Herr Abolhassan, T-Systems hat auf der IAA Mobility 2023 den Showcase Digital Loop für die beschleunigte Homologation von Software-Updates vorgestellt. Was ist daraus geworden?
Unser Digital Loop löst eines der aktuell größten Probleme der Automobilindustrie: Wie kommen kontinuierlich Software-Updates gesetzeskonform, validiert, sicher und schnell via Mobilfunk ins Fahrzeug? Für die Telekom ist das ein Kerngeschäft. Bei sicherheitsrelevanten Funktionen wie dem Spurhalteassistenten muss das Kraftfahrtbundesamt jedes Update freigeben. Sonst verliert das Fahrzeug seine Zulassung.
Wie lange dauert das?
Dieser Prozess dauert bis zu sechs Monate. Bislang mussten Hersteller nur alle paar Jahre eine neue Fahrzeuggeneration vom Kraftfahrtbundesamt genehmigen lassen. Der Digital Loop beschleunigt diesen Freigabeprozess nun erheblich. Im Konsortium diskutieren wir die Umsetzung des Digital Loop jetzt mit unseren Kunden.
Haben Sie sich einen Zeitpunkt gesetzt, um das Projekt abzuschließen?
Auf der IAA haben wir gezeigt, wie es geht. Jetzt müssen die Prüfinstitutionen und Behörden nachziehen. Automatisierung und bessere Schnittstellen können die Homologation erheblich beschleunigen. Dafür müssen alle Prozesse digitaler und Vorgaben überdacht werden. Müssen wirklich alle Testkilometer real gefahren werden? Oder kann der Computer einen Teil der Tests simulieren?
Welche Zeitersparnis wollen Sie realisieren?
Der Digital Loop kann den Freigabeprozess auf eine Woche reduzieren. Denn Computer rechnen rund um die Uhr und müssen ihren Standort nicht verlassen. Und die Digitalisierung beschleunigt die Kommunikation zwischen Herstellern, Prüforganisationen und dem Kraftfahrtbundesamt. Denn oft ist Eile geboten – denken Sie an Cyberangriffe. Sicherheits-Updates können nicht Monate warten.
Wie wichtig ist eine gut funktionierende Homologation – also die Zulassung – für den Erfolg des Software-definierten Fahrzeugs?
Homologation ist eine Notwendigkeit. Sie macht die Fahrzeuge sicher. Es geht darum, neue Software schnell und verlässlich in das Fahrzeug zu bekommen. So wie Sie das bei Mobilfunkgeräten schon kennen.
Und die nächste Herausforderung ist: Wie behält man den Überblick bei immer mehr Software im Auto und sich ändernder Gesetzeslage? Dabei hilft jetzt unser KI-gestützter Gesetzesmonitor. Der Law Monitor findet automatisch Gesetzesänderungen, die für unsere Kunden relevant sind und bringt sie automatisiert in den Designprozess ein.
Womit verdienen Sie bei der Thematik Geld?
Beim Law Monitor verkaufen wir die Lösung inklusive Beratungsleistung. Beim Digital Loop reicht die Spanne vom Produkt mit Lizenzcharakter bis hin zum Projektgeschäft. Wir verbessern Tool-Landschaften und Prozesse bei unseren Kunden. Wir betreiben IT-Landschaften und kümmern uns um das Daten-Management.
Welche Bedeutung haben für Sie Partnerschaften?
Ohne Partnerschaften und Kollaborationen können komplexe Systeme und Fahrzeuge heute nicht mehr entwickelt werden. Beim Digital Loop haben wir die erste Konzeption erstellt und dann die Partner für die Umsetzung an Bord geholt. Dadurch sind immer neue Ideen und Anwendungsszenarien entstanden.
Welchen Stellenwert hat das Thema Homologation für T-Systems?
Homologation ist für uns eine der Säulen innerhalb der Automobilbranche. Wir sind seit unserer Gründung vor über 20 Jahren nah dran an der Industrie. Aber wir treiben viele Themen. Dazu gehören Beratung sowie Lösungen für die Cloud, die Digitalisierung, Automatisierung, SAP, Connectivity und Security.
Und auch innovative KI-Lösungen wie der bereits angesprochene KI-gestützte Law Monitor. Auch in der Fahrzeugdiagnose sind wir unterwegs. Also wir sind diejenigen, die für den Automobilbereich vielleicht als Einzige von der Beratung, über die Themen Cloud, Digitalisierung und Sicherheit bis hin zur Konnektivität im Auto aktiv sind. So bringen wir schon jetzt etwa Software-Updates in mehr als 30 Millionen Fahrzeuge weltweit.
Wo wollen Sie KI verstärkt einsetzen?
KI ist gekommen, um zu bleiben. Sie führt zu einer Veränderung des gesamten Marktes. Das betrifft nicht nur die IT, sondern auch die Produktion und die Entwicklung. Auch beim Digital Loop wollen wir zusammen mit unseren Partnern KI einsetzen, um die Automatisierung und damit die Geschwindigkeit zu erhöhen. Das gilt für jeden der einzelnen Prozessschritte der Hersteller und Partner, der Prüfgesellschaften und der Behörden.
