Strafzölle: Europas Autoindustrie droht neuer Handelskrieg

Die europäische Automobilindustrie bereitet sich auf erhöhte Zölle auf aus China importierte Elektrofahrzeuge vor. Eine Entscheidung der EU-Kommission steht nach Informationen der Automobilwoche unmittelbar bevor. Seit Oktober 2023 läuft in der EU eine Untersuchung zu wettbewerbsverzerrenden Subventionen des chinesischen Staats für seine lokalen Automobilhersteller. In der Branche wird als Reaktion darauf jetzt mit einer Anhebung der derzeitigen Zölle von zehn auf 25 oder sogar 30 Prozent gerechnet.

„Es gibt Anzeichen, dass in der Produktion und Kalkulation bei einigen chinesischen Herstellern unfaire Praktiken genutzt worden sind. Wenn die Untersuchung den Verdacht bestätigt hat, dann ist es richtig, dass es auch Konsequenzen gibt“, sagte der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), der Automobilwoche. In der Branche überwiegt dagegen die Skepsis. 

„Zölle sind schemenhafte Schutzfunktionen, durch die wir uns selber schaden“, sagt BMW-Chef Oliver Zipse. Auch der Volkswagen-Konzern lehnt die geplanten Maßnahmen der EU ab. „Es ist sehr fraglich, ob die aktuelle Diskussion über Zölle in die richtige Richtung führt", erklärte Konzern-Finanzchef Arno Antlitz. Die USA haben die Zölle auf chinesische E-Autos ab August bereits von 25 auf 100 Prozent erhöht. Erste Gegenreaktionen aus Peking sind in Vorbereitung. Der Branche droht ein verschärfter Handelskrieg.

Der Konflikt spitzt sich unter anderem am Autoterminal des Seehafens von Bremerhaven mit seinen neun Liegeplätzen und gigantischen Abstellflächen für 70.000 Fahrzeuge zu. Aber auch in Zeebrugge und Antwerpen, den anderen großen Terminals für Fahrzeuge in Europa. Er könnte massive Folgen für Europas Automobilindustrie haben, nachdem die Branche hier jahrzehntelang gute Geschäfte machte.

Konkret geht es um eine mögliche Anhebung der Importzölle auf chinesische Elektroautos von aktuell zehn auf bis zu 30 Prozent, der im derzeitigen Verfahren auf den Listenpreis des Fahrzeugs plus die Frachtkosten erhoben wird. Eine Untersuchung läuft. Die EU will damit ihren Binnenmarkt vor günstigen chinesischen Elektroautos schützen, die in der Volksrepublik durch massive staatliche Unterstützung billiger produziert werden als in Europa. Diskutiert wird aktuell eine Lösung, wonach nicht pauschal alle aus China importierten Fahrzeuge, sondern nur die von besonders stark subventionierten Herstellern mit dem erhöhten Importzoll belegt werden könnten.

Die EU-Kommission hatte hierzu Fragebögen unter anderem an BYD, Nio und im Vergleich dazu auch an deutsche Hersteller verschickt. Zu den Ergebnissen ist noch nichts bekannt. Klar ist aber: Eine Anhebung der Importzölle um bis zu 20 Prozentpunkte würde europäische Elektroautos im Vergleich zu chinesischen für Kunden preislich wieder deutlich attraktiver machen (siehe Grafik).

So bewertet es auch die EU. „Sollte sich bestätigen, was ich vermute, dass es solche Subventionen gibt, kann ich garantieren, dass die Höhe der Zölle, die wir verhängen, der Höhe des Schadens entspricht“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die aktuell eine zweite Amtszeit anstrebt. 

Sebastian Bock, Geschäftsführer Deutschland der Umweltorganisation Transport & Environment, hebt zudem hervor: „Durch Zölle können wir sicherstellen, dass die Hersteller ihre Produktion nach Europa verlegen oder hier vor Ort ausbauen. So sichern wir Arbeitsplätze und Expertise in Europa und ermöglichen einen fairen Wettbewerb.“

Stellantis-Chef Carlos Tavares, der mit seinen Marken in China kaum vertreten ist, hat inzwischen seinen Kurs korrigiert. Weil der aktuelle Importzoll für Fahrzeuge aus Europa nach China bereits zwischen 15 und 25 Prozent liegt, forderte er noch Anfang des Jahres „gleiche Bedingungen“. Inzwischen warnt der Portugiese, Länder die dem Kurs der USA folgen, würden „in eine große Falle tappen“.

