Hannover. In guten Zeiten ist die größte Nutzfahrzeugmesse der Welt ein Ort, an dem sich die Industrienation Deutschland gern feiert. Dass 2012 dunkle Wolken über der IAA in Hannover aufgezogen sind, kann aber selbst der Chef des globalen Lkw-Marktführers Daimler nicht verhehlen. «Es scheint nicht überall die Sonne, aber wir haben insgesamt eine solide Großwetterlage», sagt Andreas Renschler.
Bei den Stuttgartern und ihren schweren Brummis ist das allgemeine Bild trotz aller Turbulenzen in Europa noch ausgewogen. Dies jedoch verdanken sie - wie so viele der 1904 Aussteller - vor allem einer Tatsache: Andere Kontinente springen mit nachfragestarken Märkten ein und dämpfen so die enormen Folgen der Staatsverschuldung im Euroraum.Von einem Krisengipfel will zumindest offiziell niemand sprechen. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schwärmt vom «beispiellosen Innovationsfeuerwerk» der 64. Messeauflage, zudem liege die alle zwei Jahre organisierte Nutzfahrzeug-Schau diesmal um neun Prozent über dem Niveau von 2010. Doch obschon von Katzenjammer keine Rede sein kann: Auf den Fluren und in den Konferenzsälen ist zu spüren, dass bei vielen Unternehmen die Unsicherheit überwiegt.Der VW-Konzern, dessen Nutzfahrzeuggeschäft mit den Töchtern MAN und Scania sowie den leichten Nutzfahrzeugen (VWN) gerade von Ex-Scania-Chef Leif Östling neu geordnet wird, kann auch in diesem Segment punkten - sogar im krisengeplagten Westeuropa. Um stolze 5,6 Prozent legten die Verkäufe kleiner Transporter, Lieferwagen und Pickups bis Ende August im Vorjahresvergleich zu. Westeuropa - das stärkere Deutschland eingerechnet - kam auf ein Plus von zwei Prozent.Blickt man auf die schweren Lastzüge, ist die Stimmung indes auch bei den Wolfsburgern weniger rosig. Scania hat ein hartes erstes Halbjahr hinter sich, MAN fürchtet trotz generellen Marktvertrauens Absatzrückgänge bei Lkw und Bussen. Und ausgerechnet dort, wo VW im Pkw-Geschäft die schweren Stöße aus Europa abfedert, ist der Konzern mit seinen Arbeitstieren noch nicht vertreten: in den USA. «Wir schauen uns mit großem Interesse den nordamerikanischen Markt an», unkt der neue VWN-Markenchef Eckhard Scholz. Näheres zu möglichen Plänen in den Vereinigten Staaten lässt er sich nicht entlocken.Andreas Renschler vom Rivalen Daimler kann derweil vor allem auf der anderen Seite des Atlantiks Boden gutmachen. Ein Teil der Absatzsteigerung von einem Fünftel seit Jahresbeginn stammt von dort. Da dürfte es ihn wenig stören, dass Volkswagen mit MAN Branchenkreisen zufolge derzeit intensiv über ein Nachfolge-Projekt beim Crafter/Sprinter sprechen soll - wobei die Stuttgarter eventuell das Nachsehen haben könnten.Der hauseigene Chefvolkswirt Jürgen Müller versucht es mit einer Prise Realismus: «Wir werden die Talsohle erreichen, und die Landung könnte auch etwas holpriger werden», meint der Daimler-Ökonom. Dabei habe es die Branche nicht nur mit rückläufigem Konsum und sinkenden Investitionen infolge der Euro-Schuldenkrise zu tun, sondern auch mit politischen Unwägbarkeiten wie der bevorstehenden US-Präsidentenwahl oder der vom Nahost-Konflikt beeinflussten Ölpreisentwicklung.Die Beobachter der Unternehmensberatung McKinsey nehmen bereits die langfristig absehbaren Trends ins Visier. Sie schätzen, dass der Weltmarkt für schwere Lkw bis zum Jahr 2020 um weitere 65 Milliarden auf einen Jahresumsatz von 190 Milliarden Euro zulegen dürfte. Die Gewinne der Anbieter seien ebenfalls ausbaufähig, glauben sie. Vor allem Asien und Amerika dürften sich weiter stark entwickeln.Doch was nützen den verunsicherten Nutzfahrzeugbauern solche Prognosen heute? Selbst VDA-Chef Matthias Wissmann hatte zumindest die Aussichten für das laufende Jahr vor kurzem noch einmal gedämpft: Statt des zunächst erwarteten Plus von fünf Prozent soll es beim Absatz der großen Arbeitstiere 2012 «keinen nennenswerten Zuwachs» geben.Eric Heymann, Automarkt-Analyst bei Deutsche Bank Research, warnt: «Die hohe Bedeutung des europäischen Absatzmarktes für die deutschen Nutzfahrzeug-Hersteller erweist sich in Zeiten der Krise als belastender Faktor.» Als Exportnation dürfte die Bundesrepublik die Tempoverschleppung zu spüren bekommen - lieferten die heimischen Nutzfahrzeugbauer 2010 doch 62 Prozent ihrer Produkte an die Nachbarn in Westeuropa aus. Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ist eher skeptisch, Entlastung komme wohl erst im übernächsten Jahr: «Das Terrain für die Nutzfahrzeug-IAA könnte besser sein.» (dpa/nib)IAA-Aussteller kämpfen gegen Europa-Knacks
Die Stimmung zur IAA 2012 ist geprägt von einer Mischung aus Vorsicht und Zweckoptimismus. Angesichts der Marktlage in Europa scheint nur eines sicher: Die Chancen der Nutzfahrzeug-Branche liegen anderswo.