VWN-Vorstand Krause: “Produktion des ID. Buzz deutlich erhöhen”

Herr Krause, im ersten Quartal 2024 lag der Anteil der Elektroautos an Ihren Auslieferungen bei knapp sieben Prozent. Das Ziel, 2030 55 Prozent aller Fahrzeuge rein elektrisch auf die Straße zu bringen, steht?

Ja, ganz eindeutig. Der anhaltend hohe Anteil an Verbrenner-Auslieferungen im ersten Halbjahr bei uns hat einen einfachen Grund: Der Ende Juni bevorstehende Auslauf der Produktion des T6.1. Das Fahrzeug erfreut sich einer extrem hohen Nachfrage. Das führte zu entsprechenden Priorisierungen der Produktionskapazitäten.

Der Elektroantrieb hat also auch im Nutzfahrzeug eine Zukunft?

Auf jeden Fall. Wir gehen für Europa davon aus, dass der Elektroantrieb in Transportern in drei bis vier Jahren der beliebteste Antrieb sein wird. Dabei spielen neben den gesamteuropäischen Vorgaben auch individuelle nationale Gesetzgebungen eine Rolle. In Norwegen ist dieser Punkt zum Beispiel längst erreicht, in den Niederlanden erwarten wir ihn 2025: Dort ist dann die Zulassung neuer Verbrenner-Transporter in vielen Städten nicht mehr erlaubt.

Der Weg in die Elektromobilität bleibt also auch bei den Transportern vorgezeichnet, und unsere Ziele gelten weiterhin. Politisch stabile Rahmenbedingungen in dieser Frage natürlich vorausgesetzt.

Ab Herbst bieten Sie auch die Neuauflage des Transporters in verschiedenen Varianten rein elektrisch an. Ein Fahrzeug für große Kundenkreise?

Zwei Drittel unserer Kunden könnten ihren Alltag schon heute mit einem elektrischen Transporter bewältigen. Im Vergleich zu unserer aktuellen Auslieferungsquote von knapp zehn Prozent tut sich also ein riesiges Potenzial auf. Der neue Transporter wird auch mit Elektroantrieb eine große Variantenvielfalt bieten – vom Kastenwagen bis hin zur Doppelkabine. Das ist aus unserer Sicht eine besonders wichtige Herausforderung, Transporter-Kunden von der Elektromobilität zu überzeugen.

Natürlich gibt es heute immer noch Einsatzzwecke, für die Elektro-Transporter nicht erste Wahl sind wie zum Beispiel im Anhängerverkehr oder auf der Langstrecke. Mittelfristig werden wir aber auch für diese Herausforderungen eine Lösung finden.

Während der Transformation hin zu E-Mobilität setzen sie weiterhin auf Diesel und erstmals auch auf Plug-in-Hybride. Weshalb dieser Antrieb in einem Transporter?

Auch wenn wir langfristig von der E-Mobilität überzeugt sind: Mittelfristig lässt sich heute nicht final bestimmen, wie sich die Nutzfahrzeug-Märkte europa- und weltweit entwickeln werden. Deshalb bilden wir auch während der Transformationsphase das gesamte Antriebsspektrum ab. Im Caddy und dem neuen Transporter zählen dazu künftig auch leistungsstarke Plug-in-Hybride, für die wir in Einzelmärkten viel Potenzial sehen.

Was meinen Sie mit Einzelmärkten?

Denken Sie an Süd- oder Zentraleuropa. Dort hat die Ladeinfrastruktur bei Weitem noch nicht den Ausbaustand wie in Nordeuropa. Deshalb können Plug-in-Hybride dort auch in Nutzfahrzeugen ein geeigneter Einstieg in die Elektromobilität sein.

Vom ID. Buzz haben Sie 2023 lediglich rund 35.000 Einheiten produziert. Da ist noch Luft nach oben.

Wie gesagt: Die Verteilung der Produktionskapazitäten ist im Wesentlichen auf das Ende der T6.1-Produktion zu sehen. Im zweiten Halbjahr, nach Auslauf des T6.1, wollen wir die Produktion des ID. Buzz deutlich erhöhen. Dann laufen auch neue ID. Buzz-Varianten an wie der GTX oder die Langversion mit bis zu sieben Sitzen an, von denen wir uns viel Resonanz erhoffen. Beim Multivan startet dann mit der 4Motion-Version ebenfalls eine weitere Version und unser neuer California steht auch in den Startblöcken.

In Hannover bauen Sie mit Multivan und ID. Buzz dann nur noch zwei Modelle. Der ID. Buzz muss künftig einen großen Teil zur Werksauslastung beitragen.

