Stellantis-Chef Tavares: "Und was soll ich meinen Töchtern sagen?"

Carlos Tavares hat alles gegeben. Wenige Tage nach der Ankündigung seiner bevorstehenden Demission bekam der Stellantis-Chef die Chance, vor der versammelten europäischen Presse auf dem Autosalon in Paris seine Sicht der Dinge darzulegen. Viel wurde zuvor geschrieben. Deswegen wollte Tavares nun die Chance nutzen, sich selbst zu erklären – und zwar unmissverständlich. 

Dabei wurde er so konkret und gleichzeitig emotional wie selten. „Wir haben das alles für unsere Kinder und unsere Enkel getan.“ Dies war der häufigste während einem einstündigen Round Table gesagte Satz, ungefähr zehn Mal. Er habe alles getan, um die Flotte der Marken des Stellantis-Konzerns zu elektrifizieren und damit zu dekarbonisieren.

40 vollelektrische Fahrzeuge biete das Unternehmen an, 25 Milliarden Euro an Investments habe das gekostet. Die Hausaufgaben seien allesamt gemacht. Daher wehre er sich dagegen, dass Konkurrenten nun darauf drängten, die CO2-Regularien in der EU zu entschärfen.

„Wie sollen wir unseren Kindern erklären, dass wir es verschoben haben?“, fragte Tavares in die Runde. „Sie werden es nicht verstehen.“ Er sprach von seiner Tochter, die mit dem Auto im vergangenen Sommer im Inland Portugals mit dem Auto durch einen brennenden Wald fahren musste. „Wie würden Sie sich fühlen, wenn das Ihre Tochter wäre?“

In der Woche zuvor hatte der Stellantis-Aufsichtsrat mitgeteilt, dass ein neuer CEO gesucht werde. Das ist bei einem 66 Jahre alten CEO naheliegend. Doch der frühe Zeitpunkt ist ungewöhnlich. Tavares – er hat rund 15 Monate im Amt –, und dass gleich einige weitere Top-Manager das Unternehmen mit sofortiger Wirkung zu verlassen haben, wird als Misstrauensvotum gegen die Führungsriege gewertet. 

Tavares, der als harter Kostenkiller gilt, hat es sich mit seiner Strategie der Vergangenheit mit vielen verscherzt. Mit den amerikanischen Händlern, die die Autos nicht mehr verkauft bekommen und voll gestellte Höfe beklagen. Mit den europäischen Händlern, die ebenso erzürnt sind.

Mit Gewerkschaften, weil er Werke infrage stellt. Mit Regierungen wie der von Italien, die ihn unlängst eine Stunde gegrillt haben. Auch die Beziehung mit der französischen Regierung ist erkaltet. Mit dem europäischen Branchenverband ACEA, den Stellantis verlassen hat, weil der sich für weichere CO2-Ziele einsetzte.

Seine Erzählung ist nun die Debokarnisierung, der Klimaschutz, für den er sich einsetzt. "Wir dienen mit unserem Tun der Gesellschaft", sagte Tavares. "Wir haben die Technologie, wir haben die Plattformen, wir haben die Modelle. Wir haben alles richtig gemacht."

Wenn nun andere Hersteller, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, mit einer Verschiebung der Klimaziele noch belohnt würden, liefe etwas grundlegend falsch. Wenn diese nun 2025 Strafzahlungen an die EU entrichten müssten, sei das im Grunde in Ordnung, weil sie durch mangelndes Investment in die Elektromobilität auch weniger ausgegeben haben. „Soll ich das entschuldigen?“ Das gelte sowohl für die verschärften Flottenlimits 2025 als auch für das geplante „Verbrenner-Aus“ 2035.

„Wir haben das Momentum. Das darf man nicht verantwortungslos stoppen. Warum sollten wir stoppen. Und was soll ich meinen Töchtern sagen?“, fragte Tavares in die Runde.

Gleichwohl müsse die Branche profitabel arbeiten. Das bedeutet für ihn: Work harder. Stellantis stehe gut da, weil er viele unpopuläre Entscheidungen habe treffen müssen. Doch alles sei auf das eine Ziel ausgerichtet gewesen. Und es ist noch nicht vorbei. Alles liege auf dem Tisch und werde überprüft: Werke, Marken, Modelle.

Für Carlos Tavares, der 43 Jahre in der Industrie ist, ist klar: Es gibt in dieser Zeit keine Tabus und keine Zeit zu verlieren – und keine Kompromisse mehr: "Das sind wir unseren Kindern und Enkeln schuldig."