VDA-Chef Wissmann: "Beinharter Wettbewerb"

Herr Wissmann, welche Impulse erwarten Sie von der Detroit Auto Show 2012 für das Geschäft deutscher Autoanbieter in Nordamerika?

Wir hoffen natürlich, dass wir die Erfolgsstory von 2011 auch im neuen Jahr fortsetzen können. Wir wollen 2012 weiter Marktanteile gewinnen, im Volumen- wie im Premiumsegment. Außerdem werden wir in den USA noch stärker zeigen, welch enormes Potenzial im Clean Diesel steckt. Wer als Autofahrer große Reichweite mit niedrigstem Verbrauch und geringsten CO2-Emissionen verbinden will ­ – und gleichzeitig auf hohes Drehmoment und kraftvollen Antrieb Wert legt –­, kommt am Clean Diesel nicht vorbei.

Hat die Eröffnung des VW-Werks Chattanooga in Tennessee im Mai 2011 der deutschen Fahrzeugindustrie in Nordamerika insgesamt geholfen?

Alle deutschen Hersteller werden in den USA mit starken neuen Produkten immer erfolgreicher. Der US-Absatz von deutschen Modellen, die im NAFTA-Raum gefertigt werden, ist allein im Jahr 2011 um 40 Prozent gestiegen. Chattanooga, Spartanburg oder Tuscaloosa tragen erheblich dazu bei, dass unsere Unternehmen stärker als Teil Amerikas wahrgenommen werden. Das ist für den amerikanischen Verbraucher ebenso wichtig wie die Innovationskraft und Qualität unserer Produkte. Je stärker wir als deutsche Industrie in den USA vertreten sind, umso besser kommen wir dort auch psychologisch in die Offensive.

Wie steht der VDA zum neuen Footprint-Ansatz des CAFE-Standards, den Vorgaben zur Corporate Average Fuel Economy in den Vereinigten Staaten?

Auch die USA setzen auf geringeren Kraftstoffverbrauch und CO2-Reduzierung. Während die EU-Regulierung einen gewichtsbasierten Ansatz hat, wählten die Amerikaner mit dem Footprint die Kriterien Radstand und Spurbreite. Auch gibt es für Cars und Light Trucks unterschiedliche Vorgaben. Wir sehen das als neue Herausforderung und stellen uns darauf ein. Wer die effizientesten Antriebe mit den besten CO2-Werten hat, kommt auch mit dem Footprint-Ansatz zurecht. Der Clean Diesel ist auch für die Zielerreichung in den USA wichtig.

Bereitet Ihnen die Entwicklung des Dollar-Kurses derzeit Sorgen?

Von den hohen Volatilitäten an den jeweiligen Finanzmärkten haben wir uns ja insofern etwas unabhängiger gemacht, als die deutsche Automobilindustrie vermehrt vor Ort, auf Märkten wie Nordamerika, produziert. Der Dollar ist zurzeit nicht unsere größte Sorge. Das drängendste Problem ist vielmehr, dass es bald gelingen muss, die europäische Staatsschuldenkrise in den Griff zu bekommen. Dazu gehören harte Stabilitätsregeln und konsequente Sanktionen gegen Haushaltssünder. Wir plädieren für eine entsprechende Fiskalunion. Wenn es gelingt, diesen Unruheherd der Weltfinanzmärkte nachhaltig zu beruhigen, wäre das sicher der größte Beitrag zu einer stabilen Aufwärtsentwicklung an den weltweiten Automobilmärkten, nicht nur in den Vereinigten Staaten.

Die Debatte um die Zukunftsfähigkeit der europäischen Währung schadet natürlich der Weltwirtschaft und dem globalen Handel, da sie den Verbraucher verunsichert. Wir dürfen nie vergessen: Ein Auto ist ­ nach der Immobilie die zweitwichtigste Anschaffung, die die Menschen tätigen. Wer einen Neuwagen kauft, braucht Vertrauen und ein stabiles Umfeld. Da müssen wir höllisch aufpassen.

China ist als Wirtschaftsmacht weltweit auf dem Vormarsch. Wann werden OEMs und Zulieferer aus dem Reich der Mitte in strategisch wichtigen Regionen der Triade wie Amerika und Europa als neue Wettbewerber nennenswert vertreten sein?

