Stuttgart. Daimler-Vorstand Andreas Renschler hat offensichtlich aus Frustration das Handtuch beim Stuttgarter Autohersteller geworfen und will sich einen neuen Job in einem anderen Unternehmen suchen. In einem Gespräch mit dem "Wall Street Journal", das am Dienstagabend nach der offiziellen Bekanntgabe seines Rückzugs geführt wurde, betonte der Manager, es habe "viele Gründe" für seinen Abgang gegeben. Einer war offenbar die unsichere persönliche Perspektive bei Daimler. Die Zetsche-Kronprinzen seien mehr oder weniger alle in demselben Alter, sagte Renschler dem "Wall Street Journal". Werden könne es am Ende aber eben nur einer. Er habe sich daher entschieden, eine "neue Perspektive" zu suchen. "Es gibt viele Lkw-Hersteller, viele Pkw-Hersteller". Was genau er vorhat, sagte er nicht. Er werde sich Zeit dabei lassen, die nächsten Schritte zu machen, sagte der 55-Jährige. Im Vertrag von Renschler sei eine "branchenübliche Wettbewerbsklausel enthalten", teilte Daimler auf Nachfrage der Automobilwoche mit. Wie lange Renschler für einen neuen Job in der Industrie gesperrt ist, wollte das Unternehmen nicht sagen.
Daimler hat am Dienstagabend überraschend das Ausscheiden von Renschler mitgeteilt: Er habe darum gebeten, seine Bestellung in gegenseitigem Einvernehmen vorzeitig aufzuheben. Der Aufsichtsrat habe dieser Bitte einstimmig entsprochen. Offensichtlich wurde der Stuttgarter Autohersteller vom Rückzug Renschlers überrumpelt. Der Vertrag mit Renschler war im Dezember 2012 verlängert worden und sollte bis Ende September 2018 laufen. Wie die "Stuttgarter Zeitung" gemeldet hat, soll Renschler ein Angebot von Volkswagen vorliegen. Er solle demnach Chef der Lastwagen-Aktivitäten mit den Marken Scania und MAN werden. Weder Volkswagen noch Daimler wollten dazu Stellung nehmen.
Renschler hat auf Druck der Arbeitnehmervertreter zum 1. April 2013 die Ressorts mit Daimler-VorstandWolfgang Bernhard getauscht. Zuvor hatte er die Lkw-Sparte geleitet, nun wurde er Mercedes-Produktions-und Einkaufschef. Dabei war er fachlich Daimler- und Mercedes-Chef Dieter Zetsche unterstellt. Außerdem leitete er das Transporter-Geschäft. Bernhard übernahm das Lkw-Geschäft. Für Renschler und Bernhard war der Wechsel damals völlig überraschend gekommen. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtrat unter der Führung von Konzerngesamtbetriebsrat Erich Klemm hatten diese Rochade von Daimler-Aufsichtsratschef Manfred Bischoff als Gegenleistung für eine Vertragsverlängerung von Zetsche verlangt. Das Verhältnis der Arbeitnehmervertreter mit Bernhard gilt als zerrüttet.
Der Vertrag von Zetsche (60) läuft bis Ende 2016. Die Liste der in der Öffentlichkeit gehandelten möglichen Nachfolger reicht von Bernhard über Finanzchef Bodo Uebber, Personalvorstand Wilfried Porth bis zum neuen China-Chef Hubertus Troska.
Während die Daimler-Aktie zu Handelsbeginn keine Reaktion auf die Nachricht zeigt, gerieten die Papiere am Nachmittag immer stärker unter Druck. Gegen 15:30 Uhr sinken Daimler-Aktien 3,3 Prozent auf 60,83 Punkte und sind damit nach Siemens die größten Verlierer im Dax. Der Index liegt lediglich mit 1,6 Prozent im Minus.
Bei VW drängt Konzernchef Martin Winterkorn seit Langem auf deutlich höhere Synergieeffekte im Nutzfahrzeuggeschäft. Sie sollen sich bis Ende dieses Jahres auf mehr als 200 Millionen Euro summieren, ist jetzt in Wolfsburger Führungskreisen zu hören. Helfen soll dabei etwa eine bessere Bündelung des Einkaufs von Produktionsmaterial wie Stahl sowie der Einsatz möglichst identischer Navigations- und Entertainmentgeräte quer über die beteiligten Marken. Winterkorn hat offenbar ein Machtwort gesprochen. Vor knapp einem Jahr hatte es bei VW noch geheißen, die Realisierung solcher Wettbewerbsvorteile sei kurzfristig nicht zu erwarten, sondern allenfalls auf mittlere Sicht, also in rund drei Jahren.
Wie von Automobilwoche jüngst exklusiv berichtet, soll überdies künftig bei Volkswagen Nutzfahrzeuge ein neuer Baukasten für 29 Derivate der nächsten Generationen von Crafter und T-Baureihe zum Einsatz kommen. Der Modulare Nutzfahrzeugbaukasten (MNB) wird für Front-, Allrad- und Heckantrieb ausgelegt. Mit seiner Kompetenz im Lkw- und Transportergeschäft könnte Renschler somit für VW als große Verstärkung auch bei diesem Projekt rundum willkommen sein. (Mitarbeit: Henning Krogh)