Nio will Batteriewechselstationen als Netzspeicher nutzen

Beim Gedanken an ein europaweites Netzwerk an selbst betriebenen Batteriewechselstationen winken sämtliche europäische Hersteller umgehend ab. Zu teuer, zu ineffizient, zu umständlich. Der chinesische Hersteller Nio hingegen glaubt an sein Konzept und betreibt allein in Deutschland inzwischen 18 sogenannte "Power Swap Stations", an denen Nio-Fahrer in rund zweieinhalb Minuten ihre leere Batterie im Fahrzeug automatisch gegen eine volle austauschen können. Das Unternehmen sieht darin Vorteile und hat jetzt eine neue Idee.

Dr. Chao Yang, Head of Power Product Design & Development und Vice President Nio Power sagt der Automobilwoche: "Die Batterie seines Elektroautos zu wechseln, wird auch mit höheren Ladegeschwindigkeiten bei neuen Generationen von Elektrofahrzeugen relevant bleiben. Wie schnell ein Elektroauto lädt, entscheidet sich ja nicht nur durch die Architektur des Fahrzeugs, sondern auch durch das an der Ladestation verfügbare Stromnetz. Da wird es also auch noch lange Zeit immer Kompromisse geben."

Yang führt weiter aus: "Wenn zehn Fahrzeuge an einem Ladepark stehen, laden sie automatisch langsamer als wenn sie dort der einzige Kunde sind." Daher sei der Wechsel einer Batterie dann die effizientere Option. In Nios Stationen parkt ein Elektromodell des Herstellers selbstständig ein, bevor aus dem Boden der Station automatisch Greifer ausfahren und im Unterboden die Batterie wechseln. Die leeren Speicher werden dann von der "Power Swap Station", so die Eigenbezeichnung von Nio, langsam wieder aufgeladen, statt durch hohe Ladegeschwindigkeiten Belastungsspitzen im Netz zu erzeugen.

"Das Ladetempo der Batterien, die in den Stationen geladen werden, könnte perspektivisch aber noch etwas absinken, weil das besser für den Zustand der Batterien ist", sagt Chao Yang. Der Wechselprozess selbst soll hingegen konstant weiter bei zweieinhalb Minuten liegen, was die Ladezeit von Elektrofahrzeugen an einer Ladesäule auch auf lange Sicht noch deutlich unterschreite.

Chao Yang: "Der Zeitraum von zweieinhalb Minuten für einen Batteriewechsel inklusive des automatisierten Parkvorgangs wird konstant bleiben. Wir sehen keine Notwendigkeit, bei zukünftigen Generationen unserer Stationen noch schneller zu sein."

Ein großes Potential sieht der Nio-Top-Ingenieur in der Nutzung seiner Swap Stations als Pufferspeicher in Stromnetzen. Auch, weil dem chinesischen Hersteller hier eine zusätzliche Einnahmequelle winkt. Aktuell verbrennt Nio mit seinen 18 deutschen und insgesamt 52 europäischen Stationen massiv Geld.

Ein Wechsel der Batterie kostet aktuell ab dem dritten Wechsel zehn Euro pro Tausch plus die Stromkosten für die Differenz zwischen der entnommenen und der eingesetzten Batterie. Eine Kilowattstunde wird hier mit 39 Cent berechnet. Dazu müssen Kunden die Batterie ihres Fahrzeugs zusätzlich mieten. Die 75-kWh-Batterie kostet 169 Euro, die größere 100-kWh-Batterie 289 Euro pro Monat. Nio vertreibt seine Fahrzeuge in einem Abo-Modell inklusive aller anfallenden Kosten – wer sein Fahrzeug hingegen fest kauft, kann die Batteriewechselstationen nicht nutzen.

Die Einnahmen aus den Batteriewechseln in Deutschland reichen aber noch nicht annähernd, um die Investitionen der Chinesen zu finanzieren. Deswegen nimmt Nio jetzt das Geschäft mit Pufferspeichern in den Blick. Dr. Chao Yang sagt im Gespräch mit der Automobilwoche: "Wir sehen uns gerade an, wo wir Power Swap Stations auch für die Netzstabilität errichten können. In Dänemark haben wir bereits erfolgreich erste Stationen dort errichtet, wo wir Schwankungen im Netz ausgleichen können und dafür zuvor mit den kommunalen Verwaltungen gesprochen."

Ein Modell, das für Nio auch auf dem deutschen Markt infrage kommt, so Yang weiter: "Das könnte auch für uns in Deutschland ein Weg sein und gibt uns gleichzeitig eine Möglichkeit, die Power Swap Stations wirtschaftlicher zu betreiben, wenn sie gleichzeitig als Pufferspeicher für Netze genutzt werden können."

Auffällig ist, dass Nio seine Standorte für die Batteriewechselstationen entlang der deutschen Autobahnen wählte. Erst die jüngste Station des Herstellers in Berlin liegt im urbanen Stadtgebiet. Auf Nios Heimatmarkt ist das anders. Hier sind die "Power Swap Stations" vor allem in Ballungsräumen zu finden. Chao Yang erklärt: "In den großen chinesischen Metropolen ist es eng, die Leute wollen schnell von einem Ort zum anderen, alle sind beschäftigt, das Tempo ist allgemein höher. Sie wollen schnell laden, sie wollen keine Zeit verlieren. Dafür sind unsere Power Swap Stations ideal."

In Europa sei das hingegen ganz anders, so analysiert Yang: "Die Menschen fahren hier lange Strecken zur Arbeit, auch täglich. Wir mussten unsere Batteriewechselstationen also zunächst nicht im urbanen Raum errichten, sondern entlang der viel befahrenen Routen, entlang der Autobahnen. In Deutschland darf ja auch viel schneller gefahren werden als in China. Unsere Nutzer können auf der Autobahn jetzt mit ihren Elektroautos sehr schnell fahren und müssen sich nie Sorgen um eine geringe Reichweite machen.“