Die neue E-Klasse ist zum Erfolg verdammt

Detroit. Echte Premieren auf Automessen sind selten geworden. Das gilt auch für die neue E-Klasse von Mercedes. Seit Wochen schon werden Journalisten häppchenweise mit Informationen gefüttert. Ein Technologie-Tag, der die neuen Fahrfunktionen und Assistenzsysteme erklärt. Ein Design-Termin für das neue Cockpit und den Innenraum. Stück für Stück wird die Tarnfolie abgenommen, bis eigentlich jeder weiß, wie das neue Modell aussehen wird.

Trotzdem ist das Interesse riesig, als beim Medienabend am Sonntag vor dem Messestart in Detroit die zehnte Generation der E-Klasse auf die Bühne rollt. "Wenn es um technische Intelligenz geht, fahren wir mit diesem Auto vorneweg", sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche bei der Präsentation im Hotel Westin Book Cadillac unweit der Messehalle.

Es ist eben nicht irgendeine Premiere. Wer an Mercedes denkt, der hat in erster Linie eine E-Klasse vor Augen. Sie gilt als der Prototyp der Marke mit dem Stern. Luxuriös, aber gediegen, gemacht für ein breites Publikum. Die E-Klasse muss dem Abteilungsleiter und dem Bürgermeister ebenso gefallen wie dem Taxifahrer oder dem gut situierten Familienvater.

Gerade dieser Spagat ist den Entwicklern bei den vergangenen Generationen nicht immer gelungen. Manch einer denkt wehmütig etwa an die Baureihe W124, die Mitte der 80er auf den Markt kam und erstmals die Typbezeichnung E auf dem Kofferraum trug. Sie galt als zeitlos schön und praktisch unverwüstlich. Inzwischen verkauft sich jedoch die C-Klasse mit 444.000 Einheiten im Jahr 2015 doppelt so oft wie die E-Klasse. Und gegen die Konkurrenz wie Audi A6 oder BMW Fünfer hatte Mercedes zuletzt häufig das Nachsehen. Ohne China, wo sich die in Peking gefertigte Langversion großer Beliebtheit erfreut, wäre der Bedeutungsverlust noch größer.

Als "beste Business-Limousine der Welt" kündigen die Stuttgarter ihr neuestes Modell in Detroit vollmundig an. Ein riesiges Plakat ziert das Hotel der Daimler-Delegation im Zentrum der Stadt. Die E-Klasse ist also zum Erfolg verdammt. Aber wer so auf den Putz haut, der muss auch was zu bieten haben. Die E-Klasse ist nicht nur vom Design her komplett überarbeitet. Sie steckt auch bis zur Unterkante des Daches voll mit technischen Innovationen.

Die eckige und kantige, etwas altmodische wirkende Form des Vorgängers ist verschwunden. Das neue Modell wirkt runder, dabei breitbeiniger, selbstbewusster und sportlicher. C-Klasse und S-Klasse lassen grüßen. Das Dach ist coupéhaft nach unten gezogen. Gegenüber dem alten Modell ist der Radstand um 65 Millimeter gewachsen, in der Länge hat die E-Klasse um 43 Millimeter zugelegt.

Doch das sind nur die Äußerlichkeiten. Der größte Wandel zeigt sich im Innenraum. Gegen Aufpreis erhältlich sind zwei Bildschirme mit jeweils 12,3 Zoll Diagonale in HD-Qualität, die unter einem Deckglas zu einer großen Fläche verschmelzen und ebenfalls die Breitenwirkung des Autos unterstreichen. "Damit können Sie ihre Kinder im Teenageralter beeindrucken", sagt Entwicklungschef Thomas Weber bei der Präsentation. Der Fahrer kann bei den virtuellen Kombiinstrumenten zwischen drei Stilen auswählen: klassisch, sportlich und progressiv. Navigieren lassen sich die Bildschirme bequem über zwei Touchpads am Lenkrad.

Der Innenraum gleicht der einer modernen Luxusyacht, sofern man die entsprechende Ausstattung wählt. Edle Hölzer mit fließenden Linien, Ambiente-Licht mit 64 frei wählbaren Farben, dazu Sitze, die dem Torso einer Frau nachempfunden sind und auf Wunsch Massagefunktion bieten. Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich mit einer Burmester-Surround-Anlage mit 23 Lautsprechern beschallen lassen. Ähnlichen Komfort hat es bisher nur in der S-Klasse gegeben. Manch einer wird damit den nächsten Stau herbeisehnen.

Das liegt auch daran, dass Mercedes die Fahrerentlastung durch automatisierte Funktionen auf eine neue Stufe gehoben hat. So kann der Abstandshalter Distronic auf Autobahnen und Landstraßen die Distanz zum Vordermann halten und ihm bis Tempo 210 folgen, ohne dass der Fahrer eingreifen muss. Wird der Blinker zwei Sekunden lang gedrückt, setzt das Auto selbstständig zum Überholen an und schert danach wieder auf die rechte Spur ein.

Bis 130 Stundenkilometer gleitet das Auto wie in einem Schwarm durch den Verkehr und benötigt dafür nicht einmal erkennbare Linien am Straßenrand. E-Klasse-Chefentwickler Michael Kelz betont jedoch, dass der Fahrer nach wie vor die volle Verantwortung habe und jederzeit die Kontrolle übernehmen können muss. Negative Bilder von brenzligen Situationen, wie es sie im Internet zuletzt vom aufgespielten Tesla-Autopiloten gegeben hat, will man bei Mercedes nicht haben.

Per Smartphone-App lässt sich die E-Klasse in enge Parklücken navigieren, während der Fahrer schon ausgestiegen ist und dem Einparkmanöver nur noch zuschauen muss. Fast schon selbstverständlich klingen da elektronische Helferlein wie Müdigkeitserkennung, aktiver Bremsassistent oder Ausweich-Lenk-Assistent, der etwa bei einem Bremsmanöver zum Umkurven eines Fußgängers eingreift.

Die Scheinwerfer sind mit 84 LED ausgestattet, die einzeln angesteuert werden können und die Fahrbahn automatisch ausleuchten. Damit wird die Nacht nicht nur zum Tag, es lassen sich entgegenkommende Autos oder Fußgänger exakt ausblenden, ohne die eigene Sicht zu beeinträchtigen. Auf Wunsch kommen die Heckleuchten mit winzigen Reflektoren, die aus der Oberfläche eine glimmende Galaxie machen.

Die E-Klasse kommt auch mit einer neuen Generation an Motoren. Besonders stolz sind die Entwickler trotz aller Kritik am Diesel auf den Vierzylinder im 220d, der sich mit knapp vier Liter auf 100 Kilometer begnügen soll und so auf einen CO2-Ausstoß von 102 g/km kommt. Er wurde bereits mit Blick auf die strengeren Tests zur Typzulassung entwickelt. Von 2017 an müssen in der EU die Schadstoffgrenzen auch im realen Fahrbetrieb auf der Straße nachgewiesen werden. Ein Toleranzspielraum wird derzeit noch verhandelt. Vorgesehen ist auch ein Plug-In-Hybrid 350e, der das Auto rein elektrisch 30 Kilometer weit bringt.

Wie viel die E-Klasse kostet, hat Daimler bei der Premiere in Detroit noch nicht verraten. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Basisversion wie bisher bei knapp 42.000 Euro startet. Angesichts von vielen Extras wie etwa dem hochauflösenden Bildschirm, vielen Assistenzsystemen, einem Rücklicht mit Sternenhimmel oder der Burmester-Soundanlage dürfte die Grenze nach oben aber deutlich verschoben sein.