Autobranche wartet auf Tauwetter in Genf

Frankfurt. Beim traditionellen Frühjahrstreffen der Autobranche am Genfer See dürfte das ersehnte, alljährliche Frühlingserwachen dieses Jahr ausbleiben. Zu tief sitzt der Schock, den die weltweite Absatzkrise ausgelöst hat. Und das erzwungene Umdenken in Richtung neue Antriebe hat zwar eingesetzt. Fahrzeuge, die den neuen Ansprüchen genügen, gibt es aber bislang nur wenige in Serienreife. Nun ist vor dem Genfer Automobilsalon (4. bis 14. März) allenthalben zu hören, nach dem rasanten Absturz sei die Talsohle durchschritten. Gleichzeitig ist allen klar, dass der erhoffte Aufschwung nach dem Auslaufen der staatlichen Subventionsprogramme allenfalls langsam vonstatten gehen wird. Genf wird der Branche wohl kaum den Impuls geben, die Winterstarre gänzlich abzuschütteln. Derzeit keimen Hoffnung auf weniger eisige Zeiten allenfalls auf andern Messen, in anderen Regionen.

Dieses Verschieben der Gewichte hat handfeste Gründe. Denn eine Rückkehr zu früheren Erfolgen dürfte auf den etablierten Märkten schwer werden. Nicht zuletzt deshalb wenden sich die Autobauer mit Begeisterung den Wachstumsmärkten in China, Brasilien und Indien zu. Eine Folge davon: Die etablierten Messen verlieren ihre Hausmacht. Der Glanz von Genf scheint verblasst, angesichts neuer Messesterne, die in Delhi oder Peking aufgehen.

Ein "Modellfeuerwerk", wie es so schön im Fachjargon heißt, wird deshalb zumindest von den deutschen Herstellern in Genf nicht gezündet. Ohne Zweifel, BMW präsentiert mit dem neuen Fünfer eines seiner wichtigsten Modelle und einen der Gewinnbringer des Konzerns. Die Neuauflage des als Geschäftswagen beliebten Fünfer kommt also scheinbar genau zum rechten Zeitpunkt, da die Dienstwagenverkäufe Branchenexperten zufolge wieder anziehen sollen. Trotzdem bleibt das neue Modell, bei allem zugestandenen Interesse, eine neue Generation einer seit Jahren bestehenden Baureihe. Verbesserungen darf man erwarten, Überraschungen aber eher weniger.

Dazu hat möglicherweise der komplett neue Audi A1 das Zeug. Er besetzt spät eine vom Mini geschaffene Nische. Die BMW-Tochter hat mit ihren Verkaufserfolgen in den vergangenen Jahren bewiesen, dass "Premium“ - also hochpreisige Fahrzeuge, bei denen viel Geld für das passende Image ausgegeben wird - auch bei Kleinwagen funktioniert. Nun bleibt abzuwarten, ob Audi in dem recht schmalen Segment neue Maßstäbe setzen kann.

Die übrigen deutschen Hersteller satteln vornehmlich auf Etabliertem auf: Daimler schickt als weitere Variante der im vergangenen Jahr neu vorgestellten E-Klasse das Cabrio ins Rennen. VW weitet die Varianten beim Kleinwagen Polo aus und bietet den Geländewagen Touareg jetzt auch mit Hybridantrieb.

Bei Porsche legt man die zusätzliche Hybridisierung des Antriebs sportlich aus und verschafft einem ohnehin schon schnellen Sportwagen zusätzliche PS. All das klingt eher nach Evolution, denn Revolution.

Beim Thema alternative Antriebe bleibt es vorerst weitgehend bei Ankündigungen. Die Hersteller demonstrieren in Genf mit Studien, dass sie am Thema dran sind und informieren über ihren aktuellen Entwicklungsstand. Tatsächlich zu kaufen sind aber bislang nur wenige Modelle. Hinzu kommt, dass einer der Avantgardisten der alternativen Antriebe, Toyota, gerade von anderen Sorgen geplagt wird. Die weltweiten Rückrufe wegen verschiedener technischer Probleme stellen das fest etablierte Qualitätsimage der Japaner in Frage und könnten auch zur Gefahr für den weiteren Vormarsch der Hybrid-Modelle werden.

Häme ist von der sonst nicht zimperlichen Konkurrenz in diesem Fall allerdings nicht zu hören. Schließlich sind alle Hersteller gezwungen, durch die Verwendung gleicher Teile bei den Produktionskosten zu sparen. Es könnte also fast jeden Ähnliches treffen. Um die Wahrscheinlichkeit einer vergleichbaren Pannenserie zu minimieren, sollen nun allenthalben die Kontrollen der Prozesse und Standards verstärkt sowie genau über die Zulieferer gewacht werden.

Besonders genau hinschauen dürfte Europas größter Autobauer Volkswagen, der angekündigt hat, Toyota bis 2018 als Weltmarktführer abzulösen. Derweil übt sich VW-Chef Martin Winterkorn, der mit seinem Konzern als einer der Profiteure der staatlichen Abwrackprogramme des vergangenen Jahres gilt, in Zurückhaltung. Er wird nicht müde zu erklären, 2010 bleibe ein schwieriges Jahr. Damit spricht der Konzernchef, der allen Grund hätte, mit breiter Brust vor die Kollegen zu treten, all solchen aus dem Herzen, die tiefrote Zahlen und einen hohe Schuldenstand erklären müssen.

Die finanzielle Schieflage blieb vor allem bei ins Wanken geratenen US-Riesen im Darwin-Jahr 2009 nicht folgenlos. Um zu überleben, flüchtete sich Chrysler unter das Fiat-Dach. Die bisherige Ford-Tochter Volvo gehört jetzt Chinesen und der zweite größere schwedische Hersteller, Saab, wird nun vom bislang nur Insidern bekannten niederländischen Sportwagenhersteller Spyker geführt. Bei Opel ging das Führungsteam, weil die alte Mutterkonzernmutter General Motors die europäische Tochter nicht in die Unabhängigkeit entließ.

Aber auch die übrigen Hersteller zwingt die Notwendigkeit, trotz klammer Kassen, weiter in neue Antriebstechnologien zu investieren, zu vermehrten Kooperationen. So basteln Daimler und Renault dem Vernehmen nach an einer möglichen Zusammenarbeit bei den Stadtwagen Smart und Twingo. BMW und Peugeot haben sich gerade über eine Fortsetzung ihrer gemeinsamen Motorenentwicklung verständigt, während der PSA-Konzern gleichzeitig mit einem engeren Zusammengehen mit Mitsubishi a la Renault/Nissan liebäugelt.

Angesichts des bislang besonders harten Winters, der die Branche nun schon lange im Griff hält - Experten rechnen für das laufende Jahr in Europa mit einem Marktrückgang von fast zehn Prozent, weltweit könnte ein kleines Plus herausspringen - dürfte in diesem Jahr am Lac Leman eher eine verhaltene Stimmung vorherrschen.

Dabei kann sich der neutrale Schweizer Boden langfristig als Pluspunkt für den Stellenwert der Messe im internationalen Vergleich erweisen. Wegen der fehlenden lokalen Autoindustrie gibt es anders als in Detroit, Frankfurt, Paris oder den weltweit neu aus dem Boden sprießenden Messen keine Platzhirsche, die die Medienaufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen. Wenn auch spektakuläre Neuvorstellungen ausbleiben, bietet Genf mit seiner gewohnt unaufgeregten Atmosphäre das Terrain für eine sachliche Diskussion. Vorm Autofrühling gibt's am Genfer See erst einmal bestenfalls Tauwetter. (dpa-AFX/gem)