Radikale "Kehrwoche": Wie CIO Katrin Lehmann die Mercedes-IT auf Kurs bringt

Frau Lehmann, Sie haben ihren CIO-Job vor einem Jahr mit vielen Baustellen übernommen. Wie sind Sie vor einem Jahr in die Aufgabe gestartet?

Ich habe vor meinem CIO-Job ein Jahr lang die Sales-IT von Mercedes-Benz geleitet und die Tech-Hubs verantwortet und in der Zeit schon gesehen, was meiner Meinung nach veränderungswürdig ist. Ich habe viel mit den Teams gesprochen und aus diesen Gesprächen meine Fünf-Säulen-Strategie entwickelt.

Erläutern Sie sie uns doch kurz.

Gerne. Der erste Punkt ist „Rock Solid Operations“. Das heißt, unsere IT stellt sicher, dass alle Systeme stabil laufen. Ohne dies als Grundlage können wir nicht erfolgreich arbeiten.

Der zweite Punkt ist „Radical Standardisation“. Aus historischen Gründen haben wir wahnsinnig viele Systeme, die teilweise veraltet sind und die wir jetzt aus der IT-Landschaft herausnehmen.

Der dritte Punkt lautet „Tech Frontrunner“ – wir wollen vorne sein bei neuen Tech-Themen wie KI oder Digital Twins, wir wollen sie mitbestimmen und formen. Punkt vier: „End-to-End Acceleration“ – wie arbeiten wir intern mit den anderen Business-Bereichen zusammen und wie sauber laufen die Prozesse ab?

Und schließlich Punkt fünf „Best Team“, denn wir brauchen die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine starke Teamdynamik, um erfolgreich zu sein.

Lassen Sie uns über den Punkt ‚radikale Standardisierung‘ sprechen. Wie viele IT-Systeme haben Sie schon herausgenommen?

Hier gehen wir sehr radikal vor. Wir waren bei konzernweit rund 9.000 Applikationen, jetzt sind es deutlich weniger. Jedes System weniger heißt weniger Komplexität, weniger Integrationspunkte und weniger Kosten.  

Das wird Herrn Wilhelm freuen. (Harald Wilhelm, Mercedes-CFO, Anm. d. Red.)

Wir haben natürlich ganz klare KPIs, die wir uns regelmäßig anschauen und an denen mein Team und ich gemessen werden.

Können sich die Mitarbeiter gut von den Programmen trennen?

Wir mussten ordentlich in die Kommunikation gehen. Initiative „Kehrwoche“ habe ich das genannt. Natürlich könnte man zahlreiche Applikationen, von denen wir uns trennen wollen, einfach so abschalten. Man kann es aber auch charmant machen.

Und wie?

Wir haben kleine Challenges ausgerufen: Das Team, das seine Daten am ehesten sauber hat, gewinnt einen kleinen goldenen Kehrbesen und ein Teamfrühstück. Außerdem feiern wir Sundowner-Partys. Also, jedes Team, das ein System in der IT-Architektur abschaltet, bekommt Getränke für einen Abend. Diese Kulturinitiativen braucht es, um die Motivation zu erhöhen, sich von Dingen zu trennen, um die man sich lange gekümmert hat.

Das Sparprogramm von Ola Källenius ist also allgegenwärtig. Wo sind weitere Hebel – und: können Sie beziffern, wieviel Sie einsparen müssen?

Beziffern werde ich nichts. Aber natürlich schaut man auf die IT und stellt die berechtigte Frage: 'Geht das noch effizienter?‘

Und? Gehts noch effizienter?

Da sind wir wieder bei meiner Strategie und den fünf Säulen. Denn je weniger Systeme und je mehr Standards wir haben, desto weniger Betriebskosten haben wir. Je weniger Downtimes wir in den Systemen haben, desto weniger Kosten haben wir on top, um die Systeme wieder ans Laufen zu bringen.

Und je mehr GenAI wir nutzen, desto mehr Prozesse können wir optimieren und effizienter gestalten. Je enger wir mit den anderen Geschäftsbereichen zusammenarbeiten und je weniger Reibung wir haben, desto weniger wirkt sich das auf die Kosten aus.

Und zuletzt: Wenn wir unsere Leute gut ausbilden und 100 Prozent der Arbeitskraft sinnvoll nutzen, zahlt das auf den Gewinn ein. Von daher: Alle fünf Säulen sind auf die Unternehmensziele ausgerichtet. Darauf werde ich getrackt und das ist auch fair.