Im zweiten Halbjahr wollen wir doppelt so viele ID. Buzz bauen wie im Vorjahreszeitraum. Da befinden wir uns aber noch in der Werksumstellung nach dem Ende des T6.1. Mittelfristig soll und muss sich die Produktion des ID. Buzz, den wir für den gesamten Weltmarkt in Hannover bauen, im sechsstelligen Bereich bewegen. Mit Blick auf die neuen Varianten und die US-Markteinführung des ID. Buzz noch 2024 sowie den Marktstart in anderen Märkten in den nächsten Monaten ist das aus unserer Sicht realistisch. Auch ein nochmals günstigeres Einstiegsmodell mit der kleineren 62-kWh-Batterie wird zu einer gesteigerten ID. Buzz-Nachfrage beitragen.

Mit welchem Preisabschlag können die Kunden für das neue Einstiegsmodell beim ID. Buzz rechnen?

Wir haben die neue Einstiegsvariante des ID. Buzz noch nicht final eingepreist.

Ab 2028 wollen Sie mit dem neuen E-Crafter das erste Fahrzeug auf der neuen Space-Plattform anbieten. Dabei soll es aber nicht bleiben?

Richtig. Der Crafter wird als erster Teil dieser Space-Fahrzeugfamilie basierend auf einer rein elektrischen Plattform zukünftig wieder unser Modellangebot ergänzen. Und wir werden das Angebot an elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugen sukzessive weiter ausbauen. So werden wir dann auch unser Elektro-Ziel von mehr als 55 Prozent erreichen, wie wir es in unserer „Grip 2030“-Strategie verankert haben.

Caddy, Amarok und den neuen Transporter haben Sie zusammen mit Ford entwickelt. Eine Blaupause auch für den neuen Crafter?

Die Entwicklung der Space-Fahrzeugfamilie und damit auch des E-Crafters findet in Wolfsburg bei Volkswagen Nutzfahrzeuge statt. Ich würde aber nie ausschließen, dass Kooperationsanfragen an uns herangetragen werden.

Einen großen Elektro-Transporter haben Sie vier Jahre lang aber nicht im Programm …

Wir waren 2017 mit dem ersten E-Crafter der erste Anbieter im Markt mit einem großen Elektro-Transporter. Das Fahrzeug ist in diesem Jahr ausgelaufen und ja, wir werden einige Jahre lang keinen E-Crafter anbieten können. Allerdings: Derzeit findet die Transformation zur E-Mobilität vor allem in den kleineren Transporter-Segmenten statt. Und da sind wir mit dem ID. Buzz und in wenigen Monaten mit dem neuen Transporter in allen seinen Varianten sehr gut aufgestellt.

Wie werden Sie den Stadtlieferwagen Caddy elektrifizieren?

Der Caddy ist von seiner Größe her prädestiniert für eine Kooperation mit den Pkw-Kollegen der Markengruppe Core. Wir untersuchen derzeit, welche Synergien sich durch eine Zusammenarbeit mit ihnen ergeben können. Und: Mit dem PHEV machen wir in diesem Jahr beim Caddy einen wichtigen Schritt in Richtung Elektromobilität.

In Deutschland führen Sie für Ihre Elektro-Modelle zum 1. Oktober den Agentur-Vertrieb ein. Weshalb später als geplant?

Wie in anderen europäischen Märkten möchten wir auch in Deutschland eine direkte Beziehung zwischen uns und dem Endkunden aufbauen. Hier gehen wir aus zwei Gründen erst zum 1. Oktober an den Start. Um die Potenziale des Agentur-Vertriebs sinnvoll auszuschöpfen, bedarf es eines gewissen Volumens. Das erhalten wir ab Herbst mit dem ID. Buzz mit langem Radstand und der Elektro-Version des neuen Transporter. Zweitens: Wir wollen zu 100 Prozent vorbereitet in die neuen Strukturen gehen – was die Prozesse, die IT-Systeme und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern im Handel betrifft.

Weshalb aber ausschließlich ein Agentur-Vertrieb für Elektroautos?

In diesem Fall trifft ein innovatives Marktumfeld auf ein innovatives Vertriebskonzept. Da geht es auch darum, Erfahrungen zu sammeln – mit Blick auf Prozesse, IT, Finanzströme, Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Handel sowie vor allem auf die Kundeninteraktion.

Eine solch große Veränderung zunächst in einem definierten Volumen einzuführen, ist aus unserer Sicht für Kunden wie für Unternehmen der beste Ansatz. Dass wir uns dabei für Elektroautos entschieden haben, hängt auch mit der Offenheit der Zielgruppe gegenüber neuen Prozessen zusammen. Ein Weg, den wir im Volkswagen-Konzern ja markenübergreifend so eingeschlagen haben.

