Detroit. Draußen ist es bitterkalt, aber drinnen geht es heiß her: Beim Auftakt zum ersten PS-Gipfel dieses Jahres, der North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit (Publikumstage: 17. bis 25. Januar), zeigten die Autobauer im Viertelstundentakt so viele Neuheiten, dass es manch einem Messebesucher den Schweiß auf die Stirn trieb. Und wie immer stehen im COBO Center und in der Joe Lewis Arena zahlreiche Premieren im Rampenlicht, die diesseits des Atlantiks genauso viel Aufhebens machen werden wie in den USA.
Die Vernunft hat auch in diesem Jahr mal wieder Pause. Angesichts eines Rekordtiefs bei den Benzinpreisen, eines drastischen Anstiegs der Neueinstellungen und extrem niedriger Zinsen wollen die Amerikaner ihre Lust an der Leistung ausleben und große Autos genießen. Und die Hersteller kommen diesem Bedürfnis bereitwillig nach: «Der Trend des vergangenen Jahres setzt sich fort», sagt Marcus Berret, Partner von Roland Berger Strategy Consultants in München. «Nach einem starken Fokus auf Elektroantriebe und Hybridfahrzeuge vor zwei Jahren gehen die Angebote nun weiter zurück zu Pick-ups, Geländewagen und leistungsorientierten Modellen.»
Dabei fahren die deutschen Hersteller ganz vorne mit: Audi hat zur NAIAS die zweite Generation des dicken SUVs Q7 mitgebracht, Mercedes schickt gegen den BMW X6 das neue GLE Coupé ins Rennen und hat das Modell gleich in der verschärften Version AMG 63 mit bis zu 430 kW/585 PS auf die Bühne gestellt. Porsche erweitert die 911-Familie um den Targa 4 GTS und krönt den Cayenne mit einer 419 kW/570 PS starken Turbo-S-Variante. Und bei BMW dreht sich alles um das Facelift für die Sechser-Familie. Bescheidenheit geht anders - auch wenn Audi schon über einen Q7 als Plug-in-Hybrid spricht und Mercedes die C-Klasse mit Steckdosenanschluss und bis zu rund 30 Kilometern elektrischer Reichweite präsentiert.
Auch VW zeigt einen großen Geländewagen. Das Cross Coupé GTE mit Plug-in-Hybridantrieb soll vergleichsweise genügsam sein: Umgerechnet 3,4 Liter stellen die Niedersachsen in der US-Norm für das 265 kW/360 PS starke Modell in Aussicht. Doch die Sache mit dem blauen Blickfang hat gleich zwei Haken: Erstens ist das Cross Coupé nur eine Studie für das Ende 2016 avisierte Serienmodell, und zweitens wird es den Touareg zum Tiguan-Preis vorerst nicht in Europa geben.
Das gilt auch für die meisten Neuheiten der US-Hersteller wie den überarbeiteten Ford Explorer oder den aufgefrischten Pick-up von Ram. Selbst den viel beachteten Chevrolet Volt können die Europäer links liegen lassen. Obwohl die elektrische Reichweite erhöht und der Verbrauch gesenkt wurde, wird er es nicht über den Atlantik schaffen. Denn Chevrolet zieht sich vom Markt zurück, und Opel lässt den baugleichen Ampera auslaufen. Dafür lohnt vielleicht ein Blick auf den rein elektrischen Bolt, der es mit über 300 Kilometern Reichweite für unter 30.000 Dollar (rund 25.400 Euro) in Serie schaffen soll und Opel als Entwicklungsgrundlage für ein eigenes E-Auto dienen könnte.
Ganz sicher nach Europa kommen ein paar Nischenmodelle, die in Detroit nicht minder lautstark bejubelt werden: Ein Cadillac CTS-V mit 471 kW/640 PS und die Neuauflage des legendären Ford GT, der mit mehr als 441 kW/600 PS in einer Liga mit Ferrari und Co. fahren will.
Allerweltsautos für Amerika und Spezialitäten für alle Welt - so sieht es auch bei den asiatischen Herstellern aus. Neben reinen US-Modellen wie den Pick-ups Toyota Tacoma oder Nissan Titan stehen dort Neuheiten wie der Nachfolger des Supersportwagens Honda NSX im Rampenlicht.
Potente Sportwagen, protzige SUVs und prächtige Limousinen - so feiert Detroit mit leichter Verspätung eine rauschende Neujahrsparty. Dass auch ein paar Fahrzeuge mit alternativen Antrieben auf der Messe stehen, geht angesichts der Kraftmeierei beinahe unter. Und kleine oder vernunftorientierte Autos sucht man auf der Messe vergebens. Doch weil Benzinpreise und Zinsen in den USA so niedrig sind wie schon lange nicht mehr, interessiert sich für solche Modelle im Moment auch niemand, stellt Marktbeobachter Gene Grabowski aus Washington fest. Der üble Kater dürfte nach der großen Party also ausbleiben, sagt er angesichts der guten Prognosen für den US-Markt.
Doch keine Sorge, viele Aussteller geben Entwarnung für die rationaleren Kunden in Europa: Wenn in ein paar Wochen der Autosalon in Genf eröffnet, wollen sie wieder kleinere Brötchen backen. (dpa/gem)