Der grundlegende Umbruch in der Automobilzuliefererindustrie wird in Deutschland zur Nagelprobe: Die hierzulande oft mittelständisch geprägte Zuliefererlandschaft ist immens unter Druck – und könnte in Kürze in einen Teufelskreis geraten, der den Fortbestand einstiger Branchengrößen in Frage stellt.
Die spezifischen Probleme entstehen zunächst aus einem Mix von Herausforderungen: Der vollständige Wandel hin zur E-Mobilität, sowie Kompetenzverschiebungen in Richtung Elektronik und Software sind als Arbeitsauftrag zumeist verstanden. Doch stärker als bei der Konkurrenz aus China oder den USA ist hierzulande der Zugang zu knappen Rohstoffen ein Risikofaktor, gerade angesichts verschärfter Handelskonflikte. Auch die von den herkömmlichen Zyklen der Automobilindustrie losgelöste und teils unklare europäische Regulierung setzt den Unternehmen erheblich zu.
In Summe verlangt die Transformation der Zulieferindustrie massive Investitionen ab: Nach unseren Berechnungen werden aktuell von den weltweit rund 250 Milliarden Dollar Investitionsausgaben rund 40 Prozent für den Umbau aufgewendet. In einigen Unternehmen liegt die Quote noch deutlich höher. Mehr als 100 Milliarden Dollar sind also Jahr für Jahr nötig – und nur wer das Geld aufbringen kann, bleibt im Spiel.
Dünne Luft für deutsche Zulieferer
Strukturelle Probleme bedrohen auch scheinbar gesunde Firmen. Ohne konsequente Transformation geht das Geld aus. Doch wer finanziert den Umbau?
Da der Automobilabsatz in Europa stagniert, wächst die Frage, woher ausgerechnet jetzt das Kapital für den Umbau stammen soll. Betrug im Jahr 2019 der europäische PKW-Absatz noch 20 Millionen Stück, so liegt die Erwartung für 2023 bei nur 16 Millionen. Selbst die Planzahlen von 18 Millionen Fahrzeugen für 2030 zeigen: Das Niveau der Vor-Corona-Zeit ist in Europa passé. Auch das deutsche Exportmodell bröckelt – nicht nur, weil sich die Hauptabsatzmärkte China und die USA zunehmend abschotten. Längst setzen Anbieter dieser Länder wichtige Automobiltrends und verfolgen ihrerseits Export- und Ansiedlungsabsichten in Europa. Eine doppelt schlechte Nachricht für deutsche Zulieferer, denn die Angreifer bringen ihre etablierten Zuliefererstrukturen nach Möglichkeit gleich mit.
Nicht nur die Investitionen stocken, sondern auch das aus Rationalisierungsgründen notwendige Desinvestment kommt oft nicht zustande. Mindestens jedes zweite Automotive-Unternehmen, mit dem wir arbeiten, möchte derzeit europäische Werke schließen oder Spartenteile verkaufen, kann aber auch das Gesundschrumpfen mangels Cash momentan nicht umsetzen. Dies betrifft durchaus nicht nur defizitäre oder technisch unattraktive Bereiche. Modernisieren oder verschlanken – für beides fehlt Geld.
Während Absatzvolumina und Margen unter Druck geraten, belasten starre Preiskorsette und steigende Faktorkosten in fast allen relevanten Bereichen die Zulieferer – von Rohstoffen über Energie und Logistik bis zu den Löhnen. Gleichzeitig setzen steigende Zinsen die Zulieferer zusehends unter Druck. Das Working Capital Management wird zu einem immer wichtigeren Thema.
Banken haben die strukturell bedingte Cash- und Profitabilitätsschwäche der Zulieferer kritisch im Blick: Weil Finanzierer die Automobilindustrie nicht mehr per se als zukunftssicher einschätzen, droht ein Teufelskreis: Bei schlechter Performance wird eine Fremdfinanzierung immer schwerer, damit fehlen Mittel für Investitionen, die Leistungsfähigkeit sinkt weiter. Auch heute gesunde Unternehmen können ihre Handlungsfähigkeit verlieren, wenn ihnen Kapital und kritische Größe fehlt oder sie noch zu sehr auf schwindende Segmente fokussiert sind.
Wie eine aktuelle Oliver Wyman-Erhebung in der deutschen Bankenlandschaft zeigt, belastet auch das Thema ESG die Geschäftsbeziehungen der Kreditwirtschaft zur Automobilindustrie. Wenn Nachhaltigkeitspflichten vernachlässigt werden oder der CO2-Fußabdruck in der Wertschöpfungskette unklar bleibt, kann die Bank abwinken. Gerade in Restrukturierungskonzepten müssen Zulieferer das Thema ESG umfassend abdecken. Einige Kreditinstitute denken bereits über die Deckelung ihres Kreditportfolios in energieintensiven Branchen nach, was zu einem Verdrängungswettbewerb um Finanzierung führen kann.
Wer hofft, dass angesichts der Zurückhaltung der etablierten Finanzierer neue Akteure für die Kapitalausstattung der Branche auftauchen werden, geht aus unserer Sicht eine riskante Wette ein. Unsere jährlich durchgeführte Restrukturierungsstudie zeigt jedoch: Finanzierer sind bei Vorlage einer überzeugenden Strategie und eines belastbaren Finanzplans weiterhin bereit, Automobilzulieferern in einer Krisensituation zu helfen.
Grundvoraussetzung dafür ist die Erledigung der üblichen „Hausaufgaben“ jedes Zulieferers in der aktuellen Situation. Dazu zählen: Liquidität sichern, Kosten reduzieren, Profitabilität steigern und Standorte konsolidieren. Inflationskosten müssen an die OEMs weitergereicht und auskömmliche Preise durchgesetzt werden.
Um auf dieser Basis dann die investitionsintensive Transformation zu schaffen, braucht es zusätzlich ein hervorragend aufgestelltes Management, das nicht nur die Strategie des angestrebten Wandels klar formulieren kann, sondern auch eine belastbare Businessplanung für mindestens drei Jahre vorlegt.
Ein umsetzungsstarkes Management zeichnet sich dabei auch durch eine gute und aktive Kommunikation mit Finanzierern und OEMs gleichermaßen aus. Die Informationsbedarfe der Hersteller ähneln zunehmend jenen der Banken – sei es in Sachen Strategiewandel oder ESG-Umsetzung.
Anders als in früheren Krisen rückt das Thema Geschäftsmodellanpassung immer stärker in den Fokus. Ohne ein langfristiges Zielbild, das Kunden, Produkte und konkrete Pfade der Veränderung umfasst, wird niemand mehr zu einem Investment bereit sein.