Lamborghini-Chef: "Das neue Modell muss auch emotional sein"

Angesichts der fortschreitenden Elektrifizierung und der Erweiterung des Angebots um eine vierte Modellreihe sieht Lamborghini-CEO Stephan Winkelmann die Audi-Tochter vor einem „Neustart“. Im Interview mit der Automobilwoche plädiert der gebürtige Berliner, der in Rom aufgewachsen ist, für mehr Technologieoffenheit. Er kann sich vorstellen, dass der neue Revuelto und der Huracan-Nachfolger „wenn es geht auch über 2035 hinaus“ als Hybrid-Fahrzeuge produziert werden.

Mit dem viersitzigen Lanzador hat die Sportwagenmarke kürzlich eine vierte Modellreihe vorgestellt, die vor Ende des Jahrzehnts als erstes vollelektrisches Fahrzeug der Audi-Tochter auf den Markt kommen soll. Winkelmann sieht für Lamborghini sehr gute Perspektiven und erwartet für 2024 „ein sehr gutes Jahr auch im Hinblick auf die Rendite.“

Herr Winkelmann, Lamborghini scheint immun zu sein gegen Kriege, Krisen und mögliche Zölle. Warum?

Winkelmann: Die Luxusindustrie ist nicht immun gegen Krisen. Aber es gibt heute weltweit viel mehr sehr reiche Menschen als etwa vor 15 Jahren, die sich so ein Auto leisten können und wollen. Außerdem hat sich das Sentiment nach der Pandemie verändert. Es gab einen starken Trend Richtung Luxus.

Und warum muss es ein Lamborghini sein?

Lamborghini ist eine Marke mit hohem Stellenwert und einem tollen Image. Wir verkaufen keine Mobilität. Wir erfüllen Träume! Es geht um Design und Performance, aber es geht es um mehr als Leistungsdaten. Das sind Emotionen. Wir investieren deshalb nicht nur in Produkte, sondern auch in die Marke. Es geht darum, eine Art Club-Feeling zu generieren.

Lamborghini galt lange als Marke für Angeber, für Aufschneider.

Das ist lange her. Wir haben viel getan, um das Bling-Bling herauszunehmen: Eine klare Formensprache unter Betonung des italienischen Elements. Wir haben bestimmte Produkte eliminiert, die Marke gewissermaßen von allen überflüssigen Elementen gesäubert. Und wir sind sehr nahbar für unsere Kunden. Das war sicher ausschlaggebend.

Welche Rolle spielen dabei Partnerschaften mit Unternehmen wie Lavazza, Tod`s, Lego oder Tecnomar?

Eine sehr wichtige. Alles, was mit Lamborghini zu tun hat, muss unsere Marke und das Made in Italy widerspiegeln! Das gilt etwa für unsere Partnerschaft mit Lavazza, bei Jachten mit Tecnomar, aber auch mit Lego, die unseren Bekanntheitsgrad steigert. Das muss auch wirtschaftlich funktionieren, darf aber nie zu einer Verwässerung der Marke führen.

Wie läuft es für Lamborghini?

Trotz eines schwierigen geopolitischen Umfeldes fahren wir ein Rekordergebnis nach dem anderen ein. Wir sind wieder auf Rekordkurs: Bei Auslieferungen, Umsatz und Ertrag. Wir haben einen Auftragsbestand von 1,5 Jahren und 2024 wird ein sehr gutes Jahr auch im Hinblick auf die Rendite.

30 Prozent Ihrer Einnahmen kommen aus den USA, weitere acht Prozent aus China. Beunruhigen Sie mögliche Strafzölle aus China oder die mögliche Wahl Donald Trumps?

Wir können nicht in die Zukunft schauen, aber wir sind nicht ängstlich. Als Trump schon mal Präsident war, hat sich für uns nichts verändert. Wir sind allgemein gegen Strafzölle, aber es müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle herrschen.

Die EU verschärft ihre Abgasvorschriften. Was heißt das für Sie?

Wir hoffen auf eine Öffnung im Hinblick auf die Wege, mit denen die Feinstaub- und CO2-Emissionsziele erreicht werden können, also mehr Technologieoffenheit. Man sollte etwa die Tür offen lassen für den Einsatz synthetischer Kraftstoffe.

Aber Lamborghini hat doch längst unumkehrbar den Weg hin zur Hybridisierung und Elektrifizierung eingeschlagen?

