So bringen sich Zulieferer auf dem indischen Markt in Stellung

China spielt für die Autozulieferindustrie nach wie vor eine dominante Rolle. Die Branchengrößen sind mit zahlreichen Werken vor Ort und unterhalten dort auch Entwicklungszentren. Doch im Schatten des Riesenreichs gewinnt Indien zunehmend an Bedeutung. So kletterte der Umsatz der indischen Automobilzulieferindustrie laut dem Marktforschungsinstitut Statista im Geschäftsjahr 2022/23 (April 2022 bis März 2023) auf den Höchstwert von 69,7 Milliarden US-Dollar. Ein Plus von 23,4 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021/22.

Im Gespräch mit der Automobilwoche attestiert auch Hella-Chef Bernhard Schäferbarthold dem indischen Markt "perspektivisch gute Chancen". Laut seiner Einschätzung werden in Indien heute etwa vier Millionen Fahrzeuge produziert. "Für 2030 erwarten wir nahezu eine Verdoppelung. Der Markt wird dann in etwa halb so groß sein wie der europäische."

Indien ist für den Manager derzeit "eines der wenigen Länder mit einem starken Wirtschaftswachstum". Die indische Wirtschaft entwickelt sich mit jährlichen Raten zwischen sieben und acht Prozent. "Wir sehen eine wachsende Mittelschicht und eine deutlich zunehmende Kaufkraft im Markt." Früher hätten die Fahrzeuge in Indien nur über eine geringe technische Ausstattung verfügt und waren relativ günstig.

Derzeit gebe es dort den Trend hin zu SUVs und einer Differenzierung über Technologien, wie es das in der Vergangenheit auch in anderen Regionen dieser Welt gab. "Und das passiert derzeit mit einer hohen Geschwindigkeit. In dem Markt ist also sehr viel Dynamik spürbar", konstatiert der Hella-Chef.

Es habe zwar in der Vergangenheit schon mehrmals Prognosen gegeben, dass sich der Markt gut entwickeln könnte, "aber jetzt sieht es tatsächlich so aus, dass die Entwicklung sehr stark nach oben geht". Indien ist derzeit für den Zulieferer noch ein relativ kleiner Markt. Der liegt bei etwa 200 Millionen Euro. Zur Einordnung: Der Hella-Umsatz lag in 2023 insgesamt bei acht Milliarden Euro.

Für Bosch nimmt der indische Markt beim Wasserstoffmotor eine Vorreiterrolle ein. Der Zulieferer sieht für die Technologie im Jahr 2030 insgesamt ein Marktvolumen von nahezu einer Milliarde Euro. "Schon in diesem Jahr kommt in Indien ein Wasserstoffmotor mit unserer Einblastechnik auf die Straße, und wir arbeiten bereits an fünf Serienaufträgen namhafter Lkw-Hersteller aus allen Teilen der Triade", erklärte Bosch-Chef Stefan Hartung.

Rudolf Stark, Leiter der ZF-Division Passive Sicherheitstechnik, die in ZF Lifetec umbenannt wird, setzt beim künftigen Wachstum auf Schwellenländer wie Indien. "Dort ist der Anteil der Fahrzeuge mit ausreichenden Sicherheitsausstattungen relativ gering und es gibt Wachstumsmöglichkeiten für uns. Was uns wichtig ist: Wir schützen Leben und wir vermeiden Leid. Und es gibt einen ganz klaren wirtschaftlichen Faktor", erklärte Stark im Interview mit der Automobilwoche. Indien habe pro Jahr 150.000 Verkehrstote. "Dieser wirtschaftliche Faktor wird auch von der dortigen Legislative gesehen."

Aktivitäten gibt es auch bei der ZF-Division Commercial Vehicle Solutions (CVS). Im Februar wurde ein Werk im indischen Oragadam (Provinz Tamil Nadu) eröffnet, in dem künftig elektrische Komponenten für den indischen und globalen Markt produziert werden sollen. "Mit unserem Werk in Oragadam erweitern wir unser globales Produktionsnetzwerk und können auch die absehbar wachsende Nachfrage von indischen Herstellern mit einer lokalen Produktion erfüllen", sagt Peter Laier, Mitglied des ZF-Vorstands und unter anderem verantwortlich für die Division Commercial Vehicle Solutions und das Ressort Produktion.

