Wie sieht die Autoproduktion der Zukunft aus? Geben die aktuellen Lieferkettenprobleme der smarten Produktion neuen Schub oder bremsen sie eher? Und droht der Mittelstand, technisch den Anschluss zu verlieren? Darüber wurde auf dem Webcast Automobilwoche TALKS BUSINESS intensiv diskutiert.
"Derzeit befinden wir uns in einem Phasenwechsel", sagte Olaf Pannenbäcker vom Zulieferer Continental, der dort als Vice President Manufacturing Processes & Solutions die digitale Transformation der Fertigung in der Automotive-Sparte leitet. Bei den bisherigen Smart-Factory-Ansätzen sei es noch vor allem darum gegangen, einzelne Anwendungen an einzelnen Standorten zu optimieren. "Künftig stehen wir vor einer weit größeren Herausforderung. Dass wir durch die Bereitstellung von Daten, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhoben werden, alle Stufen des Werteflusses transparent machen. Da tut sich gerade viel."
Möglich macht das der Fortschritt, den die Technik in den vergangen Jahren gemacht hat - und es heute ermöglicht, Terabytes an Daten auszutauschen und komplette digitale Zwillinge aller Fabriken zu erstellen, auf die auch aus der Ferne zurückgegriffen werden kann. "Das ist ein echter Technologiepush, der hier stattfindet", sagte Petra Foith-Förster, Leiterin des Geschäftsfeld Automotive beim Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). "Es sind plötzlich Technologien da, um Dinge zu realisieren, die früher undenkbar waren, weil sie zu komplex gewesen wären."
Dabei sei die Automobilindustrie beim Thema Digitalisierung und Industrie 4.0 schon jetzt weit vorn, sagte Oliver Schmidt, Leiter des Geschäftseinheit Digital Solutions bei der Unternehmensberatung Ingenics, die Firmen gezielt bei der Digitalisierung und Transformation der Produktionsprozesse begleitet. "Die OEMs und auch die großen First Tiers haben hier absolute eine Führungsrolle", sagte er. Das habe eine Studie, die Ingenics dazu im vergangen September vorgelegt hat, deutlich gezeigt.
Das mache sich auch bezahlt, sagte Schmidt. "Wir konnten deutlich erkennen, dass Unternehmen, die weit fortgeschritten sind in der Digitalisierung, auch wirklich profitabler sind." Lücken gebe es aber noch bei der Qualifizierung der Mitarbeiter. "Das erschwert es, das volle Potenzial zu heben."
Continental hat dies längst erkannt. "Man muss die Mitarbeiter mitnehmen, weil die ihre Kompetenz weiter eine ganz große und entscheidende Rolle spielt“, sagte Pannebäcker. Deshlab gehe Continental beim Umbau auch bewusst nicht zentral vor. "Wir setzen auf die Erfahrung unserer vielen Ingenieure in den Werken und es gilt die Formel: Was funktioniert, was angepasst werden kann, soll auch eingesetzt werden."
Deutlich schlechter fällt das Urteil bei vielen kleinen, mittelständischen Zulieferern aus. "Da gibt es noch sehr viel Potenzial", sagte Schmidt. "Bei Digitalisierung und Smart Factory sind viele noch Lichtjahre entfernt", brachte es Foith-Förster auf den Punkt. Das Problem: Vielen Mittelständlern, die in ihre Nische oft Hidden Champions sind, gehe es derzeit noch gut. "Die sehen dann gar nicht die Notwendigkeit, etwas zu optimieren, weil die Auftragsbücher ja voll sind."
Diese Zurückhaltung könne sich bald rächen. "Irgendwann verliert man den Anschluss und kann den Sprung, der erforderlich wäre, dann nicht mehr nachholen", warnte Foith-Förster. Mit Folgen über das konkrete Unternehmen hinaus. "Das wird dann leider irgendwann auch de großen Konzernen und den OEMs auf die Füße fallen, weil diese auf ihre Lieferanten durchaus angewiesen sind."
Ein Problem sei dabei auch der Datenaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg. Denn hierfür gebe es nach wie vor keine branchenweit einheitlichen Standards und Schnittstellen. "Und ein Zulieferer beliefert mehrere OEMs. Wenn jeder von ihnen mit einer eigene Lösung kommt, ist das manchmal auch schwierig, das noch wirtschaftlich umzusetzen", sagte Foith-Förster. Mit dem Ergebnis, dass auf agebotene Lösungen der OEMs oft ganz verzichtet werde.
Einheitliche Standards für die ganze Branche würden hier helfen, pflichtet Conti-Mann Pannenbäcker bei. "Langfristig geht es darum, die Schnittstellenfunktionen innerhalb eines Unternehmen, aber auch die unsere Zulieferer und unserer direkten Kunden mit einzubeziehen, Da wäre es sehr wünschenswert, wenn wir uns auf gemeinsame Standards und Schnittstellen einigen könnten."
Allerdings, so warf Schmidt ein, gebe es hier noch ein anderes Problem: den Faktor Mensch. "Ich brauche dazu eine recht hohe Transparenz. Und dafür brauche ich auch gegenseitiges Vertrauen." Das Problem: Wenn eine Seite nun versuche, die Daten bei der nächste Preisrunde zu nutzen, um die Preise nach unten oder nach oben zu drücken, "dann verspiele ich dieses Vertrauen". Am Ende, so warnt er, könnte der offene Austausch zwischen Unternehmen nicht an der Technik scheitern. "Wenn, dann haben wir hier die Situation, dass es an Menschen scheitert."
Wie wichtig der Austausch über Unternehmensgrenzen hinaus wäre, habe sich gerade in der Chipkrise gezeigt. "Dort sehen wir, welche Vorteile es hätte, wenn wir abgestimmte Standards bezüglich der Transparenz zu unseren Endkunden hätten", sagte Pannenbäcker.
Insgesamt werde die Krise den Trend zur Digitalisierung noch einmal deutlich beschleunigen, ist sich Foith-Förster sicher. "Natürlich ist es so, dass man krisenbedingt immerzu Feuer löscht und von einer Krise in die nächste rutscht. Wenn man permanent im Feuerlösch-Modus ist, bleibt wenig Zeit für Innovationen." Am Ende glaube sie aber, dass die Krise und die mit der Digitalisierung gesammelten Erfahrungen eher als Beschleuniger dienen werden.
Pannenbäcker stimmt zum: "Wir sind schlicht und ergreifend nicht in Lage, die Krise, in der wir uns seit Monaten befinden, so fortzuführen. Das geht an die Substanz. Wenn wir uns jetzt nicht die Konsequenzen daraus ziehen, die gesamte Lieferkette komplett durchgängig zu digitalisieren, dann weiß ich nicht, was noch passieren muss, um endlich den Ruf zu hören."