"Nur im Datensee können wir Fische fangen"

Bei dem Automobilwoche-Webseminar "Nur geteilte Daten sind profitable Daten" haben namhafte Vertreter der Automobil- und IT-Branche auf die enormen Chancen geteilter Unternehmensdaten in der Autobranche hingewiesen. Sie formulierten aber auch zentrale Voraussetzungen dafür, dass der digitale Wandel in der Branche zum Nutzen aller voranschreiten kann.

Gesprächspartner der Automobilwoche-Redaktion bei dem Online-Webseminar waren am Dienstag Helmut Ernst, Senior Vice President Aftermarket bei ZF Servies, Knut Krösche, Senior Vice President Digital Business & Mobility Services bei der VW-IT-Tochter Cariad sowie Jens-Peter Feidner, Managing Director des Rechenzentrumsbetreibers Equinix Germany.

Das Webseminar vom 18. Mai können Sie hier in voller Länge nochmals verfolgen.

Die Kernaussage der drei Experten lautete: Der Wandel der Branche hin zu mehr daten- und softwaregetriebenen Geschäftsmodellen hat hohe Ertrags- und Synergiepotentiale, er kann aber nur gelingen, wenn die großen Akteure bereit sind, sich auf gemeinsame Standards und Schnittstellen zu verständigen und wenn sie erkennen, dass von Anfang an auch kleinere und mittlere Unternehmen Zugang zu den neuen Ökosystemen erhalten müssen.

Einig waren sich die drei Experten bei der positiven Beurteilung aktueller Initiativen zur Schaffung und Unterstützung digitaler Ökosysteme wie Catena-X, Gaia-X und "Datenraum Mobilität."

"Wir wollen mit unseren Daten in diesen Markt reingehen", sagte Cariad-Manager Krösche. "Wo Daten sinnvollerweise geteilt werden, können sie das Gesamtsystem besser machen." In einem großen Konzern könnten auch schon kleine prozentuale Verbesserungen durch ihre Hebelwirkung zu erheblichen Einsparungen und neuen Ertragsmöglichkeiten führen.

VW hatte erst Ende April entschieden, sich an der neuen Initiative Catena-X zu beteiligen, die zum Ziel hat, die grundlegenden Regeln für einen fairen Umgang mit Unternehmensdaten zu definieren und sie allen Beteiligten zur Verfügung zu stellen.

Helmut Ernst von ZF stimmte dieser Sicht zu. Wichtig sei dabei die Nutzung von neutralen Servern, um faire Wettbewerbsbedingungen für alle beteiligten Unternehmen sicherzustellen. "Ein neutraler Server ist Voraussetzung für einen freien Wettbewerb."

Dies bedeutet aber nicht, dass jedes Unternehmen alle Daten in diese Ökosystem einspeisen müsse. Es werde immer Bereiche geben, vor allem in der Entwicklung, wo die Unternehmen lieber bilateral Daten austauschten, statt sie in ein Ökosystem einzuspeisen.

Equinix-Deutschlandchef Feidner betonte, dass Daten erst dann einen Wert erhielten, wenn sie geteilt würden. "Nur wenn viele Daten von vielen Quellen zusammenlaufen, kann Wert entstehen." Die Initiative Catena-X gehe in diese richtige Richtung.

Als Beispiel nannte er den Navigationsdienst Here, der von Daimler, Audi und BMW gemeinsam betrieben wird. "Das ist im Prinzip ein funktionierender Markt für Navigationsdaten." Nach dem gleichen Prinzip seien höchst erfolgreiche Konzepte wie etwa der Wohnungsvermittler AirBnB entstanden. In der Luftfahrt würden alle beteiligten Unternehmen von einem Datenaustausch der Triebwerks-Parameter profitieren.

Cariad-Manager Krösche warnte aber davor zu glauben, dass jedes digitale Teilen automatisch zu hohen Gewinnen führe. "Sie werden nicht mit jedem Service reich, beispielsweise mit einem Parkplatz-Service."

Es sei beispielsweise sehr aufwändig, für die Schaffung eines Parkplatz-Dienstes mit hunderten und tausenden von Kommunen Verträge schließen zu müssen, bevor ein solcher Dienst operativ gehen könne. "Bevor wir mit digitalen Diensten Geld verdienen können, ist noch viel Arbeit zu tun", so Krösche. In manchen Fällen lohne sich dar Aufwand auch nicht.

Insgesamt seien die Aussichten aber verlockend, stimmten die Diskussionsteilnehmer zu. Es sei zwar schwierig, konkrete Effizienzsteigerungspotenziale zu nennen, räumte ZF-Manager Ernst ein. Als Beispiel nannte er ein Problem aus dem Aftermarket- und Servicegeschäft. Es sei bislang noch kaum möglich, exakt vorauszusagen, welche Ersatzteile bei einem bestimmten Fahrzeug zu welchem Zeitpunkt verschlissen seien und somit ausgetauscht werden müssten.

Durch einen Datenaustausch der Werkstätten könne es aber gelingen, die Prognose über den Ausfallzeitpunkt erheblich zu verbessern. "Dann müssten wir nicht mehr Produkte quasi auf Verdacht herstellen, die nur im Regal herumliegen." Allein in diesem Bereich sei mindestens ein zweistelliger Prozentbetrag an Einsparungen durch die Schaffung eines Datenpools möglich.

Knut Krösche von Cariad nannte als weiteres Beispiel die Disposition im Fahrzeughandel. Bislang richteten sich 20 bis 25 Prozent aller Anrufe für die Disposition auf die Frage, wann ein bestelltes Fahrzeug konkret geliefert werde. "Durch einen Datenpool könnten wir das komplett vermeiden, es würde also fast ein Viertel weniger Anfragen geben."

Ein weiterer wichtiger Bereich sei die exakte Zustandsbeschreibung eines Gebrauchtfahrzeugs. Wenn ein Flottenbetreiber sehr exakte Daten zum Zustand seiner Flotte erhielte, könne er weit besser kalkulieren und beispielsweise günstigere Wartungsverträge abschließen.

Die Teilnehmer des Automobilwoche-Webseminars nahmen auch an zwei Life-Umfragen teil, die während der Veranstaltung eingeblendet wurden.

Wir stellen hier beide Umfragen mit ihren Ergebnissen vor.

Das Webseminar vom 18. Mai können Sie hier in voller Länge nochmals verfolgen.