Mit größeren Baugruppen und neuen Anwendungsbereichen will der spanische Zulieferer Gestamp Gewicht und Preise bei Komponenten im Chassis- und Karosseriebereich reduzieren.
Baugruppen, die Gestamp im Gigastamping-Verfahren produziert hat.
Der spanische Zulieferer Gestamp sieht noch Potenzial im sogenannten Gigastamping. Dabei werden große Baugruppen warm umgeformt. Das Unternehmen, das in Deutschland sieben Werke mit rund 4000 Mitarbeitern und zwei Entwicklungszentren betreibt, hatte jüngst einen Unterboden vorgestellt, der normalerweise aus 18 Einzelteilen besteht.
Die einzelnen Bleche werden zunächst in einem relativ simplen Fügeprozess verschweißt und anschließend in einer Presse zu einer Baugruppe warm umgeformt.
Das bringt Vorteile bei Gewicht, CO2-Ausstoß und beim Crashverhalten. "Bei einer einteiligen Seitenwand lassen sich die Kosten und Gewicht beispielsweise um durchschnittlich 15 Prozent reduzieren", erklärte Technik- und Innovationschef Ignacio Martin im Gespräch mit der Automobilwoche.
Zudem könne der Fahrzeughersteller seine Montagezeit und dadurch die internen Montagekosten deutlich verringern. "Die Einsparungen bei den OEMs können um ein Vielfaches höher ausfallen als durch das eigentliche Gigastamping-Verfahren", stellt Martin in Aussicht.
Gestamp setzt beim Gigastamping auch neue Stahlgüten und Fertigungstechnologien ein. Dazu gehören sogenannte Fast-Forming-Technologien. "Künftig werden wir in der Lage sein, die Geschwindigkeit bei der Warmumformung um den Faktor 3 zu erhöhen", verspricht der Manager.
Die in dem Verfahren hergestellten Komponenten gehören beim Zulieferer zur Familie der "Extreme-size-parts". Das Spektrum der Komponenten werde kontinuierlich erweitert. Beispielsweise entwickelt Gestamp einen einteiligen Stoßfänger für den Frontbereich.
"Vorher bestand dieser aus bis zu zehn Bauteilen. Bei Größe und Komplexität der Bauteile gibt es kaum Limits“, sagt der Technik-Chef. Bei der neuen Generation der Extreme-size-parts ließen sich Härteverläufe und Materialdicken auf die Anwendung optimiert anpassen.
Auch Wettbewerber wie Magna oder Benteler arbeiten mit solchen Baugruppen. Magna setzt unter anderem lasergeschweißte Bleche für Türrahmen ein. Und Benteler erklärt auf Anfrage der Automobilwoche: „Große Pressteile aus unterschiedlichen Materialien sowie mit unterschiedlichen ‚Dicken‘ entstehen bei uns beispielsweise durch den Einsatz von ‚Tailored Welded Blanks‘ im Warumform-Verfahren.“
Beim Tailor Welded Blank werden einzeln Blechplatinen aneinandergeschweißt. Der Zulieferer fertigt unter anderem einen Türrahmen für einen chinesischen Fahrzeughersteller.
Das Unternehmen arbeite kontinuierlich daran, die Integration von Funktionen oder Komponenten zu erhöhen. "Wir sind hierzu in engem Austausch mit all unseren Stakeholdern – die Wünsche, Möglichkeiten und Kostenstrukturen sind markt- und kundenspezifisch sehr heterogen", heißt es bei Benteler weiter. Zudem arbeite das Unternehmen an noch größeren Baugruppen, „konkret unter anderem an einem Doppel-Türrahmen“.
Gestamp Technik- und Innovationschef Ignacio Martin. Es sieht durch das Gigastamping Vorteile bei Gewicht, CO2-Ausstoß und beim Crashverhalten.
Neben Stahl verarbeitet Gestamp auch Aluminium, beispielsweise bei der Außenhaut für E-Fahrzeuge, um das Gewicht zu reduzieren. Gleichzeitig ist der Zulieferer mit Batterieboxen in die Extrusionstechnologie eingestiegen. Bei der Extrusion wird ein verformbares Material unter Druck aus einer Öffnung gepresst.
Insgesamt registriert der Technik-Chef beim Werkstoff für E-Autos wieder einen Trend zurück zum Stahl, da sich mit dem Material deutlich kostengünstigere Lösungen umsetzen lassen als mit Aluminium. "Aber wenn ein Kunde Aluminium bevorzugt, können wir den Wunsch erfüllen", ergänzt Martin.
Eine der Stärken seines Unternehmens sieht der Manager darin, dass sich die Produktfamilien sowohl für Architekturen von E- und Hybridfahrzeugen als auch konventionell angetriebene Fahrzeuge eignen. Wachstumstreiber sind für Gestamp beispielsweise Batterieboxen und große Strukturbauteile.
Bei den Chassiskonzepten für ein E-Auto müsse berücksichtigt werden, dass sich der Abstand zwischen den Achsen wegen der Batterien vergrößert. Die weiter in den vorderen Bereich wandernde Achse beeinflusst dabei die Chrashstrukturen des Fahrzeugs.
Die Folge: "Die Baugruppen werden insgesamt komplexer und unser Anteil an der Wertschöpfung nimmt zu. Eine große Stärke Gestamps sehen wir darin, dass unsere Fahrwerkslösungen im Crashfall helfen, die Karosseriestruktur zu entlasten", so Martin.
Im Jahr 2023 entfiel bei Gestamp rund 20 Prozent des Automobilgeschäfts auf die E-Mobilität. 2027 soll der Anteil der E-Mobilität am Umsatz 50 Prozent erreichen. Das Unternehmen würde von einem schnellen Hochlauf der E-Mobilität profitieren, da der Wertschöpfungsanteil bei dieser Antriebsform höher ausfällt als bei Verbrennern. Martin betont, dass es bei Gestamp kein Produkt gibt, "dass durch die Elektrifizierung der Fahrzeuge entfällt".
Eine spezielle Ausrichtung genießt bei Gestamp der chinesische Markt. "In China entwickeln und liefern wir keine Commodities, sondern konzentrieren uns auf hochtechnologische Baugruppen wie Batterieboxen oder den Komplex Warmumformung sowie auch Chassislösungen. Der chinesische Markt zeigt uns, dass wir unsere Entwicklungen schnell zur Marktreife bringen müssen."
Gestamp versuche, die gleiche Geschwindigkeit auch in Europa umzusetzen. Dabei spielt für Martin die Simulation eine wichtige Rolle. "Wir können unseren Kunden mittlerweile Teile präsentieren, die bis zu 60 Prozent vorentwickelt sind."
Insgesamt vermutet Martin, dass es im Jahr 2025 nicht leichter wird als 2024. Optimistisch stimmt ihn allerdings, dass die Fahrzeughersteller tendenziell schneller Innovationen akzeptieren, als das noch vor Corona der Fall war.
