Diesel: Europas zähes Ringen um die Emissionsregulierung

Die EU-Kommission hat die Bemerkungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) über eine drohende Stilllegung von älteren Diesel-Fahrzeugen zurückgewiesen. Binnenkommissar Thierry Breton stellte klar, dass es keine rückwirkenden Änderungen am Fahrzyklus NEFZ geben werde.

Bei der Auseinandersetzung geht es aber nicht nur um die längst abgelöste Emissionsregel "NEFZ", sondern auch um künftige Weiterentwicklungen der Emissionsregeln in der EU. Die Automobilwoche erläutert  im Folgenden die Entwicklung der Emissionsregulierung.

Otto- und Dieselmotoren dürfen in der Europäischen Union nur betrieben werden, wenn sie Mindeststandards bei den Emissionen erfüllen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen CO2-Flottengrenzwerten und anderen Schadstoff-Grenzwerten, die sich auf CO, HC NOx und Partikel beziehen (Hinweis: in einer früheren Version dieses Textes wurde diese Unterscheidung nicht getroffen).

In der Europäischen Union gibt es CO2-Grenzwerte als gesetzliche Vorschrift erst seit 2012 und vollumfänglich seit 2015. Zuvor waren diese Grenzwerte nur eine Empfehlung, an die sich die Hersteller per Selbstverpflichtung binden sollten. Die Autobauer hatten sich verpflichtet, bis 2008 ein Mittel von 140 g CO2/km zu erreichen. Dieses Ziel wurde jedoch deutlich verfehlt, weshalb der Gesetzgeber einschritt.

Bis 2018 galt in der EU der sogenannte Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), der seit dem 1. Juli 1992 Basis für die Typgenehmigung von Fahrzeugen war. Sein internationaler Name lautet New European Driving Cycle (NEDC).

Ein zentraler Mangel des NEFZ bestand darin, die Prüfbedingungen zu ungenau zu halten. So wich dieser Testzyklus von alltagsüblichen Fahrzyklen stark ab. Auch das Brems- und Beschleunigungsverhalten sowie die Anteile von Stadt-, Land- und Autobahnfahrten waren nicht realistisch.

Nicht zuletzt konnten die Autobauer durch zahlreiche Tricks die Emissionen ihrer Serienautos senken. Die Ingenieure waren sehr begabt darin, legale Schlupflöcher auszunutzen.

So war es üblich, die Reifen auf den maximalen Druck aufzupumpen, zudem wurden besonders rollwiderstandsarme Reifen aufgezogen. Sogar die Einstellung der Räder wurde zu Gunsten eines geringstmöglichen Verbrauchs geändert - und zu Lasten größerer Fahrsicherheit.

Natürlich nutzten die Hersteller für die Tests grundsätzlich Modelle mit der leichtesten Ausstattungslinie, um Gewicht zu sparen.

Üblich war es, den Kühlergrill, Türschlitze, Seitenspiegel, Scheibenwischer und Antennen windschnittig abzukleben. Auch die Felgenabdeckungen wurden vielfach windschlüpfiger gestaltet.

Als selbstverständlich galt es, die besten Schmierstoffe einzusetzen für die geringstmöglichen Reibungsverluste im Motor und im Getriebe. Einige Hersteller nutzten auch optimal "eingefahrene" Modelle, die schon mehrere tausend Kilometer auf dem Tacho hatten.

So kamen unter dem Strich Spritverbräuche und CO2-Emissionen zu Stande, die zum Teil 25 Prozent unter den real erzielbaren Werten lagen.

Nach langen öffentlichen Diskussionen und fachlichen Debatten in zahlreichen internationalen Gremien wurde der NEFZ schließlich  am 1. September 2018 abgelöst vom neuen "Worldwide harmonized Light-Dut Vehicles Test Procedure" (WLTP).

