UAW im Mercedes-Werk: Kampf mit harten Bandagen

Selbst auf die Agenda der Mercedes-Aktionärsversammlung hat es das Thema geschafft. Markus Dufner vertritt den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mitgebracht hat er ein Statement eines Mercedes-Mitarbeiters des US-Werks in Tuscaloosa, Alabama, wo die großen SUVs wie GLE und GLS sowie die elektrischen Pendants EQS und EQE hergestellt werden. Dort stimmen die rund 5200 Beschäftigten in der Pkw- und Batterieproduktion vom 13. bis zum 17. Mai ab, ob sie der mächtigen amerikanischen Gewerkschaft UAW beitreten wollen.

Glaubt man dem von Dufner zitierten Bericht des Mitarbeiters Jeremy Kimbrell, dann geht es vor der Abstimmung zur UAW heftig zur Sache. So führe Mercedes-Benz U.S. International (MBUSI) über eine Beratungsfirma mit Namen RWP eine aggressive Kampagne innerhalb des Werks. Unterstützer der Gewerkschaft seien entlassen worden. Arbeitnehmer seien eingeschüchtert und verängstigt worden. „RWP macht es den Beschäftigten unmöglich, eine unabhängige Entscheidung zu treffen“, klagt Kimbrell. Dadurch verstoße das Unternehmen eindeutig gegen die Grundsatzerklärung für soziale Verantwortung und Menschenrechte von Mercedes-Benz.

Es geht um viel. Bisher war Mercedes in den USA von langwierigen Arbeitskämpfen wie in Deutschland verschont geblieben. Als sich das Unternehmen im Jahr 1995 für den Standort in Alabama entschied, da spielte neben den niedrigen Löhnen auch die Tatsache eine Rolle, dass so gut wie keine gewerkschaftlichen Strukturen vorhanden waren. Zwar versuchte die Gewerkschaft UAW seither immer wieder, auch bei Mercedes im Süden Fuß zu fassen, bisher aber ohne Erfolg. Aus Sicht des Unternehmens soll offenbar auch der nächste Anlauf möglichst scheitern.  

Auf einer eigenen Internet-Seite zur „Information der MBUSI-Mitarbeiter“, wird massiv Stimmung gegen die Gewerkschaft gemacht. Als Urheber gibt sich eine Gruppe zu erkennen, die über „die radikalen und selbstsüchtigen Zwecke der UAW“ aufklären will. Wer genau dahinter steckt, ist unklar.

Dort werden Mercedes-Mitarbeiter zitiert, die sich gegen eine Mitgliedschaft aussprechen und unter anderem argumentieren, dass niemand außer ihnen selbst ihren Job beschützen könne, man doch gut verdiene und den guten Draht zum Management nicht aufs Spiel setzen wolle. In einem Beitrag wird sogar vor einer möglichen sexuellen Belästigung durch Gewerkschaftsbosse gewarnt, weil diese ihre Macht missbrauchen könnten. Unverhohlen wird auf der Seite erklärt, dass es das Ziel sei, die UAW aus dem Werk rauszuhalten.

Ob bei der Kampagne gegen die gewerkschaftliche Organisation rechtliche Grenzen überschritten wurden, lässt sich schwer überprüfen. Doch laut der Nachrichtenagentur Bloomberg hat das Thema inzwischen sogar die US-Behörden auf den Plan gerufen. So berichtet Bloomberg, dass es eine offizielle Anfrage in Berlin über den Umgang mit der bevorstehenden Abstimmung im Werk gegeben habe.

Außerdem hat sich Mercedes-Betriebsratschef Ergun Lümali in einem Schreiben, das der Automobilwoche vorliegt, an die US-Mitarbeiter gewandt. "Wir ermutigen die Kolleginnen und Kollegen in Tuscaloosa Geschichte zu schreiben, in dem sie ihr Wahlrecht wahrnehmen und für die Bildung einer Gewerkschaft stimmen", heißt es darin. Man beobachte die Aktivitäten der UAW und das Verhalten des Unternehmens sehr genau. "Stellen wir etwaige Verletzungen oder Verstöße gegen die Grundsatzerklärung fest, greifen wir, wenn nötig auch ein", so Lümali. Nach erfolgreicher Wahl für die UAW werde Tuscaloosa vollwertiges Mitglied der Weltarbeitnehmervertretung und profitiere damit von der Solidarität der Arbeitnehmervertreter weltweit.

Ausgerechnet in dieser Phase hat Mercedes überraschend die Werkleitung in Tuscaloosa ausgetauscht. So hat Michael Göbel, seit 2019 verantwortlich für die Fabrik, nach Angaben des Unternehmens zum 1. Mai eine neue Rolle im Produktionsnetzwerk von Mercedes übernommen. Sein Nachfolger ist der bisherige Vice President Federico Kochlowski, der zuvor Führungserfahrung in den Werken in China und Mexico gesammelt hat. Ob der Personalwechsel etwas mit der bevorstehenden Abstimmung zur gewerkschaftlichen Organisation zu tun hat, ist nicht bekannt.

Das Unternehmen selbst weist jegliche Vorwürfe eines Fehlverhaltens zurück. Integritätsvorständin Renata Jungo Brüngger betonte auf der Hauptversammlung, dass Mercedes-Benz das Recht auf Bildung von Arbeitnehmervertretungen anerkenne. "MBUSI wird die Entscheidung seiner Beschäftigten respektieren, wenn sie sich für eine gewerkschaftliche Organisation entscheiden", so Jungo Brüngger. Man werde die Wahl begleiten und sicherstellen, dass jedes Teammitglied seine Stimme abgeben könne. Man bekenne sich zur Grundsatzerklärung für soziale Verantwortung und Menschenrechte von Mercedes. Sie sagte aber auch, dass man "im Einklang mit amerikanischem Recht" den Zugang zu Informationen sicherstelle, die für eine fundierte Wahlentscheidung erforderlich seien. Dabei werde das Unternehmen von externen Dienstleistern unterstützt.

Für Mercedes wie für andere Autobauer im Süden der USA könnte die Wahl gravierende Folgen haben. So hatte UAW-Boss Shawn Fain nach wochenlangen Streiks im vergangenen Jahr den Autokonzernen Ford, Stellantis und GM Gehaltserhöhungen in der Größenordnung von 25 Prozent abgerungen. Diese reagierten teils mit Stellenabbau. Nach dem Erfolg hatte Fain bereits angekündigt, dass er seine Macht in der Folge auch auf die Autobauer im Süden ausdehnen wolle.

Dort betreiben neben Mercedes auch BMW und Volkswagen große Produktionsstätten, ebenso Toyota, Honda, Nissan und einige andere. Die UAW ist auf gutem Weg, ihre Ziele zu erreichen. Vor wenigen Wochen stimmten im Volkswagen-Werk in Chattanooga, Tennessee, 73 Prozent der rund 4300 Mitarbeiter einer gewerkschaftlichen Organisation in der UAW zu.