Herr Mabire, Ihr Amtsantritt als CTO fällt zusammen mit dem Umbau der Struktur der Automotive-Sparte, mit Ihnen an der Spitze der neuen Software-Einheit. Welche Rolle spielen Sie in der neuen Konzernstruktur?
Die Software spielt bei uns eine zentrale Rolle für das künftige Geschäft. Meine Aufgabe ist es nun, die sechs Handlungsfelder unserer Automotive-Strategie zu vernetzen und weiterzuentwickeln, um technische Lösungen zu finden und neues Geschäft zu generieren. Im Mittelpunkt stehen dabei Innovationen, die uns mittel- oder sogar kurzfristig neue Geschäftsopportunitäten geben.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?
Beim Aufbau der zentralen Entwicklung haben wir drei klare Prioritäten: Anticipate, antizipieren, dass wir früh genug erkennen, was wann als nächster Entwicklungsschritt kommt. Unify, vereinheitlichen, damit wir überall die gleichen Tools nutzen und nach denselben Spielregeln arbeiten. Dadurch können wir Synergien heben und parallele Doppelentwicklungen vermeiden. Und Deliver, liefern, dass wir dann auch schnell Lösungen zur Verfügung stellen.
Bisher waren Sie für Nutzfahrzeuge und Services zuständig. Was bringen Sie von dort für Ihre neue Aufgabe mit?
Was ich bei den Nutzfahrzeugen schätzen gelernt habe, sind die Entwicklungszyklen: Schnell Lösungen entwickeln und direkt an die Kunden vermarkten. Diese DNA, Entwicklungen früh zu antizipieren, will ich nun auch als CTO nutzen, um die richtige Geschwindigkeit ins Unternehmen zu bringen. Wir müssen früh mit unseren Lösungen zum Kunden gehen, noch bevor der Kunde weiß, was er überhaupt entwickeln will.
Mehr Tempo ist also das große Thema?
Ja. Unser Ziel ist es, dass wir Software schneller testen und freigeben und einzelne Lösungen innerhalb von Tagen auf die Straße bringen können. Entwicklungszyklen werden verkürzt, um Upgrades innerhalb von einem Jahr zu ermöglichen und darauf basierend neuen Fahrzeugplattformen anbieten zu können. Re-use- und Reference-Lösungen sind Teile unserer Strategie, um diese neuen Herausforderungen zu meistern. Und nicht zuletzt: Entwicklungstools und Prozesse müssen weiter optimiert werden. Dazu kommt noch die entsprechende Agilität, die unsere Kunden von uns erwarten.
Eröffnet das auch neue Geschäftsmöglichkeiten?
Die Trennung von Hardware- und Softwarezyklus führt zu ganz neuen Geschäftsmodellen. Unsere Arbeit wird nicht enden, wenn das Auto in Serie geht. Bis zum Ende des Lebenszyklus werden wir kontinuierlich Updates und Verbesserungen liefern. Wichtig ist, dass man kontinuierlich Funktionen an die Endkunden anbietet, in denen sie einen Mehrwert sehen und daher auch bereit sind, dafür zu zahlen. Das gibt dann auch die Möglichkeit, neues Geschäft und Umsatz zu generieren.
Welchen Anteil am Geschäft wird die Software denn in fünf oder zehn Jahren ausmachen?
Wenn wir alles zusammennehmen, machen wir schon heute mehrere Hundert Millionen Euro Umsatz mit Software. In Zukunft werden wir in Milliarden rechnen.
Und im Gegenzug ziehen Sie sich aus dem angestammten Geschäft mit der Hardware, also Autoteilen, zurück?
Hardware machen wir natürlich weiter. Aber Continental ist schon lange kein reiner Hardware-Lieferant mehr. Weltweit sind schon mehr als eine Milliarde Autos auf der Straße, die an der einen oder anderen Stelle mit Continental-Software unterwegs sind. Das werden wir weiter ausbauen. Zugleich wird auch die Hardware immer komplexer. Das geht für uns Hand in Hand. Genau das ist die Stärke von Continental, dass wir beides bedienen können.
