Darum streicht Ford seine Agenturpläne

Herr Ullrich, Ford hat einen U-Turn hingelegt. Statt dem geplanten echten Agenturmodell bleiben sie nun doch beim selektiven Vertrieb. Was war ausschlaggebend?
Jörg Ullrich: Wir haben gemerkt, wie komplex das Thema ist. Das geht vielleicht in einem kleinen Land wie in den Niederlanden, wo wir die Einführung getestet haben. Nicht aber im DACH-Markt: Hier haben wir zwei Währungen, drei Sprachen und drei Gesetzgebungen.

Die Komplexität war von Beginn an bekannt.
Es ist wie mit dem Flug zum Mond. Das bekommt man hin, aber es ist ein extrem hoher Aufwand. Man schafft dies nicht regelmäßig in kurzen Abständen. Wir haben das Modell in den Niederlanden umgesetzt. Das hat funktioniert, aber nur mit einem sehr hohen Aufwand. Deshalb haben wir uns entschieden, uns nicht von der Industrie treiben zu lassen. Jetzt setzen wir einzelne Elemente des Agenturmodells um. Deshalb würde ich auch nicht von einer 180-Grad-Wende sprechen, sondern eher von einer Kurskorrektur.

Entweder Sie führen das ursprünglich geplante Agenturmodell ein oder nicht.
Bei der echten Agentur schreibt der Hersteller die Rechnung. Das machen wir nicht. Alle anderen Agenturelemente kann ich auch im selektiven Vertrieb abbilden. Einige davon haben wir in den neuen Händlerverträgen.

Warum schaffen es neue Player, mit der Komplexität des Agenturmodells umzugehen?
Das hat mehrere Gründe. Sie können mit einem weißen Papier bei Null anfangen. Wir haben ein gewachsenes System, das zum Teil antiquiert ist. Darauf müssen wir aufbauen, was die Lösung deutlich komplexer macht. Das haben wir unterschätzt.

Nennen Sie uns einen weiteren Grund.
Die neuen Wettbewerber kommen mit Elektroautos und haben nur ein begrenztes Angebot. Das ist deutlich einfacher als beispielsweise unser Nutzfahrzeuggeschäft, gerade dies ist aber unsere Stärke. Im Nutzfahrzeuggeschäft ist Komplexität die Grundlage des Erfolges. Mit unserem breiten Angebot können wir auf die individuellen Kundenwünsche eingehen. Das müssen wir in einem solchen System abbilden können.

Was ist für die weiteren Ford-Pläne entscheidend?
Eine Umstellung braucht einen Nutzen – sowohl für Hersteller als auch für Händler. Wenn ich nur Kosten verschiebe, kann ich mir die Arbeit sparen.

Was ist für den Nutzen entscheidend?
Ich kann einen Mehrwert durch Kostenersparnis oder durch Qualitätsverbesserung erzielen. Wir machen beides.

Nennen Sie uns ein Beispiel.
Heute motivieren wir die Händler zu Trainings, die sie selbst bezahlen müssen. Da kommt nur ein Teil der Partner. Künftig bezahlen wir die Kosten, dann müssen alle teilnehmen. Dadurch steigt die Qualität.

Wie schaut es bei der Kostenersparnis aus?
Wenn wir neue Elemente im Showroom eingeführt haben, bestellten die Händler diese nicht bei uns, sondern beim Lieferanten. Dieser verlangte von uns eine entsprechende Größenordnung für die Bestellungen. Die konnten wir ihm aber vorab nie nennen, da wir vorab nie wussten, wie viele Händler wie viel bestellen. Das führte auch dazu, dass wir nach außen kein einheitliches Erscheinungsbild haben. Jetzt läuft dies anders: Wir zahlen die Elemente, dadurch bekommen wir einen besseren Stückpreis und jeder Händler muss es umsetzen.

Warum haben Sie zuvor die Einführung nicht an einen Bonus geknüpft?
Wir hatten schon elf Boni, das wäre der zwölfte gewesen. Wir brauchen einen riesigen Verwaltungsapparat, allein um den Überblick zu wahren. Dabei waren die Effekte relativ gering: Wenn wir einen Bonus eingeführt haben, zeigte er anfangs den gewünschten Effekt. Das flachte dann aber schnell ab. Denn am Ende haben sich die Händler die Boni rausgesucht, die für sie am lukrativsten waren. Ein Hersteller, der neu in den Markt eintritt, kann sich ein so komplexes System gar nicht leisten.