Ich glaube, das wird noch eine Reihe von Jahren dauern. Aber dass unsere chinesischen Kollegen hellwach sind und alles tun, um auch bei der Herstellung von Automobilen den Anschluss an die Besten zu bekommen, davon bin ich zutiefst überzeugt.

Unsichere Finanzmärkte, neue Konkurrenten ­– steht die deutsche Automobilindustrie 2012 insgesamt vor einem schwierigen Geschäftsjahr?

Leicht war das Geschäft nie, der internationale Wettbewerb ist beinhart. Wir haben uns stets dem rauen Wind gestellt. Für 2012 erwarten wir weiter einen positiven Trend, sofern man weltweit alle Märkte zusammenzählt. Im vergangenen Jahr haben wir in nahezu allen Regionen Marktanteile gewonnen. 2012 nehmen wir den Fuß etwas vom Gas, aber halten das Tempo. Die kritischste Region dürfte Südeuropa sein. Umso wichtiger ist es, dass die Stabilisierung der Finanzmärkte gelingt. Nach zwei stürmischen Wachstumsjahren könnten wir mit einer langsameren Aufwärtsentwicklung durchaus leben. Eine weltweite Rezession sehe ich nicht.

Was ist in Deutschland zu tun, um dem Dauerproblem des Fachkräftemangels endlich wirksam begegnen zu können?

Wir setzen uns gegenüber der Bundesregierung dafür ein, dass wir ­ neben der Förderung der Ausbildung in Deutschland für qualifizierte Bürger dieses Landes ­ auch eine entsprechend verbesserte Regelung der Zuwanderung erhalten. Und zwar vor allem für Ingenieure und Facharbeiter. Erfreulicherweise hat die Regierung darauf reagiert, indem sie etwa die Einkommensschwellen für Zuwanderer herabgesetzt hat. In Deutschland müssen wir verstehen, dass wir den enormen Fachkräftebedarf künftig nur decken können, wenn wir sowohl die Ausbildungsförderung voranbringen und unser berufliches Bildungssystem weiter entwickeln als auch dauerhaft qualifizierte Zuwanderung ermöglichen. Unser Problem war bisher, dass die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme relativ einfach war. Nicht so einfach – aber notwendig – ­ ist qualifizierte Zuwanderung.

Welche Projekte möchten Sie als Präsident des Verbands der Automobilindustrie im jüngst begonnenen Jahr 2012 ganz persönlich voranbringen?

Eines meiner Ziele ist, die gut angelaufene Arbeit der Nationalen Plattform Elektromobilität weiterzuführen. Forschung, Entwicklung und Markteinführung von Elektrofahrzeugen müssen wirklich gemeinsam von Wirtschaft und Regierung vorangetrieben werden. Zweitens möchte ich ­ gemeinsam mit unseren Mitgliedsunternehmen ­ die Vorteile des Clean Diesel stärker auf wichtigen Märkten wie den USA positionieren. Und drittens ist alles zu tun, um den nicht immer einfachen Dialog zwischen Herstellern und Zulieferern in Deutschland so zu moderieren, dass in diesen schwieriger werdenden Zeiten am Ende beide Seiten zufrieden sind. Denn um unseren Verbund aus hoch innovativen Konzernen, leistungsstarken Mittelständlern und flexiblen kleineren Betrieben werden wir in der ganzen Welt beneidet.

Wagen Sie bitte auch einen Ausblick auf 2013, das nächste Jahr: Wird dann beispielsweise der geplante Eintritt des europäischen Branchenführers Volkswagen in den Verkauf serienmäßiger Elektroautos den Durchbruch für diese neue Antriebstechnik bringen?

Ich denke, dass wir ab dem Jahr 2013 von allen deutschen Automobilherstellern serienmäßig Elektrofahrzeuge auf dem Markt haben werden. Und ich hoffe, dass dann bei den Verbrauchern ­ insbesondere in den urbanen Zentren ­ eine große Aufgeschlossenheit für diese innovativen Modelle bestehen wird. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird ein langer Weg werden, bevor es eine breite Marktdurchdringung im Volumensektor gibt. Dazu ist das Delta bei den Preisen zwischen Autos mit Verbrennungsmotor und solchen mit Elektroantrieb immer noch zu groß. Elektromobilität wird ein Marathonlauf. Kein Sprint. (Foto: VDA)