Stuttgart/Ingolstadt/München. Unter dem Streit um das richtige Kältemittel bricht gerade eine wichtige Expertengruppe auseinander. Sowohl Daimler als auch Audi werden die Expertengruppe des Weltverbands der Automobilingenieure (SAE) verlassen, die für Sicherheitsüberprüfungen des umstrittenen Kältemittels R1234yf zuständig ist. Bei BMW steht ein Austritt bevor. Dieses Expertengremium hatte Ende vergangenen Jahres erklärt, keine Bedeken gegen R1234yf zu haben. Die deutschen Hersteller Daimler und Audi steigen nun aus, weil sie das Vorgehen der Ingenieursgruppe für falsch halten. Auch BMW wird nach Informationen der Automobilwoche die Arbeitsgruppe "CRP 1234-4" mit hoher Wahrscheinlichkeit verlassen. "In der Arbeitsgruppe werden zu viele Annahmen gesetzt, die statistisch nicht untermauert sind. Die Ergebnisse werden dadurch verwässert. Deshalb haben wir beschlossen, das Gremium zu verlassen", sagte ein Daimler-Sprecher zur Automobilwoche. Auch Konkurrent Audi will aus dem Expertenteam ausscheiden. "Die SAE-Arbeitsgruppe hat keine neuen Tests gefahren, sondern nur empirische Untersuchungen erstellt", begründet ein Audi-Sprecher den Schritt.
BMW hat in dem Gremium bislang eine Beobachterrolle eingenommen. Nach Informationen der Automobilwoche will sich der Münchner Autohersteller nun ebenfalls zurückziehen. Grund: BMW bezweifelt, dass sich mit der Vorgehensweise der SAE-Arbeitsgruppe Ergebnisse erzielen lassen, mit denen die Sicherheit von R1234yf in den eigenen Fahrzeugen vollständig beurteilt werden kann. Ein BMW-Sprecher wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern.Daimler und Audi verlassen Kältemittel-Expertengruppe
Daimler hat im vergangenen September überraschend massive Sicherheitsbedenken gegenüber dem neuen, umweltfreundlicheren Kältemittel R1234yf öffentlich gemacht und in der internationalen Autoindustrie eine kontroverse Diskussion entfacht: Nach langem Vorlauf hatten sich die Autohersteller vor Jahren auf diese Chemikalie als künftige Lösung in den Fahrzeugklimaanlagen geeinigt. R1234yf kann ohne große konstruktive Änderungen in bestehende Anlagen gefüllt werden (Drop-in-Lösung). Das Mittel bestand sämtliche Sicherheitsüberprüfungen, unter anderem auch jene der SAE. Dann hat Daimler in einem eigenentwickelten, sogenannten Real-Life-Prüfverfahren, das weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht, festgestellt, dass sich das Mittel entzünden und sogar das gesamte Fahrzeug in Brand setzen kann.
Während derzeit jeder Hersteller für sich überprüft, welche Relevanz der Test von Daimler für das eigene Unternehmen hat, sucht die Industrie in Arbeitsgruppen gleichzeitig nach einer einheitlichen Position. Auch die Kältemittel-Arbeitsgruppe der SAE hat eine neue Untersuchung eingeleitet. In einer vorläufigen Einschätzung Mitte Dezember kam die Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis, dass kein erhöhtes Brandrisiko von R1234yf ausgeht. Die Mehrheit der mit einer aktuellen Prüfung befassten Autohersteller sehe keine Notwendigkeit, die Risikoeinschätzung zu ändern, hieß es. In der SAE-Arbeitsgruppe haben 13 Autohersteller mitgewirkt. Neben Daimler waren das Audi, BMW, Fiat/Chrysler, Ford, General Motors, Honda, Hyundai, Jaguar Land Rover, Mazda, PSA, Renault und Toyota.Mitte Februar wollten die Experten neue Ergebnisse vorlegen, die endgültige Risikoabschätzung sollte im zweiten Quartal abgeschlossen sein. Die Arbeitsgruppe hat sich am gestrigen Dienstag getroffen und kommt am morgigen Donnerstag nochmals zusammen. Noch sind keine Ergebnisse der SAE bekannt. Angesichts der Unzufriedenheit der deutschen Hersteller dürfte die Arbeitsgruppe wohl weiter keine größeren Sicherheitsbedenken haben. General Motors hat sich vor einiger Zeit bereits zu R1234yf bekannt.Vor allem für Daimler ist die Situation brisant: Die Stuttgarter haben unter anderem die neue A- und B-Klasse mit dem neuen Kältemittel zertifizieren lassen. Aufgrund der Sicherheitsbedenken verwendet Daimler aber nun das alte Kältemittel R134a, das allerdings die aktuellen Klimaschutzgesetze der Europäischen Union nicht erfüllt. Seit Jahresbeginn muss das Kältemittel ein Global Warming Potential (GWP) von unter 150 haben. R1234yf kommt hier auf einen Wert von vier, während R-134a auf 1430 kommt. Bis Jahresmitte haben die Hersteller Zeit, ihre Risikoabschätzung den Behörden vorzulegen.
Audi und BMW haben die Betriebserlaubnis für ihre aktuellen Fahrzeuge noch nach altem Gesetz eingeholt und haben deshalb keinen akuten Zeitdruck. Beide betonen, die Sicherheitsbedenken von Daimler sehr ernst zu nehmen, die Überprüfung aber noch nicht abgeschlossen zu haben.Die Hersteller von R-1234yf, die Chemieriesen DuPont und Honeywell, sehen kein erhöhtes Brandrisiko und verweisen auf die weltweit durchgeführten Tests.