S-Klasse: Mercedes streicht Schicht – doch das Luxus-Problem geht viel tiefer

Die Factory 56 in Sindelfingen ist so etwas wie die Cash-Cow von Mercedes-Benz. In dem vor vier Jahren eröffneten und voll digitalisierten Werk werden die S-Klasse sowie der rein elektrische EQS samt den besonders lukrativen Derivaten von Maybach oder AMG gefertigt.

Insbesondere die S-Klasse verkörpert das Luxusversprechen des Sterns wie kaum ein anderes Modell. Margen von 20 Prozent und mehr sind üblich, weshalb das Flaggschiff auch einen wesentlichen Einfluss auf die Profitabilität des Pkw-Geschäfts hat.

Seit Anbeginn lief die Produktion mindestens im Zwei-Schicht-Betrieb. Doch wenn die rund 1500 Beschäftigten nach der Sommerpause in das Werk zurückkehren, müssen sie sich auf Einschnitte gefasst machen.

"Es ist angedacht, die Produktion in der Factory 56 im vierten Quartal in den Ein-Schicht-Betrieb zu überführen und einen Teil der Beschäftigten in anderen Produktionsbereichen des Werks einzusetzen", sagte ein Mercedes-Sprecher der Automobilwoche.

Man optimiere kontinuierlich das Produktionsnetzwerk und nutze die hohe Flexibilität, um auf Schwankungen und sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Übersetzt heißt das, dass die Auslastung des Werks aufgrund mangelnder Nachfrage nach den Fahrzeugen in den vergangenen Monaten nicht mehr gewährleistet war und das Unternehmen nun reagieren muss. Abzulesen ist dies auch an den Absatzahlen im zweiten Quartal.

Zwar weist Mercedes die Zahlen für die S-Klasse einzeln nur dann aus, wenn es gut läuft. Aus den Angaben für das Top-Segment, zu dem neben S-Klasse auch EQS, EQS SUV sowie GLS zählen, lässt sich die Misere aber ablesen.

Alle vier Modelle zusammen kamen von April bis Juni nur noch auf 33.400 Einheiten. Im Jahr zuvor waren es noch 44.200 gewesen – ein Minus von knapp 25 Prozent. Der Anteil des Top-Segments am Gesamtabsatz fiel von 16 auf 14 Prozent. Die Folge: Die Marge im Automobilgeschäft sank im zweiten Quartal von 13,5 auf 10,2 Prozent.

Eine detaillierte Auswertung der S-Klasse des Datenspezialisten Marklines für die Automobilwoche ergibt im ersten Halbjahr 2024 für die drei großen Märkte USA, Europa und China ein ähnliches Bild mit deutlichen Rückgängen. Vor allem in Europa ist der Einbruch mit fast 30 Prozent erheblich.

Die Flaute wirkt sich auch auf die Zulieferer aus. "Die Stückzahlen in den vergangenen Wochen waren eine Katastrophe", berichtet der Vertriebschef eines großen Lieferanten für Komponenten im Innenraum der S-Klasse, der nicht genannt werden will.

Ein Mercedes-Händler aus dem Großraum Stuttgart erzählt, seine letzte S-Klasse habe er im Herbst vergangenen Jahres verkauft. Bei einem weiteren steht ein EQS-Vorführwagen mit nur 5000 Kilometern zum Preis von knapp 82.000 Euro schon seit Wochen auf dem Hof. Neupreis in dieser Ausstattung: über 130.000 Euro.

Zwar betonte Mercedes-Chef Ola Källenius in der Telefonkonferenz zum zweiten Quartal, dass die S-Klasse noch im Bereich der üblichen Wellenbewegungen innerhalb des Lebenszyklus liege. Außerdem seien die Marktanteile im Segment gegenüber Wettbewerbern verteidigt worden. Doch klar wird auch, dass sich die ambitionierten Rendite-Ziele ohne starke Verkaufszahlen beim Flaggschiff nicht umsetzen lassen.

Problematisch ist dabei vor allem die aktuelle Kaufzurückhaltung in China. So ist der Absatz im wichtigsten Markt für das Top-Segment seit einigen Jahren rückläufig. Die Immobilienkrise führt dazu, dass auch betuchte Kunden lieber sparen als sich ein neues Luxus-Auto zu gönnen. Man rechne auch in Zukunft eher mit einer Seitwärtsbewegung, so Källenius.

Die Stammbelegschaft in Sindelfingen muss zunächst keine Konsequenzen fürchten. Sie kann zu Teilen in der Halle 46 eingesetzt werden, wo E-Klasse und GLC nach wie vor im Drei-Schicht-Betrieb gefertigt werden. Bei den Leiharbeitern sieht es anders aus.

"Eine Möglichkeit ist, die Einsätze der betroffenen Zeitarbeitskräfte in Absprache mit den Zeitarbeitsfirmen zu beenden, sofern sie nicht ohnehin planmäßig auslaufen", so der Mercedes-Sprecher. Betriebsratschef Ergun Lümali bestätigte der Automobilwoche, dass derzeit Gespräche zur "Finalisierung der Fahrweise" in der Factory 56 laufen. Genauere Angaben seien im Moment nicht möglich.

Wann die Fabrik wieder in den Zwei-Schicht-Betrieb wechselt, ist schwer vorherzusagen. Für den Produktzyklus der S-Klasse typisch ist, dass spätestens mit einem Facelift die Zahlen wieder ansteigen. Dann kommt die neueste Technik ins Auto und der Abstand beispielsweise zur E-Klasse wird wieder größer. Die Überarbeitung ist für das Jahr 2025 geplant.

So soll beispielsweise das Fahrassistenzsystem Drive-Pilot künftig Geschwindigkeiten bis zu 95 Stundenkilometern ohne Hände am Lenkrad ermöglichen. Das Design wird sich stärker an der erfolgreichen E-Klasse orientieren.

Allerdings hat Mercedes den erfolglosen EQS bereits in diesem Jahr gründlich überarbeitet und bei den Kunden beworben. An der reduzierten Fahrweise in der Factory 56 konnte das aber nichts ändern.