Tesla: Drei Szenarien für die Zukunft des Elektro-Pioniers

Die Branche diskutiert sich über Tesla die Köpfe heiß. Hinter dem globalen Elektro-Marktführer liegt ein turbulentes erstes Quartal. Auch bei den Finanzkennzahlen gerät das US-Unternehmen von CEO Elon Musk stärker unter Druck. Wie das Unternehmen mitteilte, ging der Umsatz erstmals seit 2020 zurück und sank um 8,5 Prozent auf 21,3 Milliarden Dollar. Der Gewinn brach sogar noch stärker ein und schwand um 55 Prozent auf 1,1 Milliarden Dollar. Aber wie geht es bei Tesla jetzt weiter?

Kehrt der Elektropionier zurück auf den Thron des globalen Innovationsführers in der Elektromobilität? Wird Tesla zum normalen OEM mit einem reinen Elektroportfolio, wie viele Wettbewerber in den nächsten Jahren ebenfalls? Oder droht sogar der komplette Absturz und das Ende von Tesla als Autoriese? Die Automobilwoche prüft die drei möglichen Szenarien und sagt, wie wahrscheinlich das Eintreten ist.

Ganz nüchtern betrachtet, hat Tesla diesen Thron aktuell schon wieder bestiegen. Nachdem BYD seinem Wettbewerber aus den USA im vierten Quartal 2023 erstmals die Krone abjagte, schlug Tesla trotz eines schwachen ersten Quartals 2024 zurück und führte die Absatzstatistiken mit 386.110 Elektroautos zu 300.114 Fahrzeugen wieder an. Doch Analysten erwarten eine Antwort der Chinesen schon im zweiten, spätestens im dritten Quartal und dann eine dauerhafte Trendwende – mit dem Thron für BYD.

Der chinesische Hersteller startet erst jetzt Stück für Stück mit seiner Vetriebsoffensive in Europa, erste Frachter des Autoriesen erreichten erst Ende des ersten Quartals das europäische Festland. Zwar gibt es in ganz Europa aktuell rückläufige Verkäufe bei Elektrofahrzeugen, dennoch dürfte BYD sich mit der Markterschließung in Europa und dem gleichzeitigen weiteren Wachstum in China perspektivisch eher wieder im Bereich der 526.409 global verkauften Elektrofahrzeuge des vierten Quartals 2023 einsortieren.

Das Unternehmen wächst seit Jahren rasant und hat – anders als Tesla – stetig neue Produkte, um neue Marktsegmente zu bedienen. Im Absatzwettkampf ist das US-Unternehmen mit seinen vier verhältnismäßig alten PKW, dem durch Produktionsmängel belasteten Cybertruck und dem LKW Semi auf Dauer so nicht konkurrenzfähig zu BYD.

Bei den Innovationen sieht es (noch) besser aus. Teslas selbst ernannter „Autopilot“ ist zwar eigentlich keiner, doch das Marketing funktioniert zuverlässig. Viele Kunden glauben den Versprechen des „Full Self Driving“ und bringen technisch überlegene, automatisierte Fahrfunktionen immer noch weit mehr mit Tesla als mit etablierten OEMs oder gar neuen Wettbewerbern aus China in Verbindung. Eine Chance für Tesla. „Der Elektromarkt zeichnet sich durch hohen Preisdruck und derzeit gedämpfte Nachfrage aus. Das ist keine Wachstumsstory mehr. Beim autonomen Fahren gäbe es sehr viel Potenzial, und wer da den richtigen Technologie-Ansatz findet, hat einen langfristigen Vorteil“, sagt Gabriel Seiberth, Head of Europe beim Software-Entwicklungsunternehmen KPIT, der Automobilwoche.

Wahrscheinlichkeit: 30 Prozent

Der Konkurrenzdruck für Tesla steigt stetig. Starteten vor allem die etablierten OEMs verzögert in den Elektromarkt, haben Volkswagen, BMW, Mercedes und auch Stellantis inzwischen klare Roadmaps für die Transformation und ein stetig wachsendes Produktportfolio bei Elektroautos. Den von Tesla-Chef Elon Musk immer wieder angekündigten „Volks-Tesla“ im Bereich von 25.000 Dollar baut in Europa inzwischen Citroen, Volkswagen legt im kommenden Jahr nach. Angebote im Bereich eines Grundpreises von 20.000 Euro sind ebenfalls bei Renault und VW in Planung. Musk kündigte nun bereits im kommenden Jahr ebenfalls neue Modelle an. Zu den Preisen sagte er aber bisher nichts.

