Conti-Automotive-Chef von Hirschheydt: „Wir müssen weiter kämpfen“

Herr von Hirschheydt, ist das Ihre schwierigste Phase als Automotive-Chef von Continental?
 
Wir befinden uns aktuell in einer herausfordernden Phase. Das ist keine Frage. Die gesamte Industrie ist in umfassenden Transformationsprozessen. Zudem wird sie mit einem sehr schwierigen Marktumfeld konfrontiert.
 
Sie haben bis Ende Juni 2024 weltweit rund 2800 Stellen in Entwicklung und Verwaltung abgebaut. Fehlen noch 4350 zu den von Ihnen kommunizierten 7150 Stellen. Bleibt es dabei?
 
Wir halten an unserer Zielsetzung fest. Unsere Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung zeigen bereits Wirkung. Von der Gesamtzahl der Stellen, die wir verändern müssen, entfallen rund ein Drittel auf Deutschland. Hier arbeiten wir mit den Arbeitnehmervertretern sozialpartnerschaftlich zusammen.Wie viele der 2800 Stellen wurden in Deutschland abgebaut?
 
Wir kommen gut voran. Bis heute haben wir bereits den Großteil der Stellen abgebaut, so dass einer abschließenden Umsetzung bis Ende 2025 nichts im Weg steht.
 
Sie haben jüngst betriebsbedingte Kündigungen nicht ausgeschlossen. Welche Bereiche bei Conti wären davon betroffen?
 
Unser erklärtes Ziel ist, die Transformation ohne betriebsbedingte Kündigungen zu schaffen. Bei den notwendigen Stellenveränderungen in den Verwaltungsbereichen und in Forschung und Entwicklung sind wir durch freiwillige Maßnahmen bereits ein gutes Stück vorangekommen. Wir sind zuversichtlich, dass wir betriebsbedingte Kündigungen, wenn überhaupt, nur vereinzelt aussprechen müssen.
 
Sie wollen auch 380 Stellen bei Ihrer Software-Tochter Elektrobit streichen. Ist das vor allem der mangelnden Profitabilität der Sparte geschuldet?
 
Die Stellenanpassungen bei unserer Tochter Elektrobit sind Teil der Maßnahmen, die wir im Bereich Forschung und Entwicklung Ende 2023 angekündigt haben, und sind bereits bewältigt. Wie andere Unternehmen auch müssen wir unsere Kosten in dem Bereich an die Markt- und Wettbewerbssituation anpassen. Dabei versteht sich von selbst, dass wir die von unseren Kunden geforderten Kompetenzen, etwa für Softwaredienstleistungen oder die Entwicklung von Softwarelösungen, an Bord halten.
 
Werden sich die Schwerpunkte bei Elektrobit künftig ändern?
 
Nein, aber wir werden den Software-Produktbereich stärken. Wir haben im Rahmen einer Neuorganisation entschieden, Elektrobit und unsere Softwareeinheiten noch näher zusammenzubringen. Es wird keine großen Veränderungen bei den Umfängen geben, aber wir werden die Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens stärken. Unser Plan ist, das spätestens bis zum Jahresende umzusetzen.
 
Das Werk in Karben und die Verwaltungs- und Entwicklungsstandorte Wetzlar und Schwalbach sollen bis Ende 2025 geschlossen werden. Können Sie weitere Schließungen von Standorten ausschließen?
 
Wir schließen nicht alle drei genannten Standorte, sondern prüfen genau und verantwortungsvoll, wie wir uns wettbewerbsfähiger aufstellen können. Schwalbach und Wetzlar werden im Rahmen der Rhein-Main-Konsolidierung mit unserem Standort in Frankfurt zusammengeführt. Die Liegenschaften geben wir auf, aber unsere Kapazitäten und Kompetenzen bündeln wir in Frankfurt, somit bleiben sie uns erhalten.
 
Aber wie sieht es mit den anderen Standorten aus?
 