Sprechen wir über KI. Ist der Hype verständlich oder heiße Luft?  

KI ist eines meiner Hauptthemen. Aber KI funktioniert nur, wenn man auch eine gute Datenbasis hat. Denn selbst die beste KI liefert falsche Ergebnisse, wenn sie mit veralteten und falschen Daten trainiert wurde.

Wie gehen Sie das Thema KI konkret an, mit der Intensität, die es ihrer Meinung nach braucht?

Ich habe einen Kollegen direkt in mein Leadership-Team befördert, Daniel Eitler. Er ist seit kurzem GenAI-Officer und hat das Thema Daten und KI übernommen. Beides kann man nicht voneinander trennen.

KI und GenAI sollen künftig nicht nur Arbeitnehmer unterstützen, sondern auch Arbeitsplätze ersetzen. Bei Ihnen auch?

Aus meiner Sicht ist GenAI Teil der Lösung und nicht Teil des Problems. Die Lösung muss sein, dass wir so effizient, so digital und so integriert wie möglich arbeiten.

Entwickeln Sie die Programme selbst, oder kaufen Sie zu?

Das kommt drauf an. Ganz generell gilt: Was strategisch wichtig ist, sollten wir selbst entwickeln mit unseren eigenen Leuten. Was Standard ist, kann auch gut von einem Standardanbieter übernommen und nach draußen vergeben werden.

Wichtig ist mir dabei, dass wir früh dran sind und uns mit allen Trends auseinandersetzen, selbst entwickeln, experimentieren und die Themen kennen. Denn auch hier müssen wir uns irgendwann die Frage stellen, welche Use Cases am effizientesten sind und welche wir zuerst angehen.

Deshalb: Wir setzen KI ganz bewusst ein, wir haben ja auch nicht unendlich viel Budget. Wir schauen, wo wir Mehrwerte und Effizienz schaffen können, für unsere Kundinnen und Kunden oder für die Belegschaft, wo wir einen guten ‚Return on Invest‘ haben und wo es sich wirklich lohnt.

Einer ihrer Punkte ist „Best Team“. Wie schaffen Sie es, so motivierte Leute zu bekommen für ihre ambitionierten Ziele?

Ehrlich gesagt: Ich habe so gut wie niemanden von außen geholt, seitdem ich da bin, und ich habe echt ein super Team. Klar, einige sind altersbedingt in Rente gegangen, dafür sind jüngere Kolleginnen oder Kollegen nachgerückt, teilweise auch umgeschult worden. Der Schlüssel ist Motivation!

2021 hatte ihr Vorgänger Jan Brecht mit Ola Källenius den Plan, einige Teile der IT und rund 500 Mitarbeiter an den Dienstleister Infosys auszulagern, mit der Idee, die IT schlanker aufzustellen. Einige Mitarbeiter wollten nicht und wehrten sich. Ist das Projekt gescheitert?

Es ist grundsätzlich eine gute Idee, gewisse Themen an einen Partner zu geben, um sich effizienter aufzustellen. Das machen viele Unternehmen und es ist keine große Besonderheit.

Hat es funktioniert? Mit Kinderkrankheiten. Aber es ist immer einfacher, hinterher zu sagen, was man alles anders gemacht hätte. Und betrachtet man den Kostenaspekt, hat es sehr viel gebracht.

Wollen Sie noch mehr auslagern?

Es ist eher die Frage, ob wir noch ein paar mehr Themen in die Cloud geben. Aber weiteres Outsourcing ist nicht geplant.  

Sie haben mal gesagt, dass IT sich als die Super-Power im Konzern verstehen soll. Ist sie da schon oder sind Sie erst noch auf dem Weg dahin?

Wir sind noch nicht da, aber wir sind auf dem Weg , definitiv. Wir sind nicht mehr die IT, die im Keller die Strippen zieht und nur Geld kostet. Wir treiben strategische Überlegungen, wie man mit IT und Digitalisierung das Unternehmen effizienter machen und für die Zukunft gut aufstellen kann. Wir sind Teil der Lösung statt Teil des Problems. Sind wir die Super-Power? Natürlich noch nicht. Aber ganz ehrlich, wer ist das schon.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Lehmann.