Weiteres Problem: Von oben aus dem Premium-Segment drängen BMW und Mercedes mit ihren Architekturen Neue Klasse und MMA auf die Technologieführerschaft. Zentrale leistungsfähige Steuergeräte statt einer umständlich im Fahrzeug verteilten Architektur, enorme Zugewinne bei Reichweite und Effizienz, auch die von Tesla eingesetzten Rundzellen finden sich in der Neuen Klasse wieder. Alleinstellungsmerkmale für Elon Musk und seine Ingenieure gibt es immer weniger.

Dafür sorgt auch die aktuelle EU-Flottengesetzgebung. „Tesla gerät immer stärker unter Druck von etablierten OEMs, vor allem aus Europa. Diese OEMs erweitern ihr Produktangebot bei Elektrofahrzeugen ab 2025 stetig, vor allem, weil sie die EU-CO2-Flottenziele einhalten müssen, die in diesem Jahr noch einmal um 15 Prozent unter dem Wert von 2021 liegen. Kunden bekommen eine immer größere Auswahl, weit mehr als die Modelle von Tesla“, sagt Matthias Schmidt, Automobilanalyst von Schmidt Automotive Research, der Automobilwoche.

Das wird Teslas Marktanteile in Europa nach unten drücken, aber längst nicht für ein vollständiges Ende des Herstellers sorgen. Matthias Schmidt: „Tesla ist längst so groß und hat eine etablierte Marken-DNA, dass loyale Kunden nicht über Nacht zu einem anderen Hersteller wechseln.“ Doch die Zeiten der Dominanz im EV-Segment könnten 2024 endgültig ihr Ende erreichen. 

Wahrscheinlichkeit: 60 Prozent

Ein Hersteller, der global im vergangenen Jahr 1,8 Millionen Autos an Kunden auslieferte, kann nicht so schnell scheitern? Vielleicht schon, wenn der CEO Elon Musk heißt. Dass der erratisch agierende Milliardär an Bereichen seines vielfältigen Unternehmensportfolios die Lust verliert, kam durchaus schon vor. Nächster Heilsbringer für Tesla soll am 8. August die Vorstellung eines eigenen Robotaxis sein.

Marktkenner sind skeptisch, was das Geschäftsmodell angeht und zweifeln an einer profitablen Lösung. Im Rahmen des Quartalszahlen-Calls mit Analysten und Investoren deutete Musk erstmals den Namen "Cybercab" für sein Robotaxi an. Alarmierend war aber, wie der Tesla-Chef die rechtlichen Herausforderungen für den Aufbau einer eigenen Robotaxi-Flotte einschätzte: "Ich glaube nicht, dass es viele gesetzliche Hindernisse gibt."

Was bleibt dann für Tesla, wenn das Robotaxi scheitert? Die nur 3878 Modelle des erst kürzlich vorgestellten Cybertruck mussten vergangene Woche zurückgerufen werden, da es ein Problem mit dem Gaspedal gab. Der „Volks-Tesla“ ist laut eines Berichts der Nachrichtenagentur Reuters komplett eingestampft, auch wenn Musk das scharf dementiert. Die vier Modelle Model S, Model X, Model 3 und Model Y sind in die Jahre gekommen und werden nur per moderater Facelifts aktualisiert.

Dazu schadet das Image von Elon Musk mit seiner Unterstützung für rechtspopulistische Positionen und Parteien dem Unternehmen mehr und mehr. Um Kosten zu senken und den schwindenden Absätzen etwas entgegenzusetzen, will Tesla jetzt global zehn Prozent seiner Belegschaft entlassen. Kurzfristig wurden zudem erneut Listenpreise gesenkt, um die Nachfrage für die vier Fahrzeuge im Portfolio anzukurbeln. Zudem gingen zahlreiche langjährige Führungskräfte des Unternehmens von Bord. Jüngstes Beispiel: Martin Viecha, lange Jahre Teslas Investor-Relations-Chef und in den Quartals-Calls sowas wie die Stimme von Tesla neben dem oft abwesend wirkenden, einsilbig antwortenden Unternehmenschef Musk, kündigte während der jüngsten Telefonkonferenz überraschend seinen Abschied an.

In Summe eine bedenkliche Entwicklung mit vielen Alarmsignalen für den lange so erfolgreichen Elektrohersteller. Doch für ein komplettes Ende von Tesla ist die Kriegskasse des Unternehmens und sind auch die Bankkonten von Elon Musk selbst noch beeindruckend gut gefüllt. Nur ein radikaler Stimmungsumschwung des Tesla-Chefs verbunden mit einer noch weit länger als aktuell andauernden Krise könnten dem US-Unternehmen nachhaltig zusetzen und für ein Ende von Tesla sorgen.

Wahrscheinlichkeit: 10 Prozent