Mit dem Vertrieb wird aktuell eine weitere Funktion in der Wertschöpfungskette vom fundamentalen Wandel erfasst, in dem die Automobilindustrie steckt. Schon vor 2020 begannen einzelne Hersteller mit der Umstellung vom jahrzehntelang etablierten Vertragshändlersystem auf den Direktvertrieb bzw. das Agentursystem, das sich – beginnend zunächst mit dem Verkauf von Elektrofahrzeugen – sukzessive durchsetzen wird. Dabei lag der Fokus bisher stark auf der Verhandlung und Umsetzung der neuen Verträge – aus Sicht der Oliver Wyman-Experten nur der erste Schritt und die Grundlage für die eigentliche Veränderung: Die Ergebnispotenziale liegen im zentralen Angebots- und Preismanagement sowie in der durchgängigen Steuerung der Kundenbeziehung über alle Kanäle. Konkret bedeutet dies, dass der Hersteller auf Zentral- und Landesebene neue Systeme und Prozesse einführen muss, die ihm erlauben, mit Hilfe innovativer analytischer Lösungen optimale Angebotsmengen und -konfigurationen zu ermitteln und die Autos vor Kunde zum bestmöglichen Transaktionspreis zu verkaufen. Projektergebnisse von Oliver Wyman zeigen, dass sich in diesem Bereich signifikante finanzielle Potenziale für Hersteller und Händler bieten. Die Daten, die dafür notwendig sind, liegen seit vielen Jahren weitgehend ungenutzt in diversen, nicht miteinander verbundenen Systemen auf Hersteller- und Handelsebene. Die analytischen Methoden – Stichwort Advanced Analytics – haben sich in den letzten Jahren dagegen massiv weiterentwickelt und erlauben heute die Berechnung und Nutzung selbst komplexester Fragestellungen praktisch in Echtzeit.
Mit der Umstellung des Vertriebs verliert der stationäre Handel seine bisherige Alleinstellung als Schnittstelle zum Endkunden: er wird integriert in ein breites Omnikanalmanagement, das in vielen anderen Branchen seit Jahren Standard ist und das die Kunden immer stärker auch von ihrem Autohersteller erwarten. Im Ergebnis bekommt der Kunde ein durchgängiges Erlebnis von der ersten Information im Internet, über die physische Interaktion im Autohaus bis hin zur Betreuung durch das Callcenter und die Nutzung der Fahrzeug-App. Nicht das lange kontrovers diskutierte „entweder…oder“ zwischen Offline und Online, sondern ein klug austariertes „sowohl…als auch“ ist entscheidend. Dies erfordert einerseits massive Investitionen der Industrie in Aufbau und Vernetzung von IT-Systemen – ein Weg, den aktuell praktisch alle Autohersteller gehen. Wichtig ist hier aber zudem das tiefe Verständnis der Customer Journey, also des individuellen Weges, den der Kunde über die verschiedenen Interaktionspunkte in der Informations-, Kauf- und Nutzungsphase geht. Auch hier hilft die Datenanalytik, aber vor allem auch die fundierte Kenntnis der Kunden und deren Präferenzen, wie aktuelle Projekterfahrungen von Oliver Wyman zeigen.