Berlin. Du steigst in deinen Wagen, und die Klimaanlage wählt genau die richtige Temperatur. Beim Starten springt auch die Audioanlage an, und es ertönt der Lieblingssong. Beim Losfahren meldet das Navi eine Sperrung auf der üblichen Strecke zur Arbeit und empfiehlt eine Umleitung. Weil die etwas länger dauert, verlegt das Auto gleich noch einen anstehenden Termin um ein paar Minuten nach hinten. Noch ist dieses Szenario nur eine Vision von Forschern, doch die Vorstellung vom mitdenkenden Auto ist offenbar schon ziemlich greifbar.
Mit Hochdruck arbeiten die Fahrzeughersteller am lernenden Auto, das die Insassen über Tage und Wochen genau beobachtet, ihre Vorlieben und Routinen studiert, bis es sich automatisch darauf einstellt: «Predictive User Interface», heißt dieser Ansatz bei Daimler, erläutert Kal Mos aus dem Entwicklungszentrum im Silicon Valley in Kalifornien und beschreibt das System wie einen digitalen Freund oder einen aufmerksamen Butler, der einem Wünsche erfüllt, bevor man sie ausgesprochen hat.
Bei Jaguar und Land Rover (JLR) in England läuft ein ähnliches Projekt unter dem Arbeitstitel «Self Learning Car». Die Anforderungen sind hoch: So müsse so ein System etwa aus den täglichen Routinen und dem Zugriff auf das Smartphone auch auf die wahrscheinlichsten Navigationsziele schließen und sie entsprechend programmieren können, erläutert einer der Entwickler. Es beobachtet den Verkehrsfluss und managt die anstehenden Termine im Büro in Abhängigkeit von der erwarteten Ankunftszeit. Es wechselt von Pop-Musik auf einen Nachrichtensender, wenn die Kinder zur Schule gebracht wurden und bringt so den Fahrer auf den neuesten Stand.
Das «Self Learning Car» weiß auch, wenn der Fahrer es auf dem Weg zum Sportstudio gerne etwas wärmer und auf dem Heimweg lieber etwas kühler mag. Und es hat gelernt, wenn jeden Freitag auf dem Heimweg ein Anruf bei einem Freund für eine Verabredung ansteht und unterbreitet entsprechende Vorschläge. Selbst an eine vergessene Aktentasche kann ein lernfähiges Auto erinnern. Etwa dann, wenn ein Fahrer eines Tages nicht den Kofferraum aufmacht, obwohl er es sonst jeden Tag tut, bevor er um halb neun ins Büro fährt. «Dann liegt der Verdacht nahe, dass er genau das, was er sonst immer einlädt, heute vergessen hat», sagt der JLR-Entwickler und zeigt strahlend auf das Display seiner Demo-Unit: «Haben Sie nicht was vergessen?»
Doch es geht den Entwicklern nicht allein um den Komfort und den Service für ihre Kunden. «Wir wollen die Ablenkung des Fahrers minimieren und sicherstellen, dass er sich voll auf den Verkehr konzentrieren kann», sagt JLR-Forschungschef Wolfgang Epple. «Er muss sich keine Gedanken mehr über seinen Terminplan machen, nicht durch irgendwelche Telefonlisten scrollen und keine Klimaeinstellungen mehr vornehmen, sondern kann einfach auf die Straße schauen,» so der oberste Forscher des britischen Herstellers.
Auch die Designer setzen große Hoffnungen in diese Projekte, ergänzt Daimler-Mann Mos. Denn für eine Funktion, die das Auto automatisch übernimmt, braucht man keinen Schalter mehr: «So können unsere Stylisten das Cockpit entsprechend aufgeräumt gestalten.»
Schon recht nah an der Realität ist ein Projekt des Zulieferers Recaro. Er arbeitet unter dem Oberbegriff «Smart Seating» an Sitzen, die sich mit einer App auf dem Smartphone justieren lassen und den Fahrer anschließend immer mit der perfekten Einstellung empfangen. Ein anderes Denkmodell dafür sind Sensoren im Sitz, mit denen die Insassen vermessen werden.
Ganz neu ist die Idee freilich nicht. Schon jetzt gibt es Fahrzeuge, die zumindest die Position von Sitzen und Spiegeln in Abhängigkeit vom jeweils benutzten Schlüssel speichern und die Einstellungen aktualisieren, wenn der Fahrer wieder einsteigt. Und spätestens für die Elektroautos i3 und i8 nutzt BMW nach Angaben von Pressesprecherin Silke Brigl eine prädiktive Routenabschätzung, um eine möglichst genaue Reichweitenvorhersage machen zu können. Dafür wertet das Fahrzeug die letzten Strecken und die Verkehrsbedingungen an der aktuellen Position aus und berechnet so im Hintergrund ständig die wahrscheinlichste Fahrstrecke.
Doch die neuen Ansätze gehen weiter, sagt Mercedes-Mann Mos: «Diese Technologie bringt uns ins Zeitalter der Kontext-Awareness, in dem sich das Fahrzeug zunehmend seiner Umwelt und den Gegebenheiten der Situation bewusst wird.» Das sei der nächste logische Schritt. «Es geht darum, das Leben einfacher und angenehmer zu machen, so dass man die Hände und seinen Kopf frei hat für wichtige Dinge.»
Was das für Formen annehmen kann, zeigt die Vision des chinesischen Autoherstellers Qoros, der für die LA Design Challenge am Rande der Los Angeles Autoshow die Idee vom persönlichen Assistenten «Q» entwickelt hat. «Er lernt den Geschmack des Nutzers, seine Lieblingsrestaurants, häufig besuchte Orte, musikalische Vorlieben und kennt seine Freunde oder Familienmitglieder», beschreibt der Ausrichter des Wettbewerbs den Ansatz der Asiaten. Und sobald Q irrationale Handlungen des Nutzers feststellt, kann er die Sicherheit erhöhen und schnell in den Modus für das Automatisierte Fahren umschalten, skizzieren die Chinesen den nächsten Schritt.
Weil die Hersteller wissen, dass viele Kunden darauf empfindlich reagieren würden und sich von ihrem Fahrzeug nur ungern komplett ausspionieren lassen, wird eine Menüfunktion auch beim selbst lernenden Auto immer bleiben, versprechen die Entwickler bei Daimler und JLR unisono: Der Knopf zum Abschalten. (dpa/gem)