Oragadam ist das mittlerweile 19. ZF-Werk auf dem indischen Subkontinent, das zehnte in der Region Tamil Nadu ganz im Süden Indiens. Dort werden demnächst auf über 7000 Quadratmetern neben Bremsen und Fahrwerkkomponenten auch elektrische Komponenten wie Luftkompressoren für leichte und mittelschwere Nutzfahrzeuge produziert. In einer zweiten Phase soll das Werk auf 15.300 Quadratmeter erweitert werden, Das Gesamtinvestitionsvolumen bis 2032 beträgt 200 Millionen Euro.

Auch der Spezialist für Akustiklösungen, das Schweizer Unternehmen Autoneum, erweitert seine lokale Präsenz im Westen Indiens mit einem Werk in Pune im Bundesstaat Maharashtra. Der Zulieferer betreibt bereits zwei Standorte in Indien: einen in Behror bei Neu-Delhi im Norden und ein Joint-Venture-Werk in Chennai im Süden. Das Werk in Pune wird ab dem zweiten Quartal 2024 Teppichsysteme, Innen- und Radhausverkleidungen, E-Motorabdeckungen und andere Lärmschutzkomponenten produzieren. Autoneum will sowohl internationale als auch lokale Automobilhersteller beliefern, wobei der Schwerpunkt auf indischen und koreanischen Fahrzeugherstellern liegt.

Der Zulieferer Schaeffler hat unter anderem in Indien das Geschäft mit Ersatzteilen ins Visier genommen. Im August 2023 hat Schaeffler India, ein Tochterunternehmen der Schaeffler AG, 100 Prozent der Anteile an KRSV innovative Auto Solutions Private Limited (KRSV) übernommen. KRSV mit Sitz in Bangalore bietet mit der B2B-E-Commerce-Plattform Koovers Reparaturlösungen für Werkstätten im indischen Aftermarket an.

Koovers beliefert mehr als 7000 Werkstätten und verfügt über ein Portfolio von etwa 1,8 Millionen Teilen verschiedener Hersteller. Schaeffler rechnet damit, den Anteil digitaler Angebote in diesem Markt von einem Prozent im Jahr 2022 auf sieben bis zehn Prozent im Jahr 2030 zu steigern. Die gesamte Entwicklung des Fahrzeugbestands und des durchschnittlichen Fahrzeugalters soll in Indien bis 2030 zu einem Wachstum des automobilen Ersatzteilmarkts um 75 Prozent führen.

Indische Zulieferkonzerne treten auch als Käufer deutscher Unternehmen auf. Allen voran Samvardhana Motherson International. Im Sommer vergangenen Jahres übernahm der Konzern den insolventen fränkischen Zulieferer Dr. Schneider mit 4500 Beschäftigten für knapp 120 Millionen Euro. Dr. Schneider beliefert die Automobilindustrie mit Belüftungssystemen, Verkleidungen, Mittelkonsolen und weiteren Ablagen im Fahrzeuginnenraum.

Samvardhana Motherson ist in Deutschland seit Jahren als Autozulieferer aktiv. Dem indischen Familienunternehmen gehört unter anderem die ebenfalls auf Kunststoffteile spezialisierte ehemalige Peguform aus Bötzingen bei Freiburg sowie der früher als Schefenacker firmierende Rückspiegel-Hersteller Reflectec aus Stuttgart.

Die wachsende Bedeutung Indiens als Industriestandort lässt sich auch an den jährlichen Roboter-Installationen ablesen. Im Jahr 2022 belegte der Subkontinent in einer Analyse der International Federation of Robotics (IFR) weltweit Rang elf bei der Anzahl der installierten Roboter in einem Jahr. Von den branchenübergreifend 5353 installierten Robotern entfielen 28 Prozent auf die Automobilindustrie. Bei der Roboterdichte ist Indien allerdings noch weit von der Spitze entfernt. So lag die Anzahl der Industrieroboter pro 10.000 Beschäftigte bei 206 Einheiten. Fast ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor. Allerdings ist noch Luft nach oben: In China lag der Vergleichswert 2022 bei 894, in den USA bei 1493 Einheiten.

Das verarbeitende Gewerbe profitiert auch von den Initiativen der indischen Regierung, Indien für Investoren attraktiver zu machen. Das Production-Linked-Incentive-Programn (PLI) läuft beispielsweise bis zum Jahr 2025. Subventioniert werden damit Unternehmen, die in Indien Produktionskapazitäten in Abnehmerbranchen für Robotik schaffen. Dazu zählen unter anderem die Automobil-, Metall-, Pharma- und Lebensmittelindustrie. Zu den weltweit wichtigen Anbietern im Automobilbereich zählen Unternehmen wie Fanuc, ABB oder auch Kuka.