Wird Luca de Meo Nachfolger von Tavares?

Der Vertrag von Stellantis-Chef Carlos Tavares läuft noch bis März 2026, doch die Weichen für seine mögliche Nachfolge werden offenbar jetzt gestellt. Wie sonst ist zu erklären, dass in diesen Wochen immer neue Spekulationen um das Erbe des Performance-König auftauchen.

Die Automobilwoche berichtete in der vergangenen Woche über französische Medienberichte, die fünf mögliche Nachfolger für den Gründer des Stellantis-Konzerns nennen. In der Folge trudelten bei der Automobilwoche diverse Wortmeldungen mit weiteren Namen ein, die unsere Zeitung ihren Lesern nicht vorenthalten will.

Allerdings ist keineswegs sicher, dass der 66-jährige Tavares seine Amtszeit nicht verlängern will - fit für eine weitere Amtszeit wäre er gewiss. Selbstverständlich äußerst sich keines der Unternehmen zu dieser sensiblen Frage.

Der zweifellos spektalulärste Wechsel an der Spitze von Stellantis würde eintreten, wenn der amtierende Renault-CEO Luca de Meo den Stab bei Stellantis übernehmen würde. Intern wird diese Möglichkeit im Stellantis-Gruppe ernsthaft diskutiert - denn es gibt gute Gründe dafür.

Zum einen kennen sich die beiden Autobosse seit Jahren - und sie liegen in vielen wichtigen Fragen auf einer Linie. Auch für de Meo zählt Performance, Ertrag kommt bei ihm vor Absatz und Umsatz und auch de Meo weiß, dass die Autowelt nicht mehr allein um Europa kreist.

Zudem ist de Meo Italiener, was ein wichtiges Kriterium für den künftigen Stellantis-Chef voll erfüllen würde - das Spitzenamt erfordert aufgrund der bedeutenden Rolle der italienischen Marken und des FCA-Erbes einen Manager, der die italienischen Verhältnisse bestens kennt.

Vor allem aber kennt de Meo genau die Stärken und Schwächen von Stellantis - und zwar auch deshalb, weil er bei Renault zum Teil dieselben Herausforderungen hat.

Auch Renault hat eine starke Position in Europa, aber kein Bein auf dem größten Automarkt der Welt, in China. Auch Renault kämpft darum, im Volumenmarkt gegen die chinesischen Wettbewerber zu bestehen und auch Renault muss den Spagat schaffen, zum einen mit günstigen Fahrzeugen seine Auslastung zu sichern und gleichzeitig höherwertige Fahrzeuge zu verkaufen, um mit mehr Gewinn pro Auto seine Zukunft zu sichern.

Eine weitere Option für die Nachfolge von Tavares wäre aber auch Jean-Philippe Imparato. Derzeit leitet er die Marke Alfa Romeo und zudem das Nutzfahrzeuggeschäft der gesamten Stellantis-Gruppe. Aber beides ist im Grunde nur eine Park-Position, denn Imparato hat eine jahrzehntelange Erfahrung in fast allen Bereichen der früheren PSA-Gruppe.

Er war unter anderem schon Markenchef von Peugeot und leitete den gesamten Vertrieb von Peugeot und Citroen in Europa. Sein einziges echtes Handycap ist sein Alter - Imparato wird im August 59 Jahre alt und würde somit nicht wirklich für eine Verjüngung der Stellantis-Führung stehen. 

"Imparato könnte deshalb ein guter Interims-CEO sein, bis der nächste, jüngere Vorstandschef antritt", spekuliert ein gut vernetzter ehemaliger Stellantis-Manger.

Und er hätte wohl das Zeug, sich um die vielen Wunden im Konzern zu kümmern, die der ständig unter Strom stehende Tavares mit der Peitsche in der Hand aufgerissen hat. Der permanente Druck zu immer höherer Produktivität habe viele Führungskräfte ausgelaugt, heißt es in der Gruppe. "Imparato könnte als Aufräumer auftreten und die Entwicklung bei Stellantis in geordnetere Bahnen lenken."

Und dann wäre da noch ein Stellantis-Manager, der aktuell kaum öffentlich auftritt, der jedoch sehr geschätzt wird von Tavares und schon seit längerem als heimlicher Kronprinz gehandelt wird: Yves Bonnefont. Seit Januar 2021 leitet er als Chief Software Officer die IT-Aktivitäten im Konzern und damit eines der wichtigsten Zukunftsfelder des Multi-Marken-Konzerns.

Zuvor war Bonnefont erster Chef der neu gegründeten Mobilitätssparte Free2Move und danach erster CEO der ebenfalls neu gegründeten Nobelmarke DS. Später leitete er die Entwickung aller Premium-Produkte in der Gruppe.

Der dynamische Manager hat eine Elite-Schule in Paris und eine Karriere als McKinsey-Manager auf der Haben-Seite. Aber das ist noch nicht alles. Bonnefont kam 2012 zu PSA als Strategiechef - in einer extrem schwierigen Zeit für das Unternehmen. Damals trug er an verantwortlicher Stelle zum Turnaround von PSA bei - und schuf die notwendige Basis für Carlos Tavares, der 2014 an die Spitze trat.

"Tavares hat Bonnefont immer unterstützt, die beiden ziehen an einem Strang", heißt es im Unternehmen. Ein talentierter Stratege wie Bonnefont, so munkelt der Flurfunk bei Stellantis, wäre genau nach dem Geschmack von Tavares.

Letzten Endes werden aber nicht nur die Vorlieben von Tavares und der Track-Record der möglichen Kandidaten zählen, wenn es zur Kür des nächsten Stellantis-CEO kommt.

"Es wird derjenige ans Ruder kommen, der den größten Konsens in diesem 14-Marken-Konzern auf sich vereinigen kann", urteilt ein Kenner des Konzerns mit langjährigen Verbindungen. "Es wird ein politischer CEO sein."

Neben dem großen Einfluß der italienischen Seite mit der Eigentümer Agnelli hat zunehmend auch die amerikanische Seite mit der Ertragsperle Jeep ein Wörtchen mitzureden. Und ganz gewiss wird auch der französische Staat seinen großen Einfluss geltend machen - auch wenn er seit der Gründung von Stellantis rechnerisch nur noch mit sechs Prozent an der Gruppe beteiligt ist.