Analyse: Warum VW dringend ein preiswertes E-Auto braucht

Legend heißt die Studie im Stil des ersten Renault Twingo. Damit zeigten die Franzosen schon im November, wie aus ihrer Sicht ein kleines Einstiegs-Elektroauto zu günstigen Preisen aussehen könnte. Und in diesem Segment zeigt sich Renault offen für Kooperationen. Auf dem Genfer Salon Ende Februar legte Renault-CEO Luca de Meo dazu eine heiße Fährte. Er bestätigte Gespräche mit anderen Herstellern über die gemeinsame Nutzung einer Elektro-Plattform für besonders günstige Kleinwagen – darunter Volkswagen.

Grundsätzlich hat VW den Plan eines kleinen Elektroautos zu Preisen ab 20.000 Euro für das Jahr 2027 bereits bestätigt. Allein: Weitere Details zum günstigen Einstiegs-Elektroauto sind nicht bekannt. Und zum aktuellen Stand einer möglichen Kooperation im elektrischen Einstiegssegment äußern sich offiziell weder Renault noch Volkswagen.

Auch Medienberichte zum angeblichen Ende einer anberaumten Zusammenarbeit veranlassten die Unternehmen auf Nachfrage der Automobilwoche zu keiner konkreten Stellungnahme. Mobilität für alle sei seit jeher ein zentraler Anspruch der Marke Volkswagen, so ein Sprecher des Wolfsburger Konzerns lediglich. Und: Man prüfe derzeit verschiedene Optionen, um das Produktportfolio für eine erschwinglichere E-Mobilität zu erweitern – einschließlich möglicher Kooperationen. Zu potenziellen Partnern damit also kein Wort.

Dass Volkswagen für ein Einstiegs-Elektroauto Kooperationen in Betracht zieht, ist angesichts des geringen Renditepotenzials kleiner Autos generell und kleiner Elektroautos im Speziellen nur konsequent. Das Einsteigersegment – hier definiert durch Einstiegspreise ab unter 20.000 Euro – zähle, so auch Analyst Jürgen Pieper, zumindest aus rein ökonomischer Sicht vordergründig nicht zu den profitablesten Projekten für Automobilhersteller: „Weil sich mit einem Preiswert-Auto wenn überhaupt nur wenig Geld verdienen lässt.“

Mit Blick nach Wolfsburg sagt er aber auch: „Für das Renommee allerdings wäre ein solches Einsteigerprodukt wichtig, schließlich liegt die Wurzel der Marke VW genau dort: bei einem preiswerten und außerdem robusten Auto für jedermann.“ Ähnlich sieht es auch Frank Schwope, Volkswagen-Kenner und Automobildozent an der FHM Hannover, der seinen Blick auch in Richtung Wettbewerb lenkt: „Kleinstwagen dienen eher als Einstiegsklasse zur Kundenakquise und Kundenbindung und dazu, der Konkurrenz etwas entgegenzustellen – gerade mit Blick auf die sich aufbauende Welle chinesischer Importfahrzeuge.“

Wer Kleinst- und Kleinwagen dennoch außer Acht lässt, verzichtet also darauf, seinen eigenen Kundennachwuchs nachzuziehen. Und auf einen wichtigen Teil des Marktes. Mehr als ein Viertel der deutschen Neuzulassungen entfällt laut Zahlen des Datenexperten Dataforce auf das A- und B-Segment – also auf Kleinst- und Kleinwagen. In der EU lag der Anteil seit 2019 teilweise sogar über 40 Prozent.

Generell sehen Pieper und Schwope Volkswagen in den unteren Segmenten nicht gut aufgestellt. Mit Blick auf die Einstiegssegmente sagt Pieper: „Hier besteht einfach eine Lücke.“ Und das sei nicht nur bei den Elektroautos und der Marke Volkswagen der Fall, auch Seat, Cupra und Skoda bewegten sich nach oben. „Strategisch fragt man sich immer mehr, wofür die Marke und auch der gesamte Konzern eigentlich stehen wollen“, so Pieper. „Auch weil das schwer zu erkennen ist, wenden sich die meisten Investoren weiterhin vom Unternehmen ab.“

