Der weltgrößte Autobauer Volkswagen legt am 1. August (Mittwoch) die Bilanz des zweiten Quartals vor. Seit Mitte April hat Herbert Diess im Konzern das Sagen, also seit mehr als 100 Tagen - und trotz des ordentlichen Laufs im Tagesgeschäft hat der Österreicher gleich mehrere schwere Probleme zu lösen. Bis seine neue Markenstrategie im Unternehmen mit den zwölf Fahrzeugmarken greift, braucht es noch Zeit. Zunächst gilt es, die Spätfolgen der Dieselkrise zu bewältigen und insbesondere die Kernmarke VW Pkw weiter auf Rendite zu trimmen.
Starkes zweites Quartal und düstere Aussichten für VW
Bestimmendes Thema dürften beim weltgrößten Autobauer die Probleme rund um den neuen Abgastest-Standard WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure) sein, der ab dem 1. September für jedes in der EU verkaufte Auto vorgegeben ist. Bei VW sorgt das wegen der Vielfalt aus Motor- und Getriebekombinationen für besonders schwerwiegende Probleme, nach den Werksferien wird die Produktion in mehreren Werken tageweise stillstehen.
Ab August muss VW trotz der reduzierten Produktion viele Autos auf Sonderflächen zwischenlagern, weil die entsprechenden Modelle den Test noch nicht erfolgreich absolviert haben. Wie lange die Probleme absehbar bestehen, darauf dürfte Konzernchef Herbert Diess bei den Zahlen eingehen.
Vom Zollstreit zwischen China und den USA bleibt Volkswagen größtenteils verschont, da im US-Werk in Chattanooga nur Modelle für den amerikanischen Markt produziert werden - höhere Einfuhrzölle in China für US-Autos treffen den Konzern daher nicht. Allerdings könnten bei den Luxusautos von Porsche der eine oder andere chinesische Käufer die ab dem 1. Juli gesenkten Zölle für Autos aus der EU zum Anlass genommen haben, schon vorher niedrigere Preise zu fordern. Das hatte auch Daimlers Hausmarke Mercedes-Benz im zweiten Quartal viel Geld gekostet.
Zudem zieht der Dieselskandal auch fast drei Jahre nach dem Bekanntwerden immer weitere Kreise: Der von seinen Aufgaben bis zur Klärung des Sachverhalts entbundene Audi-Chef Rupert Stadler sitzt wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, dass er Einfluss auf Zeugen im Ermittlungsverfahren gegen ihn nehmen wollte. Der Manager steht im Verdacht, den Verkauf von Dieselautos mit manipulierter Abgastechnik in Europa nicht gestoppt zu haben. VW hat den BMW-Einkaufschef Markus Duesmann abgeworben - ob er aber Stadlers Audi-Posten übernimmt, ist noch unklar. Derzeit führt kommissarisch Vertriebschef Bram Schot die Audi-Geschäfte.
Außerdem wirkt das Kapitel Diesel auch finanziell nach. Im Juni hat VW von der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein Bußgeld von einer Milliarde Euro aufgebrummt bekommen. Grund waren "Aufsichtspflichtverletzungen in der Abteilung Aggregate-Entwicklung im Zusammenhang mit der Fahrzeugprüfung" rund um die Dieselaffäre. Der Konzern hat die Geldbuße akzeptiert, was den Gewinn belastet.
Barclays-Analystin Dorothee Creswell rechnet im zweiten Halbjahr wegen der Schwierigkeiten mit WLTP mit Kosten in Milliardenhöhe. Die Expertin geht davon aus, dass rund 265.000 Autos im Konzern - davon der größte Teil bei der Kernmarke VW - nicht produziert werden können wie geplant. Weil die Fixkosten zwar weiter laufen, auf der anderen Seite aber für die betroffenen Autos kein Geld ins Haus kommt, dürfte sich die Belastung für das operative Ergebnis auf etwas mehr als eine Milliarde Euro belaufen. Rund drei Viertel der Kosten könnten aber im kommenden Jahr dann wieder aufgeholt werden.
Dass vor allem die Kernmarke mit ihren vielen Modellvarianten besonders betroffen ist, könnte der Analystin zufolge aber auch positive Folgen haben: Das sollte dem Unternehmen zu denken geben, die Produktvielfalt und die Komplexität schneller zu senken.
Die Zahlen des abgelaufenen zweiten Quartals dürften Diess Rückenwind geben. Der Konzern hat bis zur Jahresmitte mehr als 5,5 Millionen Fahrzeuge ausgeliefert, gut 7 Prozent mehr als vor einem Jahr. In China und Westeuropa sind die Märkte weiter stabil, in Osteuropa und Südamerika erholen sie sich von Rückgängen.
Sechs von Bloomberg bis Dienstag befragte Analysten schätzen den Umsatz im Jahresvergleich um rund 4 Prozent höher bei 62,1 Milliarden Euro. Horst Schneider von der HSBC rechnet wegen der Mischung aus teureren Autos und einem Lageraufbau bei den Händlern noch mit deutlich mehr Erlös - demnach könnten es mehr als 9 Prozent Plus auf 65,4 Milliarden Euro werden.
Beim um Sondereinflüsse bereinigten Ergebnis vor Zinsen und Steuern steht VW ein starker Anstieg von 9 Prozent auf 5 Milliarden Euro ins Haus - die milliardenschwere Dieselgeldbuße ausgeklammert. Einige Analysten gegen sogar noch weiter, Expertin Creswell von Barclays kalkuliert mit 5,2 Milliarden Euro, Schneider von der HSBC mit 5,3 Milliarden Euro. Dennoch: Trotz der guten Zahlen sollten es vor allem die Aussagen zum weiteren Jahresverlauf in sich haben, so die Experten. Danach dürften sich auch die hohen Markterwartungen im mittleren Bereich der Prognose einpendeln, schreibt Schneider.
Unter dem Strich sollte es wegen der Sonderbelastung aus dem Dieselskandal wenn überhaupt, dann nur wenig mehr Gewinn geben. Vor einem Jahr hatte VW 3,1 Milliarden Überschuss gemacht.
Volkswagen rechnet im Tagesgeschäft mit einer operativen Rendite vor Zinsen und Steuern zwischen 6,5 und 7,5 Prozent. Finanzchef Frank Witter erklärte die als vorsichtig geltende Prognose auch damit, dass der WLTP-Standard im Laufe des Jahres Probleme machen könnte. Ob VW genau beziffert, was das Tohuwabohu kosten könnte, ist fraglich.
Sondereinflüsse wie das Dieselbußgeld aus Braunschweig klammert VW bei der Prognose ohnehin aus. Spannend wird, mit welchen Belastungen Diess und sein Finanzchef Witter durch WLTP im zweiten Halbjahr rechen - und wann sie den Rückstand wieder aufholen wollen.
Beim Umsatz rechnen die Wolfsburger insgesamt mit einem Plus von bis zu 5 Prozent. Die Auslieferungen sollen moderat zulegen. (dpa-AFX/gem)
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