Denn hier liegt das Risiko, insbesondere für die deutschen Hersteller. Erhöht die EU die Zölle, provoziert das eine chinesische Gegenreaktion. In China äußerst beliebte Luxuslimousinen wie die Mercedes S-Klasse (ausschließlich im deutschen Werk in Sindelfingen gebaut), der BMW Siebener, und der elektrische i7 (beide Dingolfing) oder der Audi A8 (Neckarsulm) würden schlagartig deutlich teurer. 

Anders als bei Volkswagen mit seinen 33 Standorten in China könnte die Produktion der Top-End-Modelle von BMW und Mercedes nicht ohne Weiteres im Reich der Mitte bewerkstelligt werden. Das macht auch die Börse nervös. Nach Bekanntwerden möglicher, erster chinesischer Gegenmaßnahmen gaben die Papiere von BMW und Mercedes zwischenzeitlich um mehr als zwei Prozent nach.

Denn die Chinesen rüsten sich bereits für einen verschärften Handelskrieg. Im Raum steht eine Andeutung der chinesischen Handelskammer in Brüssel, als Reaktion auf EU-Zölle alle importierten Fahrzeuge mit mehr als 2,5 Liter Hubraum mit 25 Prozent Importzoll zu belegen.

Kurios ist: Nicht nur die chinesischen Gegenmaßnahmen, sondern auch die Importzölle der EU könnten deutschen Herstellern schaden. BMW lässt den iX3 und den Elektro-Mini aktuell in China für den Weltmarkt fertigen, die VW-Marke Cupra sein neues Elektro-SUV Tavascan ebenfalls. Die neuen Smart-Modelle aus dem Daimler-Joint-Venture mit Geely kommen ebenso aus China.

BMW-CEO Oliver Zipse gehört nicht nur deswegen zu den schärfsten Kritikern der geplanten EU-Zollerhöhungen. Der sonst diplomatische Konzernlenker des Premiumherstellers wird beim Thema Strafzölle deutlich: „Über die Hälfte der chinesischen Importe nach Europa sind von nicht-chinesischen Unternehmen. Daran sieht man sehr deutlich, wie schnell man sich damit ins Knie schießen kann.“

Zipse argumentiert mit Zahlen: „Der Marktanteil chinesischer Hersteller in Deutschland und Europa liegt bei unter einem Prozent. Europa wird nicht überschwemmt mit chinesischen Produkten, und vor lauter Angst versuchen wir, die Grenzen zuzumachen.“

Sein Mercedes-Pendant Ola Källenius lehnt die geplanten Zölle ebenfalls ab und bringt stattdessen eine Angleichung ins Spiel. „Null in alle Richtungen“, schlug der CEO der Stuttgarter kürzlich in einem Interview vor. Tesla-Chef Elon Musk, der gerade gegen Absatzrückgänge kämpft, schimpfte: „Dinge, die den freien Warenaustausch verfälschen, sind nicht gut. Wir haben nicht um diese Zölle gebeten.“

In der Bundesregierung sind die Rufe aus der Branche längst angekommen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) gab sich zuletzt skeptisch, was die geplanten EU-Maßnahmen angeht. Europa müsse „aus einer Position selbstbewusster Wettbewerbsfähigkeit“ agieren und nicht aus protektionistischen Motiven, sagte er angesprochen auf die ab August beschlossenen US-Zölle.

Beim chinesischen Hersteller Nio, zusammen mit den Marken BYD und MG wohl das zentrale Ziel der EU-Maßnahmen, gibt man sich noch vor dem offiziellen Beschluss zu Strafzöllen enttäuscht. „Nichts von dem, was in China passiert, hat mit zu großer staatlicher Unterstützung zu tun. Elektroautos werden gefördert, aber das werden sie in Europa und den USA auch“, kritisiert Nio-Chef William Li.

Dennoch: Dass die EU die Zölle zeitnah anheben wird, bezweifelt kaum noch -jemand. Genauso wird aber darauf verwiesen, dass der Ausgang der Europawahl am 9. Juni, eine neu zusammengesetzte EU-Kommission und nicht zuletzt der gerade abflauende Absatz von Elektroautos die Situation wieder verändern könnte. 

BMW-Chef Zipse sagt bezogen auf die anstehende Zollerhöhung: „Vielleicht machen wir das ja auch nur ein paar Monate. Das wollen wir erst mal sehen. Meine Erwartungshaltung an die neue Kommission ist, dass sie das Thema Wettbewerbsfähigkeit stärker in den Fokus stellt.“