Verbrenner-Aus 2035: Neue Debatte in der Autoindustrie

Europas Autoindustrie streitet um dem richtigen Kurs beim Ausstieg aus dem Verbrenner. Das bisher durch die EU-Gesetzgebung festgelegte Jahr 2035 sei zu früh, sagte jüngst BMW-Chef Oliver Zipse: „Ohne die Rücksicht auf das Marktverhalten der Kunden und die dafür notwendige Infrastruktur kann man so einen Exit nicht verabschieden.“ Der CEO des Premium-Herstellers fordert deswegen jetzt eine Reform der aktuellen Gesetzgebung. Aus der Branche kommt Gegenwind.

Stellantis-Chef Carlos Tavares unterstützt das fixe EU-Ausstiegsdatum im Jahr 2035, auch VW-Chef Oliver Blume sagt deutlich: „Ich wünsche mir Klarheit und ein Ende der Diskussionen.“ Bereits 2026 ist nach jetzigem Stand eine Überprüfung der aktuellen Gesetze durch das EU-Parlament geplant. VDA-Chefin Hildegard Müller sagt der Automobilwoche: „Bezüglich der CO2-Flottenregulierung für PKW ist der Review der EU-Verordnung für 2026 mit Blick auf die relevanten Schlüsselfaktoren von entscheidender Bedeutung.“ 

Die Renaissance des Verbrenners wird aber schon jetzt heftig diskutiert. Im beginnenden Europawahlkampf tritt die EVP-Fraktion um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem Ziel der „Technologieneutralität“ an. Teile der Fraktion wollen das Verbrenner-Aus gleich ganz kippen. Unterstützung kommt von Rechtspopulisten. Das Europaparlament wird am 7. Juni neu gewählt.

Seit 2020 gilt in der EU ein Grenzwert von im Schnitt 95 Gramm ausgestoßenem CO2 pro Kilometer für jeden neu zugelassenen Pkw. 2025 soll der Grenzwert zunächst auf 93,6 Gramm sinken, dann 2030 auf 49,5 Gramm. Ziel ist ein Wert von null 2035, der faktische Verbrenner-Ausstieg. Die Regelungen gelten derzeit aber mit zahlreichen Ausnahmen, Pooling-Optionen und komplizierten Berechnungen für die Bestandsflotte.

Zipse geht es konkret um diese CO2-Flottenziele für jeden Hersteller bis ins Jahr 2035, in dem der Wert dann auf null sinken soll. BMW selbst unterschritt seinen Zielwert für das vergangene Jahr um 26,4 Gramm – dennoch will der CEO eine Reform der gängigen Regulatorik für die Industrie.

Nach jetzigem Stand soll diese erst 2026 erfolgen. Ein Ansatz könnte dann sein, bereits die CO2-Emissionen aus Produktion und Transport der Neufahrzeuge anzurechnen, nicht nur den Ausstoß von CO2-Emissionen während der Fahrt. Das würde vor allem die aufstrebenden chinesischen Hersteller treffen, deren Fahrzeuge zum überwiegenden Teil noch mit Kohlestrom produziert und aufwendig aus China importiert werden.

„Die Europäische Kommission ist verpflichtet, bis Ende 2025 eine Methodik zur Lebenszyklusbetrachtung der Emissionen von Fahrzeugen vorzuschlagen“, teilte das Bundesverkehrsministerium in Berlin auf Anfrage der Auto­mobilwoche mit.

Eine komplette Abkehr vom Null-Emission-Ziel 2035 soll es bei der geplanten Überprüfung aber eigentlich nicht geben. William Todts, Executive Director der in Brüssel ansässigen Umweltorganisation Transport & Environment, sagte der Automobilwoche: „Die Kommission muss Investi­tionssicherheit garantieren. Wir erwarten keine größeren Änderungen am bestehenden Gesetz. Wenn es die Überprüfung gibt, wird diese sich mehr mit Lade­infrastruktur und der Lieferkette der Batterieproduktion beschäf­tigen.“ 

In der Branche sind die Erwartungen ähnlich. Neben VW-CEO Oliver Blume sieht auch Audi-Chef Gernot Döllner keine politisch erzwungene Renaissance des Verbrenners in Europa. „Volkswagen hat sich hier klar positioniert“, sagte Todts. Mercedes-Chef Ola Källenius hingegen rückte jüngst vom einst klaren Elektrokurs ­wieder ab: „Den Zeitpunkt für den letzten Verbrenner kennen wir schlichtweg nicht.“

Die politische Diskussion um das Verbrenner-Aus nimmt nicht nur deswegen in diesen Tagen wieder neu an Fahrt auf. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen strebt eine zweite Amtszeit in Brüssel an. In ihrer konservativen EVP-Fraktion gibt es Stimmen, die eine Abkehr vom im vergangenen Jahr unter von der Leyen beschlossenen Gesetzespaket fordern. EVP-Fraktionschef Manfred Weber drohte ­zuletzt in einem Interview: „Das Verbrenner-Aus kommt ganz ­gewiss auf den Prüfstand.“ 

Im Wahlprogramm der EVP findet sich ­eine Streichung des Verbrenner-Enddatums 2035 aber so nicht wieder. Dennoch: Um sich Mehrheiten zu sichern, wird auch CDU-Politikerin von der Leyen den Verbrenner-Freunden in ihrer EVP-Fraktion mehr Zugeständnisse machen müssen. Darauf setzt auch BMW-Chef Zipse. Er erwartet ein Umdenken innerhalb des neu gewählten EU-Parlaments spätestens im kommenden Jahr: „Ende 2025 wird die Welt merken, dass es nicht so einfach ist. Da wird die Welt schon Ende nächsten Jahres eine andere sein als die, auf die wir heute schauen.“

Aus dem Datencenter:

CO2-Einsparpotential in Deutschland im Jahr 2030