwicklung noch einmal einen unabhängigen und kritischen Blick wirft.
Dieses Mindset – zum Enabler von Technologie zu werden – gelte es jetzt bei den 20.000 TÜV-Mitarbeitern zu implementieren. Dazu hat der Prüfkonzern intern zwei Hierarchieebenen abgeschafft und den einzelnen Teams mehr operative Verantwortung übertragen. Ziel seien selbst steuernde Teams, so Schubert. Hinzu kommt aber noch ein weiterer Schritt: Investitionen, etwa in Batterietestlabore oder Testzentren für autonomes Fahren, sowie Partnerschaften. Es sei nicht möglich, in allen Bereichen Kompetenzführer zu sein, so Schubert. "Wir haben erkannt, dass wir Partner brauchen."
Den Nachmittag eröffneten Skodas Beschaffungsvorstand Karsten Schnake und Henning Kruse, leitender Redakteur der Automobilwoche, mit einem Gespräch über Lieferkettenmanagement. Schnake, in seiner Funktion bei Skoda auch Leiter der Taskforce zur Halbleiterbeschaffung im VW-Konzern sagte: "Ich kam mir vor, wie ein Pestarzt im Mittelalter. Rund um Sie herum fallen Menschen um, nichts funktioniert. Sie kriegen keine Halbleiter, die Werke stehen still und eigentlich wissen Sie nicht, warum."
Welche Lehren Schnake selbst aus der Krise gezogen habe, wollte Henning Kruse live auf der Bühne von seinem Gesprächspartner wissen. Die Antwort des Skoda-Einkaufsvorstands: "Was ganz wichtig ist: Sie müssen das Problem in kleine Teile zerlegen, wenn der Anruf kommt, dass Sie wegen fehlender Sensorik 2,5 Millionen Autos weniger bauen können. Sie brauchen Transparenz zu den Bauteilen, die Sie im Auto drin haben und müssen das mit ihren eigenen logistischen Systemen. Und Sie müssen diese Informationen mit Partnern teilen."
Die Emotionen der zurückliegenden zwei Jahre fasst Karsten Schnake klar zusammen: "Ich habe viele Videokonferenzen mit Partnern gehabt und dabei auf Monitore geguckt, wo mir jemand völlig frustriert gegenübersaß. Es herrschten Wut und Frustration über all das, was man die letzten Jahre beim Thema Lieferketten erlebt hat." Jetzt gebe es, so Schnake weitaus mehr Transparenz über die Liefersituation.
Der erfahrene Einkäufer (seit 1996 im VW-Konzern) fühlt sich weiter wohl bei Skoda und will mit Ideen aus Mlada Boleslav im Unternehmen für Furore sorgen: "Wir sind ein bisschen das Start-up der VW AG", sagte Schnake über die Rolle der tschechischen Marke im Konzernverbund.
Das Software defined vehicle (SDV) ist keine Zukunft mehr, die Transformation ist bereits voll im Gange. "Wir entwickeln gerade mit den OEMs die Systeme die man als software defined vehicle bezeichenen kann", sagte Dirk Linzmeier, CEO TTTech Auto bei der Paneldiskussion zu diesem Thema. "Das Auto ist mittlerweile eines der komplexesten Softwareprodukte das es gibt." Diese Einschätzung bestätigten auch die anwesenden Vertreter von BMW, Renault und Nio. Bei BMW ist etwa der neue 5er ein erster Schritt in Richtung SDV, bei Nio könne man bereits 95 Prozent der Systeme updaten und Renault plant für 2025 mit dem Flexivan das erste volle software defined vehicle. Nicht ganz einig waren sich die Panelteilnehmer allerdings bei der Definition, was ein SDV ist. Während Linzmeier als Kriterium vor allem die Anwesenheit eines Zentralrechners ausmachte sah Christoph Grote, Bereichsleiter Elektronik und Software BMW Group vor allem die Upgradeability der Systeme als maßgebliches Kriterium. "Das ist mit der beste Test für ein SDV."