Es drängt also die Zeit für Wolfsburg. Knapp 40.000 Euro kostet VWs günstigstes Elektroauto, der ID.3, derzeit laut Liste und ohne zeitliche begrenzte Prämienaktionen. Andere Hersteller sind schon deutlich weiter, was den Einstieg in die E-Mobilität angeht. Mit Dacia, Citroen, Renault und Fiat bieten bereits heute etablierte Hersteller Elektroautos an, deren Einstiegspreis in Deutschland unter 30.000 Euro liegt. Weitere Modelle sind in Sicht: Fiat plant noch dieses Jahr die Präsentation eines elektrischen Panda, Renault legt in Kürze mit dem elektrischen R5 einen emotionalen Klassiker als Stromer neu auf. Angepeilter Preis: ab 25.000 Euro.

Diese Autos sind zwar deutlich kleiner als der ID.3, aber eben auch erschwinglicher. Ein starkes Argument, wenn man bedenkt, dass in Deutschland laut aktuellem DAT-Report 46 Prozent der Privatkunden befürchten, sich ihr Auto aufgrund der aktuellen Entwicklungen bald nicht mehr leisten zu können.

Aber nicht nur in Europa spielt das untere Preissegment bei Elektroautos eine wichtige Rolle. Auch in China, dem wichtigsten Markt für Volkswagen und derzeit extrem umkämpft, spielt das untere Preissegment eine immens wichtige Rolle. Auch hier haben die Wolfsburger wenig bis nichts zu bieten, wenn es um Elektroautos geht. Die Lösung soll die China Main Platform (CMP) sein, die Volkswagen in seinem chinesischen Entwicklungszentrum in Anhui entwickelt. Auf ihr sollen ab 2026 mindestens vier Elektroautos im Einstiegssegment entstehen. Wie der Name schon vermuten lässt, werden es diese Fahrzeuge nicht nach Europa schaffen.

Auf dem alten Kontinent will Volkswagen mit einem neuen Elektroauto in Polo-Größe eine erste Lücke am unteren Ende der Modellpalette stopfen. Einen Ausblick auf die VW-Version – Ableger von Cupra und Skoda kommen ebenfalls – gab bereits 2023 die Studie VW ID.2all. Die Präsentation der Serienversion plant VW weiterhin für 2025, Ende nächsten Jahres sollen die Kunden einen ersten Blick auf das Auto werfen können. Auf den Markt kommt der Kleinwagen aber wohl erst 2026 – auch da stand ursprünglich die Zahl 2025 im Raum. Unverändert bleibt der angepeilte Einstiegspreis von unter 25.000 Euro.

Grundsätzlich hält Jürgen Pieper Kooperationen gerade im Kleinwagen-Segment für sinnvoll, vor allem dann, sollte das Auto in Westeuropa produziert werden: „Eine größere Menge würde das Projekt bei zwei oder mehr Partnern finanziell deutlich attraktiver machen.“ Auch Frank Schwope betont das Potenzial, im Rahmen von Kooperationen Entwicklungskosten zu teilen. Er sagt aber auch: „Der Volkswagen-Konzern mit seinen vielen Marken ist so groß, dass er die Entwicklung auch eigenständig stemmen könnte.“

Frank Schwope hält eine Kooperation von Volkswagen mit einem anderen Hersteller für realistisch. „Es ist durchaus möglich, dass Volkswagen in den nächsten Monaten oder Jahren neue Kooperationspartner bei Fahrzeug-Projekten vorstellt.“ Als Beispiele nennt er Gerüchte um eine Kooperation mit Stellantis oder eben auch die diskutierte Zusammenarbeit mit Renault.

Pieper dagegen hält Kooperationen von Volkswagen in diesem Punkt derzeit für nicht sehr realistisch: „Andernfalls hätte man schon längst Vollzug gemeldet.“ Unabhängig vom derzeitigen Status sieht Analyst Pieper in Ford einen geeigneten Volkswagen-Partner, auch mit Blick auf das Einstiegssegment. Beide Unternehmen arbeiten bereits in anderen Projekten eng zusammen. So bezieht Ford  Volkswagens MEB-Plattform für sein Elektro-SUV Explorer, außerdem entwickeln und produzieren VW und Ford gemeinsam leichte Nutzfahrzeuge.