Wir konzentrieren uns darauf, die Kompetenzen in Frankfurt und Eschborn zusammenzuführen. Dort schaffen wir ein Technologiezentrum beispielweise für High-Performance-Computer. Von der engeren Zusammenarbeit erwarten wir auch, unsere Innovationsfähigkeit zu steigern.

Das ist der wesentliche Grund für die Zusammenführung. Grundsätzlich müssen wir auch weiterhin beobachten, wie sich die konjunkturelle Lage in der Automobilwirtschaft entwickelt. Vor diesem Hintergrund prüfen wir fortlaufend, wie wir unser Standortnetzwerk noch besser auf die Markt- und Kundenanforderungen ausrichten können.
 
Continental soll in ein Auto- und ein Gummigeschäft aufgespalten werden und muss dafür überzeugend profitabel sein. Wie weit sind Sie auf dem Weg zu einer kapitalmarktfähigen Automotive-Sparte?
 
Auf unserem Weg haben wir noch einige Herausforderungen zu meistern. Unter anderem dafür haben wir unsere Transformationsprogramme aufgesetzt. Wir müssen uns selbst finanzieren können. Das gilt unabhängig vom Spin-off. Das ist die Grundvoraussetzung jeden Wirtschaftens. Wir erzielen dabei große Fortschritte, sind aber noch nicht am Ziel. Im zweiten Quartal haben wir gezeigt, dass wir profitabel sind. Dafür müssen wir weiter kämpfen. Wir sehen aber, dass die von uns eingeleiteten strategischen Schritte gut laufen.
 

Ab 2025 sollen jährlich 400 Millionen Euro eingespart werden. Liegen Sie im Plan?
 
Bei der notwendigen Einsparung liegen wir im Zielkorridor. Von den 400 Millionen Euro werden wir in diesem Jahr schon mehr als 150 Millionen Euro erreichen.
 
Wie ist der Plan B neben dem Börsengang?
 
Wir legen einen klaren Fokus auf die geplante Eigenständigkeit als börsennotierte Gesellschaft. Derzeit befinden wir uns dahingehend in einer Detailprüfung. Die Vorstandsentscheidung zum Spin-off des Unternehmensbereichs Automotive soll noch im vierten Quartal getroffen und vorbehaltlich der Zustimmung des Aufsichtsrats im April 2025 der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Bevor wir diesen Schritt gehen können, müssen aber noch einige Punkte geklärt werden.

Welche sind das?

Voraussetzung für einen erfolgreichen Spin-off von Automotive ist ein eigenständiges und tragfähiges Geschäft mit einer starken operativen und finanziellen Leistung sowie einer soliden Kapitalstruktur. Mit Ankündigung unserer Pläne für den Spin-off Anfang August, haben wir mitgeteilt, dass wir nicht bloß ein transformatorisches, sondern ein disruptives Umfeld sehen. Das ist weiterhin so. Es ist eine Notwendigkeit für Unternehmen und Beschäftigte, sich darauf einzustellen. Wir werden diesen Wandel zu unserem Vorteil nutzen.
 
Muss sich in der Zusammenarbeit zwischen OEM und Zulieferer grundsätzlich etwas ändern, weil die Aufteilung der Kosten überdacht werden muss?
 
Wenn die Zulieferer Innovationspartner der Kunden bleiben sollen, müssen sie auch in der Lage sein, Innovationen zu finanzieren.
 
Haben Sie Nachverhandlungen mit den OEMs bei den Preisen mittlerweile abgeschlossen?
 
Wir sehen, dass viele unserer Kunden sehr partnerschaftlich agieren, sodass wir hinsichtlich der Preisverhandlungen auf einem guten Weg sind.
 
Der Rückruf bei BMW aufgrund fehlerhafter Continental-Bremsen hat hohe Wellen geschlagen. Wie wollen Sie das Problem in den Griff bekommen?
 
Grund für die Maßnahme ist ein elektronisches Bauteil, dessen Funktionsweise möglicherweise beeinträchtigt ist. Dies kann in Einzelfällen dazu führen, dass betroffene Bremssysteme auf die eingebaute Rückfallebene zurückgreifen. Auch in diesem Fall liegt die Bremsleistung deutlich über den gesetzlich geforderten Standards und es kann immer gebremst werden.