Ja, das haben wir. Mit unseren beiden alltagstauglichen Modellen, dem Urus und unser vierten Modellreihe, dem viertürigen Lanzador, setzen wir auf Hybridisierung und Elektrifizierung. Der Lanzador kommt gleich als Elektroauto, der Urus zunächst auch noch in einer Hybridversion. In unseren Supersportwagen Revuelto und dem Huracan-Nachfolger wollen wir aber solange wie möglich Hybrid-Antriebe einsetzen – wenn es geht über 2035 hinaus.

Aber andere Regionen haben andere Regelungen...

Das ist das Problem. Wir brauchen eine Harmonisierung der Regelungen auf weltweiter Ebene für das Thema Feinstaub und die CO2-Reduzierung. Für kleine Marken wie Lamborghini ist es ein Riesen-Aufwand, die verschiedenen Regeln in den Ländern zu erfüllen.

Die Elektrifizierung stockt derzeit. In Italien sind nur vier Prozent der Neuzulassungen Elektrofahrzeuge. Braucht es mehr politische Unterstützung?

Ja, nicht nur in Italien. Es muss einen klaren Plan der Regierungen geben. Die Frage ist, woher der Strom für die Elektro-Autos kommt. Und es braucht einen Zeitrahmen, zu dessen Einhaltung sich alle Beteiligten verpflichten müssen im Hinblick auf den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Die Hersteller müssen sich mit Themen wie dem Preis der Fahrzeuge, der Ladegeschwindigkeit und der Reichweite beschäftigen.

Die Einführung ihres ersten Hybrid-Modells, des Revuelto, war für Lamborghini eine Zeitenwende...

Es war eine Revolution. Die Elektrifizierung ist für alle Hersteller eine Herausforderung. Für uns als Hersteller von Supersportwagen ist die Hybridisierung ist der richtige Weg. Sie zeigt, dass man gleichzeitig die Emissionen reduzieren und die Performance steigern kann. Die Kunden haben das akzeptiert.

Sind Sie im Zeitplan?

Ja, mit der Vorstellung der Plug-In-Version des Urus demnächst haben wir alle Hybrid-Versionen vorgestellt. 2025 werden die Hybridversionen aller drei Modellreihen auf dem Markt sein.

Danach kommt mit der vierten Modellreihe der erste vollelektrische Lamborghini...

2023 haben wir das Konzeptfahrzeug dafür vorgestellt, den Ultra GT Lanzador. Dieser erste rein elektrische Lamborghini wird vor Ende des Jahrzehnts kommen. Das wird ein komfortabler viertüriger Sportwagen, ein GT-Fahrzeug, mit mehr Bodenfreiheit sein. Für uns ist das ein neues Segment.

Was ist die größte Herausforderung?

Einmal die Erweiterung unserer Modellpalette und damit andere Kunden. Und dann müssen wir unseren Kunden die Elektrizierung nahe bringen. Das neue Modell muss nicht nur schnell und schön, sondern auch emotional sein. Und dieses Ziel müssen mit unseren relativ überschaubaren Volumina erreichen.

Ferrari bringt schon 2025 das erste vollelektrische Auto auf den Markt – für einen Grundpreis von 500 000 Euro. Wieviel wird Ihr erster Vollelektriker kosten?

Mit unserem Hybrid-Sportwagen Revuelto, unserem Top-Modell, starten wir bei 500 000 Euro. Mit diversen Extras kommen wir auf einen Durchschnittspreis von 600 000 Euro. Der Einstiegspreis für unseren SUV Urus liegt bei 265 000 Euro und der Huracan-Nachfolger wird mehr als 300 000 Euro kosten. Unser erster Vollelektriker wird preislich zwischen dem Urus und dem neuen Huracan angesiedelt sein.

Sie investieren bis 2028 etwa 1,9 Milliarden Euro und wollen das Investitionsvolumen weiter aufstocken. Wann kommt das angekündigte Update?

Vorerst wird es kein Update geben. Aber wir werden bis Ende des Jahrzehnts die höchsten Investitionen in unserer Unternehmensgeschichte tätigen.

Wie setzen Sie die Elektrifizierung in der Fertigung um? Sie stellen 500 neue Mitarbeiter ein, investieren kräftig in die Digitalisierung und haben mit den Gewerkschaften ein neues Arbeitszeitmodell vereinbart.

Ziel des neuen Arbeitszeitmodells ist, zumindest die gleiche Produktivität sicherzustellen. Unsere Beschäftigten, die im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten, arbeiten länger, wenn sie da sind. Dafür schaffen wir aber Raum, dass sie auch mal drei Tage am Stück frei haben. Die neuen Regelungen, die für uns mehr Flexibilität bedeuten, werden Ende des Jahres umgesetzt.

