Abgesagte Fabriken: Nächste Chipkrise für Autohersteller in Europa?

Mit Megaprojekten und Milliarden an staatlichen Subventionen wollten Deutschland und die Europäische Union die Halbleiterindustrie stärken und so die Unabhängigkeit insbesondere von asiatischen Lieferanten reduzieren.

Doch während beispielsweise TSMC zusammen mit Bosch, Infineon und NXP in Dresden kürzlich den Spatenstich feierte, wurden andere große Vorhaben wie von Intel in Magdeburg sowie Wolfspeed und ZF in Saarbrücken inzwischen auf Eis gelegt. Damit stellt sich die drängende Frage, was dies für die Autoindustrie bedeutet, deren Hunger nach Chips stetig wächst.

In der Corona-Krise hatte der Halbleitermangel die Branche kalt erwischt. Allein 2021 konnten Studien zufolge weltweit 7,7 Millionen Fahrzeuge nicht gebaut werden, da Kapazitäten fehlten oder für die Unterhaltungsbranche genutzt wurden, wo die Margen höher waren.

Inzwischen hat sich die Lage beruhigt, die Hersteller haben reagiert. „Unter anderem arbeiten wir viel enger mit den direkten Lieferanten und auch unmittelbar mit den Halbleiterherstellern zusammen“, sagte Volkswagen-Beschaffungsvorstand Dirk Große-Loheide kürzlich.

So habe das Unternehmen seit Beginn 2023 über zehn Direktverträge mit Halbleiterherstellern abgeschlossen. Ähnlich haben beispielsweise auch BMW und Mercedes die Lieferketten stabilisiert.

„In allen wichtigen Technologiekategorien ist aktuell keine strukturelle Knappheit zu sehen. So sind die Vorlaufzeiten bei fast allen Halbleiter-Herstellern auf Vor-Corona Niveau angekommen und liegen ungefähr im langjährigen Mittel“, bestätigt Sebastian Küchler, Partner bei der Beratungsfirma McKinsey.

Die Auslastung der Produktionskapazitäten liege sogar unterhalb derjenigen während der Corona-Krise. Dies habe auch damit zu tun, dass die aufgebauten Bestände bei den Herstellern langsam reduziert werden.

Langfristig wird die Bedeutung von Chips weiter zunehmen. Laut Küchler ist seit Anfang 2024 wieder eine steigende Nachfrage zu beobachten. Die zentralen Treiber dieser Entwicklung sind das autonome Fahren, die verstärkte Vernetzung von Fahrzeugen und insbesondere die Elektrifizierung des Antriebsstrangs.

So erwartet der Branchenverband VDA, dass sich die absolute Halbleiternachfrage in der Autoindustrie bis 2030 weltweit verdreifacht. Der Marktanteil an verbauten Chips steigt damit von etwa acht Prozent im Jahr 2021 auf rund 14 Prozent im Jahr 2030 – und übertrifft damit andere Marktsegmente wie die Industrieelektronik. „Ergo sind wir als strategischer Kunde für die Halbleiterindustrie ebenso von großer Bedeutung“, so Große-Loheide.

Durch die angekündigten Projekte war Europa beim Thema Kapazitätsaufbau zwar auf einem guten Weg. So wären nach Berechnungen von VDA und McKinsey für ein unabhängiges Szenario der Aus- oder Aufbau von 37 so genannten Fab-Äquivalenten, also Fabrik-Einheiten, bis 2030 notwendig gewesen.

„Durch die Ankündigungen von Erweiterungen und Neubauten war dies zwischenzeitlich zu 50 bis 60 Prozent erreicht“, so Küchler. Aufgrund der aktuellen Verzögerungen und möglichen Abkündigungen sinke dieser Anteil nun, der europäische Anteil an den weltweiten Kapazitäten bleibe in den kommenden Jahren gleich.

Immerhin hält beispielsweise der Bosch-Konzern trotz der Unwägbarkeiten in der Transformation an seinen ehrgeizigen Zielen fest. „Es gibt keine Änderung“, bestätigt ein Sprecher der Automobilwoche.

Neben der Beteiligung am Neubau von TSMC in Dresden sollen die Kapazitäten mit weiteren Projekten erhöht werden. Dafür hat Bosch Teile des Geschäfts des Halbleiterherstellers TSI Semiconductors im kalifornischen Roseville übernommen und investiert hier 1,4 Milliarden Euro.

Ab 2026 sollen in den USA die begehrten Siliziumkarbid-Chips entstehen. Auch am Standort Reutlingen sollen künftig mehr Wafer auf Basis der Siliziumkarbid-Technologie gefertigt werden. Die Produktionsfläche soll von 39.000 auf 44.000 Quadratmeter erweitert werden. Die von Bosch im Jahr 2021 in Dresden eröffnete Fabrik läuft auf Hochtouren.

Für die Zurückhaltung der anderen Chiphersteller bei Investitionen sind mehrere Gründe verantwortlich. Neben individuellen Problemen wie etwa bei Intel oder Wolfspeed, die schon seit Jahren unter Druck stehen und zum Teil hohe Verluste gemacht haben, schwanken die Prognosen zum unmittelbaren Bedarf.

„Die kriselnde weltweite Konjunktur und der hinter den Erwartungen zurückbleibende Absatz von Halbleitern durch die Absatzkrise von E-Autos haben Verunsicherung in den Investitionsentscheidungen ausgelöst“, so eine Sprecherin des Branchenverbands VDA. Auch makroökonomische Risiken wie der Ukraine-Krieg oder der Krieg in Israel hätten zur Zurückhaltung geführt.

Zwar ist derzeit nicht mit einem erneuten Chip-Mangel wie während der Corona-Krise zu rechnen. Allerdings könnte es laut Studie in den Jahren 2028 bis 2030 auf globaler Ebene zu strukturellen Knappheiten in einzelnen Technologien kommen.

„Am Ende hängt es natürlich von der tatsächlichen Nachfrageentwicklung ab und der weiteren Entwicklung bei den bereits angekündigten Ausbauprojekten – auch in Europa“, so Küchler.

Ein wesentlicher Faktor für die Versorgung bei Halbleitern mit größeren Strukturbreiten auf globaler Ebene werde nach aktuellem Stand China sein, wo ein überproportionaler Aufbau von Kapazitäten im Bereich von Knotengrößen über 22 Nanometer und über 90 Nanometer stattfinde. Diese kommen vor allem in der Autoindustrie zum Einsatz. Für Europas Entwicklung von einem passiven Halbleiterkonsumenten hin zu einem aktiven Akteur in der Halbleiter-Wertschöpfungskette sind dies keine guten Nachrichten.