Gemeinsam mit den BMW-Expertinnen und -Experten wurden entsprechende Maßnahmen ergriffen. Diese umfassen wirksame Hardware-Maßnahmen sowie Optimierungen im Produktionsprozess. Damit können Fahrzeuge mit Bremsen auf dem technisch aktuellen Stand weltweit ohne weitere Vorkehrungen ausgeliefert werden.

Wie viele der Bremssysteme sind fehlerhaft?
 
Auf Basis der bereits getauschten Systeme sowie unserem aktuellen Erkenntnisstand gehen wir derzeit davon aus, dass nur ein geringer Anteil der ausgelieferten Bremssysteme tatsächlich getauscht werden muss. Mit einer Funktion in der Fahrzeugsoftware erkennen wir eine Beeinträchtigung des Bauteils deutlich vor deren Eintritt. Fahrzeughalter und Fahrer werden darüber entsprechend informiert.

Ist BMW schon mit Schadensersatzansprüchen auf Sie zugekommen?
 
Wir haben Rückstellungen im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich gebildet und gehen derzeit davon aus, dass dies für den Gewährleistungsfall ausreichen wird. Alles andere klären wir mit BMW.
 
Haben Sie für das Bremssystem auch andere Kunden?
 
Wir sind vom Potenzial des MK C2 Bremssystems überzeugt. Das sehen auch andere Hersteller so.
 
Ist bei diesen Kunden ein ähnliches Szenario wie bei BMW zu erwarten?
 
Wie gesagt, können mit unseren ergriffenen Maßnahmen Fahrzeuge mit Bremsen auf dem technisch aktuellen Stand weltweit ohne weitere Vorkehrungen ausgeliefert werden.
 
Sind Ihnen Probleme bei anderen Kunden bekannt?
 
Uns sind diesbezüglich keine Rückrufe bekannt.
 
Inwiefern tangieren die Probleme mit dem BMW-Bremssystem Ihr Nachrüstgeschäft?
 
Unser Nachrüstgeschäft ist davon nicht berührt.
 
Erteilt Ihnen BMW keine Neuaufträge mehr?
 
Wir sind zuversichtlich, auch künftig mit der BMW Group zusammenzuarbeiten.
 
Sie haben vor einem Jahr eine Zusammenarbeit mit Google bekanntgegeben. Gibt es dafür schon Kunden?
 
Wir sind in intensiven Gesprächen insbesondere mit zwei potenziellen Kunden.
 
Gemeinsam mit dem US-Start-up Aurora entwickeln Sie ein System, das Lastwagen fahrerlos über High- und Freeways rollen lassen soll. Wann werden wir solche Lkw auf den Straßen sehen?
 
Wir streben an, 2027 in den USA zu starten und sind zuversichtlich, dieses Ziel zu erreichen. Gegenüber dem Pkw gibt es beim Lkw den großen Vorteil, dass das Geschäftsmodell klar ersichtlich ist. Ein automatisierter Lkw kann sicherer, effizienter, energiesparender und vor allem länger – theoretisch 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche – betrieben werden als ein Lkw im manuellen Betrieb.

Gerade vor dem Hintergrund des weltweiten Fahrermangels ergeben sich hier gleich mehrere Vorteile für die Logistikunternehmen und am Ende auch für die Gesellschaft. Zudem setzen wir auf Anwendungsfälle mit überschaubarer Komplexität. Zu Beginn werden die Lkw in bestimmten Regionen der USA von Logistikhub zu Logistikhub starten. Deshalb sind wir überzeugt, dass sich die Automatisierung in der kommerziellen Mobilität deutlich schneller entwickelt als in der privaten.
 
Sind die Probleme in der Lieferkette gelöst?
 
Ja, im Wesentlichen hat sich das Thema normalisiert.
 
Wie entwickelt sich Ihr Auftragsbestand?
 
Wir sind im Großen und Ganzen zufrieden, aber wir spüren auch das aktuell schwache Marktumfeld.