Planen Sie auch Zukäufe?
Manchmal gehen wir eine Partnerschaft ein, manchmal kaufen wir eine Firma. Wir setzen uns da keine Beschränkungen. Wenn es für uns sinnvoll ist, eine Firma zu kaufen, dann tun wir das.
Beim autonomen Fahren arbeiten Sie mit dem Start-up Autobrains aus Israel zusammen. Für Schlagzeilen sorgt derzeit aber eher Mobileye. Haben Sie auf das falsche Pferd gesetzt?
Entscheidend für das autonome Fahren ist, die Algorithmen zu trainieren. Und Autobrains hat hier ein Verfahren entwickelt, die Künstliche Intelligenz deutlich schneller anzulernen. Dadurch werden wir schneller zu besseren Ergebnissen kommen. Wir erwarten, dass wir bereits im kommenden Jahr in ein erstes Anwendungsprojekt mit Kunden gehen können.
Werden die Systeme am Ende nicht eher von den OEMs selbst entwickelt und hergestellt? Welche Lücke sehen Sie für Conti?
Ja, es gibt OEMs, die vieles selbst beherrschen wollen. Ich erwarte aber, dass wir in diesem neuen Umfeld weiteren Mehrwert für unsere Kunden kreieren werden, wenn auch in einer anderen Form, als bisher. Es gilt zudem zu unterscheiden, dass nicht alle OEMs in Produktionszahlen von zehn Millionen denken und entsprechend skalieren. So sind wir unter anderem im Gespräch mit OEMs aus Asien, die großes Interesse an unseren Systemlösungen haben. Dabei gehen wir dediziert auf deren Anforderungen ein. Es gibt auch OEMs, die softwarebasierte, autonome Fahrzeuge anbieten wollen, ohne die Möglichkeit zu haben, einen Großteil selbst zu entwickeln. Auch da können wir vieles übernehmen.
Keine Software ohne Halbleiter. Und die sind ja gerade knapp. Wie lange wird der Engpass denn noch andauern?
Ich gehe davon aus, dass die Lage auch 2022 noch angespannt bleibt. Ab 2023 erwarten wir dann aber, dass sich die Situation bessern wird.
Welche Lehren ziehen Sie aus dem Chip-Mangel?
Zunächst einmal, dass wir viel langfristiger planen müssen. Und wir müssen hier enger mit den Zulieferern und mit unseren Kunden zusammenarbeiten. Zweitens verändern wir das Chipdesign, um flexibler zu werden und schnell auf einen anderen Lieferanten wechseln zu können. Und drittens, und das betrifft meinen Bereich, müssen wir das Thema bereits in der strategischen Planung berücksichtigen, um früh genug ein Signal geben zu können, falls es zu einem Engpass kommen könnte.
Bosch produziert seine Halbleiter selbst. Wäre das auch für Conti eine Option, um unabhängiger von Zulieferern zu werden?
Nein. Wir haben das geprüft, uns aber dagegen entschieden. Das Problem kommt ja nicht von einzelnen Komponenten. Chips sind überall knapp, und die Halbleitertechnologie der einzelnen Komponenten unterscheidet sich sehr. Das kann man mit einer eigenen Fertigung in einem einzelnen Bereich nicht lösen. Dafür braucht man Spezialisten. Und der Automobilbereich allein ist hierfür einfach zu klein.
Denken Sie denn darüber nach, mit weniger Halbleitern auszukommen?
Das sehe ich nicht. Wenn wir in die Zukunft blicken, kann die Umstellung auf zentrale Rechner die Zahl der Prozessoren und Chipsets zwar senken. Zugleich steigen aber Komplexität und Leistungsumfang dramatisch. Ich kann mir daher schwer vorstellen, dass wir mit weniger Halbleitern auskommen werden.
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