Wirtschaftlich führt für die Hersteller am software definde vehicle kein Weg vorbei. Zum einen aus Gründen der Effizienz: Beim SDV sei es durch die Entkopplung von Software und Hardware möglich, ein Update für die gesamte Fahrzeugflotte auszuspielen, anstatt für jedes Modell eigens zu entwickeln so Grote. Hinzu kommt bei einigen die Vermarktung: "Wir wollen mit Updates Geld verdienen", betonte Jana Striezel, Direktorin Einkauf bei Renault. Das dürfte es dagegen bei Nio nicht geben. "Bis jetzt ist der Plan dass alle Softwarupdates for free sind", erklärte Benjamin Steinmetz, Product Experience Director Europe bei Nio.
Die Autobranche richtet ihren Fokus zunehmend auf Nachhaltigkeit. Knapp zwei Drittel der Hersteller, Zulieferer und Händler sehen das Thema als hoch relevant für das Geschäftsmodell. Entsprechend groß ist die Relevanz im Alltag: 69 Prozent der Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema, 57 Prozent haben bereits eine Strategie.
Die Ergebnisse einer Cisco-Umfrage stellte Jutta Gräfensteiner, die bei Cisco Mitglied der deutschen Geschäftsleitung ist, bei der Automobilwoche Konferenz vor. Zu mehr Nachhaltigkeit kann die IT beitragen. Schließlich trägt die IT rund zwei bis vier Prozent der globalen CO2-Emissionen bei. Mit energie-effizienten Produkten, der Verlagerung von Daten in die Cloud und individuellen Lösungen können die Emissionen bis zu 15 Prozent gesenkt werden.
Die Automobilbranche hat noch Nachholbedarf, wenn es darum geht, digitale Technologien für effiziente Geschäftsprozesse zu nutzen, so die Einschätzung von Lina Eddisi, Head of IT Strategy beim Zulieferer Vitesco Technologies. Um die Digitalisierung zu beschleunigen, ist es der Managerin wichtig, dass die Geschäftsstrategie mit anderen Strategien wie der für die Digitalisierung vernetzt wird.
Laut Eddisi wird künstliche Intelligenz bei Vitesco bereits in vielen Bereichen genutzt. Dazu gehört beispielsweise das Maschinenlearning mit klassischen Anwendungsfällen wie der Qualitätskontrolle. Derzeit beschäftige sich der Zulieferer damit, wie KI auch im Bereich Forschung und Entwicklung helfen kann. Dabei betont sie: „Im KI-Bereich wollen wir ins doing kommen“.
Transformation der Branche zur E-Mobilität, neue Anbieter aus China, zunehmende Bedeutung des Online-Vertriebs – Kunden an die Marke zu binden, wird für Hersteller zunehmend schwierig. Aus Sicht von Sebastian Tschödrich, Global Head of Automotive bei Capgemini Invent, gibt es in punkto Kundenloyalität zwei wesentliche Faktoren: Neben dem Produkt-Markt-Fit ist dies Positionierung der Marke mit der entsprechenden Preisgestaltung und den Kontaktpunkten im Markt.
Wie es geht, zeigen die Gewinner der Car Loyalty Awards 2024, den die Automobilwoche erstmals gemeinsam mit dem Marktdatenspezialisten Dataforce verliehen hat: Die Preisträger Melanie Stöckl (Sprecherin Seat Deutschland), Christian Brandl (Leiter Mini Deutschland), Jens Schulz (Geschäftsführer Mitsubishi Motors Deutschland) und Thilo Schmidt (Managing Director Dacia) gaben in der Panel-Diskussion entsprechende Einblicke in die Strategie.
Für den "Car Loyalty Award" hat Dataforce das Wechselverhalten von Privatkunden beim Autokauf untersucht. "Kunden zu halten und neue Kunden zu erobern sind Schlüsselindikatoren, um am Markt zu performen", erklärte Dataforce Geschäftsführer Marc Odinius die Relevanz des Themas. Das gelte gerade in einer Zeit, in der der Markt spürbar enger wird, weil einerseits der private Pkw-Bestand erstmals seit Jahrzehnten schrumpft und gleichzeitig aber die Zahl der Wettbewerber spürbar steigt.