Von Kap zu Kap mit einem Auto voller Daten

München. Welche Daten können vernetzte Autos erfassen und wie sind sie zu entschlüsseln? Das sind die großen Fragen, die sich Autohersteller und Zulieferer stellen. Im Rahmen eines Rekordversuchs des Rennfahrers Rainer Zietlow, der bei der "Cape to Cape"-Challenge im vergangenen Jahr teilgenommen hat, wurde sein VW Touareg mit möglichst vielen Messgeräten ausgestattet. Das Ziel war, so viele Daten wie möglich von seiner 19.000 Kilometer-Tour vom Nordkap nach Südafrika zu sammeln. Zum größten Teil stattete der IT-Anbieter HP und der Automotive-Engineering-Spezialist IAV den Touareg aus. Jetzt gibt es eine erste Zusammenfassung der Datenanalyse.

HP brachte seine Erfahrungen rund um moderne IT-Systeme, Cloud-Services und die schnelle Auswertung umfassender, komplexer Datenbestände ein, IAV Expertise rund um Bordelektronik und Fahrzeugsensorik.Zwar erreichte das Team um den Rennfahrer Zietlow nicht das Ziel im gesteckten Zeitrahmen von neun Tagen, da Zietlow in einen Unfall verwickelt wurde. Doch der hochtechnisierte Touareg lieferte eine Fülle aufschlussreicher Sensordaten, die in Kombination mit den Wetterdaten nützliche Erkenntnisse für die weitere Entwicklung intelligenter vernetzter Fahrzeuge bieten.

Der Touareg protokollierte während der Fahrt ganze 70 Signale zum Fahrstil: Wie wurde Gas gegeben, wie gebremst, wie in die Kurve gefahren? Welche Lenkkorrekturen gab es in der Kurve? Wann und wie häufig mussten die Fahrassistenzsysteme eingreifen? Wann und wie häufig wurde der Tempomat genutzt? Insgesamt ergab die Rekordversuchsfahrt einen Bestand von 1,6 Milliarden Datenbankzeilen, die es für HP auszuwerten galt. Dazu kommen die Bilddateien der Dashboard-Kamera sowie Verkehrsinformationen, Wetterdaten und Social-Media-Reaktionen.

Die Messwerte zum Fahrverhalten erhielt ein HP-Spezialist in den USA für die Datenanalyse. Dieser konnte anhand der Messdaten erkennen, dass bei der Challenge drei verschiedene Fahrer am Lenkrad gesessen sein mussten - was stimmte: Rainer Zietlow war mit zwei Beifahrern unterwegs gewesen, und die drei hatten sich beim Fahren abgewechselt.

Die Datenanalyse belegte: Ja, man kann durch die Auswertung von Fahrzeugdaten unterschiedliche Fahrstile sichtbar machen. Solche Erkenntnisse lassen sich für vielerlei Einsatzfälle heranziehen. So könnte eine Kfz-Versicherung, eine Autovermietung oder der Manager einer Firmenwagenflotte künftig besonders umsichtiges Fahrverhalten belohnen - und dabei zwischen mehreren Nutzern des gleichen Fahrzeugs unterscheiden. Autovermieter zum Beispiel könnten ihren Kunden auf der Basis einer individuellen Fahrtdatenauswertung günstigere Tarife anbieten, Versicherer spezielle Rabatte gewähren und Flotteninhaber Bonusprogramme an das gewünschte Fahrverhalten knüpfen, belegt durch diverse Indikatoren wie zum Beispiel die Nutzung der Abstandsautomatik im LKW-Kolonnenverkehr.

Während der Fahrt wertete HP laufend die Social-Media-Kommentare zum Fahrtgeschehen aus. Die Stimmungsauswertung der Plattform ergab einen Anteil von nur 4,7 Prozent negativer Posts, die es auszufiltern galt. Die Höchstwerte positiver wie auch negativer Kommentare zeigten sich beim Unfall in Afrika: Negative Reaktionen gab es vor allem aufgrund des Ausbleibens von Neuigkeiten zum Fortkommen, bis die betreffenden Nutzer bemerkten, dass es einen Unfall gegeben hatte. Positives Engagement kam vorrangig in Form des Anfeuerns der Fahrer, um diese angesichts des Rückschlags zu motivieren.

Eine unerwartete Erkenntnis: Seinen Spitzenwert erreichte das Engagement der Social-Media-Nutzer 16 Stunden nach dem Unfall - und dies nicht etwa durch verschiedene Zeitzonen bedingt. So gab die Cape to Cape Challenge mittels Big-Data-Analyse empirischer Daten Aufschluss darüber, wann es für Unternehmen am effektivsten ist, sich nach einem wichtigen Vorfall auf Social-Media-Plattformen zu engagieren.

Des Weiteren wollte man auch die Frage klären, ob es möglich ist, die Straßenbeschaffenheit während der Fahrt zu messen und auszuwerten. Dazu sammelten die bordeigenen wie auch zusätzliche Sensoren an Zietlows Touareg Angaben über das straßenbedingte Fahrverhalten, die vertikale Beschleunigung und die Unterschiede zwischen dem linken und dem rechten Rad?

Der Touareg erzeugte tausende Messdaten pro Sekunde. Die Fahrwerkssensoren feuerten mit 1000/s pro Sensor (also insgesamt 4000/s), andere Sensoren mit 100/s und wiederum andere mit 10/s. Die millisekundengenaue Abtastung ist innerhalb der Steuergeräte zwar üblich, doch wurden diese Daten bisher nicht in Serienfahrzeugen nach außen gegeben - dies würden den CAN-Bus des Fahrzeugs zu sehr belasten.

Diese enormen Datenmengen in Echtzeit in die Cloud zu übermitteln, stellte die Bord-IT vor große Herausforderungen - zumal je nach Gegend keine stabile Internetanbindung gegeben war. Wiederholt generierte das Fahrzeug angesichts der Extrembedingungen mehr Daten, als sie die Cloud aufnehmen konnte. Die Cape to Cape Challenge zeigte also auf, dass hier noch Entwicklungsbedarf für künftige Generationen vernetzter Autos besteht. Handelsübliche Sensorik, die hier verwendet wurde, war zudem schnell überfordert.

Heutige Navigationssysteme sind zwar in der Lage, die geplante Route aufgrund von Stauinformationen kurzfristig zu ändern, aktuelle Daten für höhere Sicherheit oder mehr Fahrkomfort liefern sie aber noch nicht. Spannend wird es, wenn Autos untereinander beginnen, Daten zu tauschen und sich selbst zu organisieren. (Mit Material von Jürgen Dettling, Chief Technologist, HP Deutschland und Christoph Kielmann, Fachbereichsleiter Fahrwerkentwicklung, IAV GmbH)