Einen wesentlichen Anstoß dafür hatte der Betrug mit illegalen Manipulationen an Dieselmotoren durch mehrere Hersteller geliefert. Im September 2015 war in den USA aufgedeckt worden, dass Volkswagen illegale Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung von Diesel-Motoren des Typs EA189 eingebaut hatte. Die US-Abgasnormen wurden nur durch einen besonders abgasarmen Prüfstand-Modus erreicht.

Die "Clean Diesel"-Kampagne verschiedener deutscher Autobauer in den USA brach daraufhin zusammen, Konzernchef Martin Winterkorn musste gehen und eine Klagewelle und zahlreiche Prozesse waren die Folge.
 

Beim NEFZ war der zu Grunde gelegte Fahrzyklus ausschließlich als theoretische Messfahrt definiert, ohne ausreichenden Bezug zu realen Fahrten im Alltagsverkehr. Zudem war der NEFZ eine europäische Norm, die nicht weltweit als Standard etabliert war.

Diese beiden wesentlichen Mängel sollte der neue WLTP so weit wie möglich abstellen, indem auch Emissionswerte aus realen Fahrdaten (Real Drive Emissions, RDE) einbezogen wurden und indem auch Japan, die USA, China, Russland, Indien und andere Länder an der Definition des WLTP beteiligt wurden.

In Deutschland werden neue Pkw-Typen vom Kraftfahrt-Bundesamt seither nur noch zugelassen, wenn sie die Abgasnormen 6c oder 6d /6d-TEMP aufweisen.

Um international vergleichbar und zu sein und Schlupflöcher auszumerzen, müssen Fahrzyklen extrem exakt definiert werden.

Beim WLTP werden deshalb anders als beim NEFZ auch Sonderausstattungen wie etwa größere Räder, Schiebedächer, Getriebekombinationen und unterschiedliche Karosserieformen berücksichtigt.

Auch die Brems- und Beschleunigungsphasen sind beim WLTP praxisnäher. Ebenso sind die Testtemperaturen exakter definiert. Es gilt eine konstante Temperatur von 23 Grad, beim NEFZ waren Temperaturen bis 30 Grad möglich. In Europa wird außerdem ein zusätzlicher Test mit 14 Grad vorgenommen.

Die Testbedingungen schreiben außerdem vor, dass das zu testende Fahrzeug umfassend auf Mängel geprüft wird. Bei Hybridfahrzeugen ist auch die für den Fahrstrom genutzte Batterie von Bedeutung, deshalb wird sie vor dem Test auf eine Mindest- Lade- und Entladeleistung hin geprüft. Dies wird als "Grundvermessung" der Batterie bezeichnet.
 

Beim WLTP werden die Emissionen ebenso wie beim NEFZ im Labor auf einem Rollenprüfstand durchgeführt. Zusätzlich ist beim WLTP auch ein komplexer Fahrtest auf echten Straßen vorgeschrieben. Dieser "Real Drive Emission-Test" ist vor allem für für die Emissionen von Stickoxiden und Feinstaub seit September 2017 nach 6d-TEMP verpflichtend.

Der NEFZ besteht aus zwei Teilen, einem innerstädtischen Teil und einem außerstädtischen Teil.  Der Stadt-Fahrzyklus besteht aus vier hintereinander gefahrenen Grundstadtfahrzykle. Insgesamt wird in 1180 Sekunden eine Strecke von elf Kilometern zurückgelegt. Die Probenentnahme beginnt sofort mit dem Motorstart und endet nach 1180 Sekunden.

Zum Vergleich: Der WLTP-Zyklus besteht dagegen aus vier Teilen: Low, Medium, High und Extra High. Je nach Fahrzeugkategorie werden entsprechend vorgeschriebene Teilzyklen gefahren. Bei leistungsschwächeren Fahrzeugen wird auf den Extra High – Abschnitt verzichtet. Insgesamt wird in 1800 Sekunden eine Strecke von ca. 23,3 km zurückgelegt.