München. Vielleicht schon in diesem Jahr, spätestens aber wohl bis 2015 wird sich Brasilien nach Einschätzung von Branchenexperten zum weltweit drittgrößten Automobilmarkt entwickeln. Neu entdeckte Erdöl- und Gasvorkommen, stabile politische Verhältnisse und ausländische Investitionen haben in den vergangenen Jahren für ein starkes Wirtschaftswachstum gesorgt. Und der gestiegene Wohlstand hat in dem südamerikanischen Land auch den Stellenwert des Autos erhöht.
Dabei ist es noch keine zehn Jahre her, dass das Land als weltweit größter Schuldner galt und kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Doch das war gestern: Angetrieben durch die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 steckt die Regierung zweistellige Milliardenbeträge in die Infrastruktur. Vor allem das Eisenbahnnetz gilt als unterentwickelt.Bis 2020 könnten die Pkw-Verkäufe auf 6,6 Millionen Autos jährlich ansteigen. "Das ist doppelt so viel wie noch im Jahr 2010“, erläutert Automobilexperte Stephan Keese von der Unternehmensberatung Roland Berger.Diese Entwicklung beflügelt auch die Pläne der Fahrzeughersteller. In den nächsten drei Jahren investieren die Pkw-Bauer mindestens zwölf Milliarden Euro in in neue Fabriken und die Modernisierung von Anlagen.Feierlaune am Zuckerhut
Mit konstanten Wachstumsraten bietet das südamerikanische Land der Automobilindustrie gute Perspektiven. Höhere Importzölle beflügeln die Investitionspläne der Fahrzeughersteller.
VW will Marktanteile
Allen voran VW: "Der Volkswagen Konzern baut sein Engagement in Brasilien aus und investiert bis 2016 rund 3,4 Milliarden Euro in die Entwicklung neuer Produkte und den Ausbau der Fertigungskapazität“, erläutert Thomas Schmall, Chef von Volkswagen do Brasil. "Wir gehen davon aus, dass der Volkswagen Konzern mit seinem starken Produktportfolio stärker wächst als der Markt“, Schmall weiter. An den vier Standorten Anchieta, Curitiba, Taubaté und Sao Carlos beschäftigt VW do Brasil 24.000 Mitarbeiter. Bestseller von VW ist der Gol, von dem 2010 293.000 Fahrzeuge ausgeliefert wurden.
Andere Autohersteller ziehen nach: Renault-Nissan hat jüngst angekündigt, rund 1,4 Milliarden Euro in ein neues brasilianisches Werk investieren zu wollen, das 2014 in Betrieb gehen soll. Und auch bei BMW gibt es Pläne, ein neues Werk in der Industrieregion Sao Paulo zu bauen. Eine Entscheidung darüber soll der Aufsichtsrat Anfang Dezember fällen.Ein Engagement ist für die internationalen Fahrzeughersteller auch deshalb sinnvoll, weil der brasilianische Finanzminister Guido Mantega angekündigt hat, die Zölle für Importautos um 30 Prozent anheben zu wollen. Unternehmen, die das umgehen wollen, müssen in Brasilien produzieren und 65 Prozent der Wertschöpfung vor Ort realisieren. Damit will die Regierung den Importerfolgen ausländischer Autobauer begegnen. Denn durch die starke Aufwertung der Landeswährung Real hatten sich die Importautos verbilligt. Für alle Anbieter gilt aber, dass sich das Konsumentenverhalten in dem südamerikanischen Land verändert hat: "Früher gaben sich die Konsumenten mit veralteter Technik zufrieden. Heute verlangen sie preiswerte, aber hochmoderne Fahrzeuge“, so Keese. Zwar werden in Brasilien vor allem Klein- und Mittelklassewagen verkauft, doch auch das Premiumsegment hat sich entwickelt. 2006 wurden erst 150.000 Autos in diesem Segment abgesetzt, 2010 waren es fast 670.000 und 2014 erwarten Branchenkenner etwa eine Million Autos. Beispielsweise hat die BMW Group in Brasilien 2010 knapp 10.000 Autos verkauft – ein Plus von 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Wachstum in Brasilien beflügelt neben den Herstellern auch die Zulieferbranche. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Umsatz der dort ansässigen Unternehmen vervierfacht. "Die Profitabilität lag dabei gemessen am Ebit konstant ein bis zwei Prozentpunkte über dem globalen Durchschnitt“, heißt es bei Roland Berger. Und auch für die Autobauer war der Markt in der Vergangenheit eine Goldgrube: "Die Fahrzeughersteller haben sich dort dumm und dämlich verdient“, so ein Branchenkenner. (Quelle: Roland Berger/J. D. Power/Copyright: Automobilwoche)Diese Geschichte erschien in der Ausgabe 22 der Automobilwoche vom 20.Oktober 2011.
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