Polestar steckt in der Krise – was den neuen Chef erwartet

Nach seinem Abgang beim US-Nutzfahrzeughersteller Nikola kaufte Michael Lohscheller sich mit seiner Frau ein Haus in den Niederlanden, unweit der deutschen Grenze. Das Paar besuchte dort auch einen Tanzkurs, wie der Manager kürzlich dem Bocholter Borkener Volksblatt erzählte. Bei seiner neuen Aufgabe in Schweden erwartet Lohscheller jetzt ein heißer Tanz ganz anderer Art.

Der ehemalige Opel-Chef heuert zum 1. Oktober als CEO bei Polestar an und soll die einstige Volvo-Tochter umkrempeln. Vorgänger Thomas Ingenlath tritt freiwillig für Lohscheller zur Seite, heißt es offiziell. Ein knallharter Sanierer und Zahlenmensch, statt eines Designers. Der Personalwechsel an der Spitze setzt auch den Ton für die kommende Zeit bei Polestar.

Das Unternehmen steht vor richtungsweisenden Entscheidungen. Nach einem vielversprechenden Start mit dem einzigen Volumenmodell Polestar 2 steckt der Hersteller in einer Absatzkrise. Die Nachfolgemodelle Polestar 3 und Polestar 4 verzögerten sich. Nach 54.000 verkauften Einheiten im Jahr 2023 schloss die Marke das erste Halbjahr nur noch 20.000 verkauften Autos ab.

Hauptaktionär Geely, der seit Februar endgültig den Ton bei Polestar angibt, weil Volvo seine Beteiligung an der einstigen Performance-Tochter auf 18 Prozent reduzierte, erhöht deswegen spürbar den Druck. Der frühere Skoda-Chef Winfried Vahland übernahm im Juni den Vorsitz des Aufsichtsrates von Ex-Volvo-CEO Hakan Samuelsson. 

Vahland gilt als Vertrauter des mächtigen Geely-Chefs Li Shufu, der es gewohnt ist, dass seine Ziele erreicht werden und seine Marken hohe Renditen abliefern. Schon Anfang des Jahres wechselte das Duo Vahland/Shufu Finanz- und Vertriebschef bei Polestar aus. Eine Absatzoffensive in sieben weiteren Ländern, darunter Tschechien, Ungarn und Polen, steht bevor.

Das alles brachte bisher keine Wende. An der US-Techbörse NASDAQ verlor Polestar seit Start des Listings im Juni 2022 fast 80 Prozent seines Wertes. Überhaupt, die Zahlen: In einem für das Unternehmen äußerst unangenehmen Vorgang musste Polestar seine Finanzberichte für 2021 und 2022 berichtigen und war nicht in der Lage, der US-Börsenaufsicht SEC rechtzeitig die Bilanz für 2023 vorzulegen.

Der noch amtierende CEO Thomas Ingenlath kündigte an, fünfzehn Prozent aller Stellen zu streichen. Aktuell hat Polestar noch etwas über 2500 Beschäftigte. Ein prominenter Name kommt neben Lohscheller jetzt aber dazu, um das Unternehmen mit aus der Krise zu holen.

Unter der Woche gab Polestar die Verpflichtung von Philipp Römers als neuen Chefdesigner bekannt. Der langjährige Audi-Designer löst Maximilian Missoni ab, der die beim Design viel gelobten Polestar 1 und Polestar 2 zeichnete. Wie Lohscheller hat auch Römers eine umfangreiche VW-Vergangenheit, was bei Aufsichtsratschef Vahland, der einst sogar selbst für das Amt des VW-CEO gehandelt wurde, sicher nicht von Nachteil ist.

Michael Lohscheller bekommt wenig Zeit zur Einarbeitung. Schon 2025 will Polestar nach eigenen Angaben 155.000 Fahrzeuge absetzen. Dann vor allem von den beiden neuen Modellen Polestar 3 und Polestar 4, deren Produktion auch in den USA und Europa und nicht mehr nur in China geplant wird. Es wäre eine Verdreifachung der bisherigen Absätze und eine Mammutaufgabe für Lohscheller.

Immerhin: Polestar ist dank der Unterstützung des mächtigen, chinesischen Geely-Konzerns noch da. Andere Wegbegleiter aus der Boom-Phase der Elektro-Startups strichen längst die Segel. Zuletzt erwischte es Fisker.

Als weitere Maßnahme will Polestar zeitnah den Vertrieb auf ein unechtes Agenturmodell umstellen, mehr mit Händlern zusammenarbeiten und erstmals dezentral Rabatte ermöglichen. Was aus den Showrooms in Innenstadtlagen wird, die der Hersteller wie viele chinesische Elektromarken in Deutschland betreibt, ist offen.