Welche Auswirkungen hat der Agentur-Vertrieb auf das Geschäft mit und die Abrechnung von Aus- und Umbauten?

Der Agentur-Vertrieb ändert praktisch nichts für das Geschäft mit Aus- und Umbauten. Der Umgang damit ist im Agentur-Vertrieb bereits aus dem Großkundengeschäft bekannt und wird ab dem 1. Oktober dann für Aus- und Umbauten von BEV-Fahrzeugen ausgeweitet. In diesem Fall greifen wir also auf eingeübte Prozesse zurück. Und zwar weiterhin auch über den Handel beziehungsweise Agenten.

Bedeutet der Agentur-Vertrieb für Sie mehr Mitspracherecht im wichtigen Rückläufer-Geschäft des Handels?

Es ist im Interesse von Handel wie Hersteller, das Geschäft mit Gebrauchtwagen und damit auch mit Leasingrückläufern so profitabel wie möglich zu gestalten. Dabei geht es am Ende darum, den besten Kunden für das jeweilige Fahrzeug zu finden. Gerade bei gewerblich genutzten Fahrzeugen geht es oft um ganz spezifische Anforderungen.

Wir setzen dabei unverändert auf die Kompetenz und Marktkenntnis unserer Vertriebsorganisation. Ein eventuelles Risiko wird durch das bewährte Restwertabsicherungsmodell der Marke Volkswagen Nutzfahrzeuge auf ein Minimum reduziert, professionelles Gebrauchtwagengeschäft und gute Marktperformance werden belohnt.

Wie frei ist der Händler dabei? Wie groß ist Ihr Mitspracherecht als Hersteller?

Die Leasingrückläufer werden weiterhin dezentral über den Handel vermarktet werden.

E-Mobilität und Digitalisierung bieten gerade im Transporter-Geschäft die Chance für neue Geschäftsmodelle. Wie greifbar sind die für Volkswagen Nutzfahrzeuge?

Neue Geschäftsmodelle über das Fahrzeug hinaus sind für uns schon heute an der Tagesordnung. Nehmen Sie zum Beispiel unseren Ride-Sharing-Service Moia, den wir ab 2026 in Hamburg auch fahrerlos anbieten werden. Ein klassisches Mobility-as-a-Service-Angebot. Wir sind aber auch im Bereich von Transport-as-a-Service-Lösungen aktiv, zum Beispiel mit unserem Start-up Cito in Berlin als digitaler Vermittler von Kurierfahrten.

Welche Rolle spielt das autonome Fahren dabei für Sie?

Das autonome Fahren ist hier ein Game Changer. Weil es mit seinen drastisch veränderten Kostenstrukturen für viele neue Services die Tür überhaupt erst öffnet. Im Güter- wie Personenverkehr. Das alles erfordert allerdings komplett neu gedachte Prozesse.

Denken Sie allein an die Be- und Entladung der Fahrzeuge, die heute ja immer noch vom Fahrer übernommen wird. Das sind Themen, die wir schon heute zusammen mit Partnern testen, um Antworten zu haben, sobald das autonome Fahren in der Fläche einsatzreif ist.

Wer besitzt die Software-Entwicklungskompetenz für das autonome Fahren?

Die Gesamtsystemverantwortung liegt bei Volkswagen. Die Entwicklung der Systemkomponenten erfolgt – wie bei klassischen Fahrzeugprojekten auch – sowohl in Eigenleistung als auch bei Partnern wie Mobileye. Die Betriebssoftware für die Fahrzeugflotten und das Buchungs- und Abrechnungssystem für die Kunden wird beispielsweise von unserem Tochterunternehmen Moia entwickelt.

Eine letzte Frage: Wann können wir einen elektrischen California von VWN erwarten?

Wie Sie wissen, ist das Camper-Geschäft für uns ein absolutes Kerngeschäft. Wir werden die Marke California weiter ausbauen bis hin zum California Universe, ein digitales Ökosystem rund um unsere Freizeitmobile. Selbstverständlich befinden wir uns auch in diesem Segment in einer Transformationsphase.

Was die Frage der Elektrifizierung betrifft, sprechen wir die Zielgruppe derzeit aus unserer Sicht am besten mit Plug-in-Hybriden an. Denn die Ladeinfrastruktur auf Campingplätzen ist für vollelektrische Fahrzeuge heute noch nicht ausgelegt. Aber natürlich wird es künftig auch vollelektrische Freizeitmobile von uns geben – wir haben ja bereits angekündigt, dass wir auch an einem vollelektrischen California auf Basis des ID. Buzz arbeiten. Und den bringen wir, wenn der Markt dafür reif ist.