Die neuen Maßnahmen kosten Ford viel Geld. Wo streichen Sie?
Wir reduzieren natürlich die Marge. Den Aufwand, den wir haben, bekommen wir vergütet. Wer keine Stele für den Showroom bestellen muss, braucht auch weniger Geld. Wir haben uns jede einzelne Position des Handels und des Herstellers vorgenommen – was bleibt beim Handel, was kommt zum Hersteller, was kommt vielleicht künftig zum Hersteller.

Wie hoch ist die Grundmarge?
Sie war bislang deutlich zweistellig. Aber das Geld haben sich nicht die Händler in die Tasche gesteckt, davon wanderte viel in den Kundennachlass.

Bei Volumenmarken mit neuen Händlerverträgen wie Hyundai und Renault liegt die Grundmarge bei sechs Prozent. Ist dies auch bei Ford die künftige Größenordnung?
Ich nenne keine genauen Zahlen.

Bei so geringen Grundmargen müssen sie die Preise gut setzen.
Entscheidend ist, dass die Unverbindliche Preisempfehlung und die tatsächlichen Transaktionspreise nicht zu weit voneinander entfernt liegen. Das geht auch ohne Agentursystem, wie beispielsweise Apple zeigt. Hier gibt es keine oder nur sehr geringe Nachlässe.

Kennen Sie einen Automobilhersteller, der die UPE richtig setzt?
Nein. Aber das ändert sich. Bislang haben alle Hersteller die Preise mit Hilfe der Händler gesetzt. Aber die Aufgabe der Schwarmintelligenz übernimmt mehr und mehr die künstliche Intelligenz. KI liefert uns künftig jeden Tag die Transaktionspreise.  Da sind wir zwar noch am Anfang, und es wird noch etwas dauern, bis wir dies übereinander bekommen. Aber aus unserem Pilotprojekt in den Niederlanden haben wir gelernt, dass die richtige Darstellung des eigenen Preises ebenso entscheidend ist wie die relative Positionierung zum Wettbewerb. Sonst kommt der Kunde erst gar nicht in den Schauraum oder geht zur Konkurrenz.

Das Abwandern verhindert der Handel, weil er am Ende doch noch etwas Nachlass gibt.
Ohne Closing Tool verliert der Handel viele Kunden, das Kundenerlebnis kann hier nur zum Teil entgegenwirken. Das ist völlig unstrittig. Wenn der Kunde nachweisen kann, dass er das gleiche Produkt anderswo zu einem besseren Preis bekommt, geht der Verkäufer mit oder der Kunde ist weg. Das ist in allen Branchen so. Da müssen sie sich nur die Tiefpreisgarantie im Baumarkt anschauen.

Rabatte am PoS kennt das Agenturmodell nicht. Ist das Closing Tool der Todesstoß für das Agenturmodell?
Es war gut, dass von außen der Anstoß zum Agenturmodell kam. Wir waren zu träge, sowohl bei den Herstellern als auch im Handel. Die Elektromobilität hat uns zum ersten Mal wachgerüttelt. Wir mussten unsere Produktionsprozesse hinterfragen und einfacher werden. Die Agentur rüttelt uns zum zweiten Mal wach. Wir müssen uns jetzt an den neuen Wettbewerbern messen. Aber auch im Agenturmodell gibt es Nachlässe, diese sind nur nicht so sichtbar.

Wie geht es mit den neuen Ford-Händlerverträgen weiter?
Mitte Mai erhalten die Händler den finalen Entwurf, dann haben sie bis Anfang Juli Zeit, diese zu unterschreiben. Ab 1. April 2025 sind die neuen Verträge wirksam.

Mit den neuen Verträgen geht eine Netzbereinigung einher. Derzeit haben Sie 1200 Vertriebsstützpunkte – das ist letztlich Wahnsinn.
Ja.

Wie viel soll es künftig sein?
Wir haben ein gutes Vertriebs- und Servicenetz. Diesen Vorteil wollen wir unseren Wettbewerbern gegenüber halten.  Es kommt zu einer Netzanpassung. Aber auch künftig muss niemand weiter als 45 Minuten fahren, um einen Ford zu kaufen. Eine Werkstatt ist in 15 bis 20 Minuten erreichbar. Das ist wichtig, vor allem für das Nutzfahrzeuggeschäft, das bei uns zukünftig etwa die Hälfte des Absatzes ausmacht. Hier ist es entscheidend, dass die Fahrzeuge schnell repariert sind. Dafür sind die Kunden bereit, mehr zu zahlen.

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau Ford bis 2025