Welche Vorteile hat das für Sie?

Wir sichern eine effiziente Verwendung unserer Investitionen, bieten aber auch eine hohe Sicherheit für unsere Arbeitnehmer. Wir können besser planen und weiter kontrolliert wachsen. Das heißt für uns immer, dass wir nicht das Maximum herausholen. Es geht aber nicht darum, die Arbeitszeit zu verkürzen, obwohl für die Beschäftigten in der Produktion jede zweite Woche eine Vier-Tage-Woche ist: Die Arbeitszeit wird vor allem anders verteilt, flexibler gestaltet.

Sie gehören zu VW. Inwieweit profitiert der Konzern von Lamborghini?

Der Konzern profitiert von unserer Expertise im Leichtbau: Und bei Hochleistungsmotoren sind wir benchmark. Aber wir haben auch ein interessantes Kundenpotenzial für den Konzern. Manche unserer Kunden statten ihre Dienstwagenflotte mit anderen Konzernprodukten aus. Außerdem runden wir das Konzernangebot nach oben ab.

Und umgekehrt?

Wir haben Skaleneffekte im Einkauf, wir profitieren von den Möglichkeiten der Plattform- und der Software-Strategie des Konzerns. Dadurch können wir auch beim Konzern einkaufen. Das ist für uns ein Riesen-Vorteil

Wie wirken sich die tiefgreifenden Änderungen auf Lamborghini aus?

Wir sind heute so stark wie nie zuvor: Aber wir werden quasi einen Neustart erleben. Unser Ziel bleibt, aus jedem neuen Fahrzeuge höhere Erträge und Umsätze zu erwirtschaften, angereichert durch Sonderausstattungen und personalisierte Produkte, deren Bedeutung weiter zunimmt.

Wie hoch ist heute der Umsatzbeitrag dieser Sondermodelle?

Im Falle des Countach-Sondermodells lässt sich das genau beziffern: Davon haben wir 112 Modelle zum Stückpreis von 2,2 Millionen Euro verkauft, also knapp 250 Millionen Euro erlöst. Das sind fast zehn Prozent unseres Jahresumsatzes von 2,6 Milliarden Euro. Noch höher ist der Ertragsanteil.

Mit den vielen neuen Modellen können Sie künftig noch mehr Sondermodelle anbieten.

Ja, aber das kann man nicht zu oft machen, denn das würde zu einer Verwässerung führen. Es ist richtig, dass wir mit unseren Riesen-Investitionen mit dem Huracan-Nachfolger, dem Urus-Nachfolger oder dem Lanzador neue Potenziale erschließen. Da wird es immer wieder Derivate und spezielle Sondermodelle in limitierter Auflage geben. Und noch etwas: Von Lamborghini wird es kein Auto unter dem Urus-Preis geben.

Planen Sie einen Formel-1-Einstieg wie Ferrari?

Nein, das steht nicht zur Debatte. 2026 steigt Audi in die Formel 1 ein. Es wäre nicht sinnvoll, wenn der Konzern mit einer weiteren Marke vertreten wäre.

Wie sehen Sie mittelfristig Lamborghini?

Heute stehen wir so gut da wie nie, sowohl beim Image, Rentabilität und mit einer bald komplett renovierten Modellpalette. Wir haben sehr viel vor. Den Kunden und dem Unternehmen kommt zugute, dass wir aus jedem einzelnen Fahrzeuge durch Optionen, Sonderausstattung und immer mehr Individualisierung mehr Ertrag pro Auto erwirtschaften. Das Nadelöhr sind wir, weil die Komplexität ständig wächst. Wir haben beispielsweise über 400 verschiedene Farben.

Lamborghini ist und bleibt aber eine Marke für Männer, die nicht mehr ganz jung sind, oder? Schon wegen des Preises.

Auf dem Papier sind 95 Prozent unserer Kunden Männer, bei unserem SUV Urus liegt der Frauenanteil höher, bei etwa zehn Prozent. Oftmals fahren jedoch die Frauen und Partnerinnen, wenn das Auto auf den Mann angemeldet ist, womit die eigentliche Ziffer höher ist. Und wir sind auch die jüngste Marke im Segment, etwa 45 Prozent unserer Neukunden sind unter 40!

Wie können die sich das leisten?

Das sind oft Unternehmer, die etwa aus ihrem Start-up ausgestiegen sind oder einen Teil davon verkauft haben. Viele kommen aus der High-Tech-Industrie oder haben mit Immobilien Vermögen gemacht.

Das Interview führte Gerhard Bläske.