Hannover. Die weltgrößte Nutzfahrzeugmesse IAA soll in dieser Woche zum Gradmesser der internationalen Konjunktur werden. Weil der wirtschaftliche Motor in vielen westeuropäischen Ländern weiter stottert, könnte die Nachfrage nach Nutzfahrzeugen mancherorts gleich mit abgewürgt werden, fürchten Skeptiker. Auf der IAA will die alarmierte Branche vom 20. bis zum 27. September (Pressetage 18.09. bis 19.09.) darum ihr Selbstbewusstsein aufpolieren - und mit jeder Menge Neuheiten gegen die Absatzkrise in Westeuropa anfahren.
Wohl nur Maschinenbau und Elektrotechnik reagieren noch anfälliger auf Schwankungen der ökonomischen Großwetterlage als das Geschäft mit Brummis, Lieferwagen und anderen automobilen Arbeitstieren. Nicht allein im Pkw-Geschäft sind Märkte wie Spanien, Italien oder Portugal von der Kaufzurückhaltung durch staatliche Spardiktate infolge der Euro-Schuldenkrise gebeutelt. Die Nutzfahrzeugbauer leiden unter ganz ähnlichen Problemen. Denn wenn die Aufträge im produzierenden Gewerbe einbrechen, trifft es Transport- und Logistikfirmen mit als erste.Im ersten Halbjahr berichtete der europäische Autoverband Acea in dem Segment von einem Neuzulassungs-Minus von 10,8 Prozent auf knapp 900.000 Einheiten in der EU. Verglichen mit den ersten sechs Monaten 2011 sank die Nachfrage in Deutschland dabei noch relativ moderat um 1,9 Prozent. Derweil lagen die spanischen (-25,5) und italienischen (-37) Märkte am Boden. In Frankreich (-7,2) und Großbritannien (-5,1) mehrten sich zumindest die Anzeichen, dass es steil bergab geht.IAA-Aussteller hoffen auf USA und Russland
Weil sich die Situation in Süd- und Westeuropa aber so bald kaum stabilisieren dürfte, blicken die Produzenten hoffnungsvoll in andere Teile der Welt. Die Traditionsbranche, die in Deutschland nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie (VDA) gut ein Viertel aller Mitarbeiter des gesamten Auto-Sektors beschäftigt, will die großen Potenziale in Osteuropa, Asien und Amerika heben. «Durch Wachstum in anderen Regionen - wie in den USA oder Russland - können wir das ausgleichen», glaubt VDA-Präsident Matthias Wissmann.
Daheim könnte sich noch eine andere Entscheidung als inoffizielles «Konjunkturpaket» entpuppen: Besonders schadstoffarme Lkw, die die strengen Vorgaben der neuen Euro-6-Norm erfüllen, könnten bald in den Genuss geringerer Mautgebühren kommen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) stellte dies in Aussicht. Die Autobranche hatte eine eigene Mautklasse für Euro-6-Lastwagen gefordert, die vier Cent pro Kilometer günstiger als die nächsthöhere Gebührenklasse ist.Doch unabhängig von möglichen finanziellen Erleichterungen im deutschen Güterverkehr ist die Stimmung bei vielen der rund 1900 Aussteller eher gemischt. Daimlers Lkw-Chef Andreas Renschler bringt es noch relativ entspannt auf den Punkt: «Mit unserem Auftragseingang in Westeuropa sind wir zufrieden, aber es könnte natürlich besser sein.» Ein Rückgang in Gesamteuropa um zehn Prozent sei 2012 denkbar. Den Schwaben kommt aber zugute, dass sie bereits stärker als manch ein Rivale in Fernost und jenseits des Atlantiks unterwegs sind.Die Nutzfahrzeugsparte von Europas Auto-Primus VW konnte zuletzt sogar in Westeuropa draufsatteln - die Hannoveraner rechnen die gute Entwicklung in Deutschland hier jedoch mit ein. In der Summe wuchsen die Verkäufe im ersten Halbjahr um 3,7 Prozent. Der Münchner MAN-Konzern, an dem VW inzwischen über drei Viertel der Anteile hält, kommt mit seinen Schwerlastern dagegen schlecht vom Fleck: Im zweiten Quartal fuhren die Bayern in die roten Zahlen. Der VW-Ableger Scania aus Schweden, dessen Verhältnis zu MAN als schwierig gilt, verdiente in der ersten Hälfte 2012 ein Drittel weniger als vor einem Jahr.
Insbesondere Renault und Volvo, die ihr Geschäft mit großen Trucks zusammengelegt haben, wollen sich mit Daimler und der VW-Gruppe einen Dreikampf liefern. Volvo konnte seinen Nutzfahrzeug-Gewinn im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr fast halten. Konzernchef Olof Persson begründete das mit der Stärke in Nordamerika und Osteuropa. Das habe Probleme in Südamerika und Westeuropa ausgebügelt.Wie auch immer das Wettrennen in Zeiten der Krise ausgeht: Alle Beteiligten beschwören zur IAA, dass man sich keinen Rezessionsklagen hingeben dürfe. Das mag mit Blick auf Europa wie das Pfeifen im Walde klingen. Bei den globalen Aussichten versucht Wissmann die Deutschen jedenfalls zu beruhigen: «Der Markt dürfte stabil bleiben.» Und 2013? Analyst Eric Heymann von Deutsche Bank Research sieht etwas Licht: «Unter dem Strich sind die Erwartungen für Europa alles andere als berauschend, aber zuversichtlicher als noch für das laufende Jahr.» (dpa/nib)