Warum es mehr Autohäuser gibt, obwohl die Hersteller schwächeln

Auf den ersten Blick scheint der Befund völlig widersprüchlich: Entgegen dem jahrelangen Trend und den immer neuen Berichten über Netzbereinigungen ist die Zahl der Autohaus-Vertriebsstandorte in Europa zuletzt gestiegen.

Insgesamt 45.000 Standorte von 50 Marken zählten die Marktexperten von ICDP in ihrer jährlichen Studie "European Car Distribution Handbook" zum Stichtag 1. Januar 2024. Das entspricht einem Plus von 0,9 Prozent. Ähnlich sieht es im Service aus. Hier gab es ein Plus von 0,14 Prozent auf 83.700 Standorte.

Doch das liegt vor allem daran, dass zahlreiche neue Hersteller – viele aus China – sich anschicken, den europäischen Markt zu erobern und dafür ein Vertriebsnetz aufbauen. Insgesamt zehn neue Marken hat ICDP im Vergleich zum Vorjahr in die Analyse aufgenommen, die nun 50 Fabrikate umfasst. Allein das Sales-Netzwerk von MG wuchs binnen eines Jahres von etwa 900 auf rund 1.100 Standorte.

Betrachtet man hingegen die 29 Marken, die laut ICDP seit Jahren im Markt etabliert sind, zeigt sich eine völlig andere Entwicklung. Hier setzt sich der langjährige Niedergang weiter fort, die Zahl der Vertriebsstandorte schrumpfte um 2,5 Prozent auf 39.200.

"Der Trend hat sich im Vergleich zu den Vorjahren beschleunigt", konstatierte ICDP-Experte Gareth Arnould bei Vorstellung der Studie. Einer der Treiber sei vor allem der Stellantis-Konzern gewesen. Der Konzern hatte 2021 seine Händlerverträge mit einer Frist von zwei Jahren gekündigt. Viele Partner erhielten keinen neuen Vertrag.

Besonders rasant voran ging die Konsolidierung der Händlernetze mit minus 4,2 Prozent in Deutschland. Rund 9.000 Vertriebsstandorte zählt ICDP hierzulande dort bei den etablierten Marken (Alle Marken: 10.600, +0,43%).

Dass sich der Trend verlangsamt, ist vor allem in Deutschland nicht zu erwarten. Gerade das deutsche Händlernetz ist im internationalen Vergleich noch immer sehr kleinteilig und damit wenig effizient strukturiert. Im Schnitt verkauft ein deutsches Autohaus pro Jahr 254 Autos. Der EU-Durchschnitt liegt bei 272. Spitzenreiter Großbritannien kommt sogar auf 456.

"Ich gehe davon aus, dass der durchschnittliche Umsatz pro Haupthändler bei den meisten Marken stetig steigen wird, da die Händlernetze schrumpfen, die Händler unter Rentabilitätsdruck geraten und sich die Verkaufsmengen stabilisieren", sagt Arnould. Vorausgesetzt, es gebe nicht wieder äußere Schocks wie Corona Pandemie.

Infolge der durch Corona ausgelösten Lieferkrise hatte die Zahl der Autos pro Standort 2023 zwischenzeitlich ein Allzeittief von 233 Autos erreicht.

Blickt man auf die einzelnen Marken hat Audi von allen etablierten Marken das europaweit effizienteste Vertriebsnetz. Rund 600 Autos verkaufen Händler dort pro Vertriebsstandort. Dahinter folgen BMW und VW mit jeweils rund 500 Autos. Dass vor allem deutsche Premium-Marken vorne liegen, sei kein Zufall, erklärt Arnould.

Premium-Händler hätten höhere Standards zu erfüllen. Das bedeute, "dass ein Premium-Händler mehr Einheiten umsetzen muss als ein Volumenhändler, um lebensfähig zu sein." Zudem könnten Volumenhändler pro Standort oft mehrere Marken verkaufen, wodurch sich die Kostenlast auf mehrere Marken verteilt.

Einen Sonderfall indes stellt Tesla dar. Der US-Hersteller verkauft einen großen Teil seiner Fahrzeuge online und baut erst seit einigen Jahren langsam ein physisches Netz auf. Dementsprechend kommen derzeit auf einen der rund 200 Standorte mehr als 1.400 Autos.

Es sei nicht zu erwarten, dass es gelingen werde, dieses hohe Niveau auf Dauer zu halten, meint Arnould. Es gebe ein zunehmend besseres E-Angebot der traditionellen Hersteller sowie zahlreiche neue (chinesische) Marken, die sich stark auf E-Autos fokussieren.

Wolle Tesla dagegen wettbewerbsfähig bleiben, müsse das Vertriebsnetz ausgebaut werden. Es sei aber nicht erkennbar, dass sich gleichzeitig der Marktanteil so stark erhöhe, dass das derzeitige Verhältnis von Verkäufen zu Standorten erhalten bleibe.