Wie ist es um IT-Sicherheit in der Automobilbranche bestellt?
Die Coronakrise hat allen Unternehmen gezeigt, dass sie sich bei der IT verstärken müssen, um resilienter zu werden. Das bedeutet auch, dass diese IT-Mittel immer verfügbar sein müssen. Heute ist es gar nicht mehr denkbar, dass sich Unternehmen nicht mit der Verfügbarkeit ihrer IT und mit Cybersicherheit beschäftigen.
Kommen Ihre Kunden mit veränderten Fragestellungen bei der IT-Sicherheit auf Sie zu?
Grundsätzlich sorgt sich jeder über Cyberangriffe. Natürlich müssen die Unternehmen die IT-Sicherheit so betreiben, dass sie weiter verbunden sind und Daten austauschen können. Es ist keine Alternative, den Datenaustausch zu verringern. Unsere Kunden wünschen sich quasi eine zweite, sichere Außenhaut fürs Unternehmen.
Haben auch Mittelständler das Gespür für die Bedrohung durch Cyberangriffe?
Ich kenne keinen Mittelständler, der sich nicht der Tragweite und des Risikos von Cyberangriffen bewusst ist. Dafür ist in den letzten Jahren einfach zu viel passiert. Um sich zu schützen, wird spezielles Wissen benötigt. Und da ist die Telekom ein ausgewiesener Experte, der Kunden mit der notwendigen Technologie ausrüsten kann – angefangen von Privatpersonen über den Mittelstand bis hin zu Großunternehmen und Konzernen.
T-Systems gehört zu den Gründungsmitgliedern des offenen Daten-Ökosystems Catena-X. Welchen Part spielt hier Ihr Unternehmen?
Mit den Bausteinen “Connect“ und “Integrate“ bieten wir im Telekom-Konzern Lösungen für die Teilnahme am Catena-X-Ökosystem. Damit tauschen Unternehmen der Autobranche Daten über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg aus – und behalten dabei stets die Hoheit über ihre Daten.
Wir sind der Enabler für Unternehmen jeder Größe. Das ist insbesondere für viele Mittelständler interessant, die so einfach und schnell Teil des Daten-Ökosystems werden können.
Welche Bedeutung haben große Cloudanbieter, sogenannte Hyperscaler, für die Automobilindustrie?
Hyperscaler sind aus der heutigen Realität nicht mehr wegzudenken. Und auch die Fahrzeughersteller arbeiten mit den großen Anbietern zusammen. Der Grund liegt in geringeren Kosten und einer höheren Flexibilität. Daran schließt die Frage an, ob das zu Qualitätseinbußen führt. Und da können wir den Unterschied machen.
Können Sie das erläutern?
Kunden erhalten bei uns alles, was auch die Hyperscaler anbieten. Aber mit Beratung und Expertise. Die Public Clouds der Hyperscaler sind zwar nicht mehr wegzudenken aus dem Markt, aber der Bedarf für Private Clouds ist nach wie vor da. Insbesondere der Mix aus Private- und Public-Cloud-Ansatz ist interessant. Damit lassen sich die Ansprüche an Qualität und Preis unter einen Hut bringen.
Was meinen Sie mit Qualität?
Damit meine ich die Ausfallsicherheit – allem voran die der produktionskritischen Systeme unserer Kunden. Ein Fahrzeughersteller kann es sich nicht leisten, dass die Produktionsstraße wegen eines IT-Ausfalls stehen bleibt. Wir als T-Systems bieten deswegen das Konzept von “Zero outage“, also „Null Ausfällen“ an. Die Prozesse müssen an kritischen Stellen doppelt, dreifach und falls nötig auch vierfach ausgelegt werden.
Werden solche Themen in Zeiten multipler Krisen stärker nachgefragt?
Absolut. Mit zunehmender Digitalisierung und angesichts des Booms von KI spielt eine zuverlässige IT für viele Firmen eine geschäftskritische Rolle. Kunden wollen Stabilität und Verlässlichkeit. Es gibt derzeit ein Comeback von Private Clouds, wie wir sie anbieten.
Und wir registrieren gerade einen Bewusstseinswandel in der Industrie: Kosten spielen immer häufiger eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidungsfindung für einen Digitalisierungspartner. Viele Unternehmen holen ihre IT wieder zurück in die Heimat oder sogar ins eigene Haus. Das kann für deutsche IT-Dienstleister zu einem absoluten Differenzierungskriterium werden.
T-Systems ist vor allem in Europa aktiv. Soll das so bleiben?
Europa ist klar unser Kernmarkt. Wir sind sehr oft mit unseren Kunden zusammen ins Ausland gegangen. Das hat uns beispielsweise zu einem sehr großen Player in Brasilien und Mexiko gemacht. Wir sind zwar ein globaler Player, aber grundsätzlich ist unsere Heimat Europa.