Herr Laier, wie beim Pkw wird es beim Nutzfahrzeug eine Vielfalt an Antriebsarten geben. Welche Strategie verfolgen Sie?
Ich bin der Überzeugung, dass wir im Nutzfahrzeug in Zukunft mehr Antriebsarten als im Pkw haben werden, da neben dem batterieelektrischen Antrieb und dem Dieselverbrennungsmotor zukünftig im Nutzfahrzeug auch die Brennstoffzelle und der Wasserstoffverbrenner eine Rolle spielen werden. Dies stellt unsere Kunden, die OEMs, vor große Herausforderungen, diese Vielfalt an Antriebstechnologien parallel zu entwickeln. Für uns als ZF ist das ein Zweiklang. Für alle Verbrennerarten, egal ob sie mit Diesel, Wasserstoff oder auch Synthetik-Fuel betrieben werden, liefern wir unsere Getriebe. Diese Aggregate sind mit ihrer intelligenten Gangsteuerung so etwas wie das Hirn eines verbrennungsmotorischen Antriebs. Für alle elektrischen Antriebe – gleich ob BEV oder Fuel Cell – haben wir unseren elektrischen, modularen Baukasten, der PI 10 heißt. Dazu gehören Komponenten wie zwei unterschiedliche Leistungsklassen von Elektromotoren, Inverter, ein Dreigang-Getriebe und die dazugehörigen elektrischen Komponenten.
Welche Perspektiven haben E-Fuels im Lkw?
Ich halte das für eine Randerscheinung.
Welche Antriebsarten eignen sich wofür?
Für die Langstrecke sehe ich die Brennstoffzelle und den Wasserstoffverbrenner, batterieelektrische Antriebe eignen sich für den Lieferverkehr auf der letzten Meile, Stadtbusse und Hub-to-Hub, also der Transport von Fabrik zu Fabrik oder zwischen Werk und Lagerhaus. Mit den aktuellen Batterietechnologien sind dabei Entfernungen zwischen 300 und 500 Kilometern möglich. Wie schnell sich welche Technologie durchsetzt, hängt natürlich auch davon ab, ob man hochentwickelte oder Schwellenländer betrachtet.
Das bedeutet für Zulieferer wie ZF hohe Investitionen…
Der Einstieg in die E-Mobilität ist von der Entwicklung eines E-Baukastens bis zur Industrialisierung investitionsintensiv. Deswegen gehen wir schrittweise vor. Wir haben ein modulares Industrialisierungskonzept für die Montage unseres E-Mobilitätsbaukastens entwickelt, mit dem wir die Kapazitäten an die jeweiligen Bedarfe anpassen können.
ZF sieht sich als größter Zulieferer für Nutzfahrzeuge. Wie wichtig ist Ihnen das?
Wichtig ist uns nicht die absolute Größe, sondern dass wir über das mit Abstand breiteste und innovativste Portfolio verfügen. Das zählt für unsere Kunden.
An welchen Stellen wollen Sie Ihr Portfolio noch ergänzen?
Mit unserem Portfolio fühlen wir uns sehr wohl. Wir decken als einziger Nutzfahrzeugzulieferer das Chassis komplett ab. Wir haben die Bremse, die Lenkung und wir liefern die Vertikaldynamik. Zudem haben wir einen Riesenvorteil gegenüber dem Wettbewerb, weil wir darüber hinaus auch sehr stark in der Fahrerassistenz und im automatisierten Fahren sind. In der Antriebstechnik verfügen wir mit unseren Getrieben über das mit Abstand kompletteste Portfolio. Wie im Chassis sind wir auch mit unseren Getrieben sowohl bei schweren als auch bei mittleren und leichten Nutzfahrzeugen unangefochtener Weltmarktführer. Auch mit unserem elektromotorischen Baukasten haben wir ein sehr wettbewerbsfähiges Produkt. Wir profitieren auch davon, Teil eines sehr großen Zulieferers zu sein, der auch Technologien für den Pkw entwickelt. Wir können an den „Economy of scale“ partizipieren und das Know-how der gesamten ZF nutzen. Zur Erweiterung unseres Portfolios investieren wir aktuell insbesondere in Digitalisierungs- und Konnektivitäts-Lösungen.
Wie profitabel ist die Nutzfahrzeugsparte?
Zu den einzelnen Divisionen machen wir keine Angaben.
Aber es ist derzeit schon bequemer in der Nutzfahrzeug- als in der Pkw-Sparte von ZF, oder?
Also bequem ist es bei uns nicht, aber wir haben eine gute Beziehung zu unseren Kunden und ich kann sagen, dass das Nutzfahrzeug für ZF eine wesentliche Säule des Geschäfts ist. Wir haben im letzten Jahr im Vorstand den Beschluss gefasst, dass wir im Nutzfahrzeug überproportional wachsen wollen. Das zeigt, wie stark das Geschäft bei ZF im Fokus steht.
Welche Auswirkungen hat der Branchenwandel auf den Getriebestandort Friedrichshafen?
2023 war beim Nutzfahrzeug ein Rekordjahr in Friedrichshafen. Darauf sind wir sehr stolz. Natürlich führt der schrittweise Wandel im Nutzfahrzeug in Richtung unterschiedlicher Antriebsformen zu geringeren Volumen bei Nutzfahrzeuggetrieben. Das ist allerdings eine Kurve, die bei Weitem nicht so schnell nach unten geht, wie das beim Pkw nach aktuellen Prognosen der Fall ist. Und wir bereiten uns darauf vor.
Und wie?
Wir haben erst vor kurzem ein Zielbild für Friedrichshafen erarbeitet. Das bedeutet neben Maßnahmen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit auch, dass wir Kapazität für das langsam rückläufige Getriebegeschäft durch entsprechende Fluktuation anpassen werden. Aber der Standort Friedrichshafen wird am Nutzfahrzeuggetriebe sowie auch an den Großgetrieben für Sonderanwendungen noch sehr lange Freude haben. Zudem haben wir in Friedrichshafen auch die Pilotanlage für unseren elektromotorischen Baukasten installiert. Friedrichshafen als Lead-Werk ist dafür das Anlaufwerk. Das Know-how in Friedrichshafen ist für die Nutzfahrzeug-Division heute und auch in Zukunft ein wichtiger Erfolgsfaktor.
ZF will in den nächsten zwei Jahren sechs Milliarden Euro einsparen. Wo sehen Sie in Ihrem Bereich Ansatzpunkte?
Das Portfolio der Maßnahmen für Einsparungen unterscheidet sich kaum vom Pkw-Bereich. Betroffen sind im Wesentlichen drei Bereiche.
Und die wären?
Zum einen, ganz klar die kontinuierliche Verbesserung in unseren Werken. Dort wollen wir nochmal eine Schippe drauflegen. Punkt zwei ist der starke Fokus auf das Material-Management. Da werden wir weiter mit unserer Lieferantenbasis arbeiten, um die Kosten zu optimieren. Der dritte Bereich betrifft die Strukturkosten sowie den globalen Footprint.
Wie viel wollen Sie bei Ihren Lieferanten einsparen?
Wir haben im Konzern sowohl für die Pkw-Divisionen als auch für die Nutzfahrzeugdivision Performanceprogramme aufgesetzt. Dabei schauen wir uns die genannten Maßnahmenbereiche an und das heißt auch, dass sich unsere Lieferanten mit Performanceverbesserungen an der Erhöhung unserer Wettbewerbsfähigkeit beteiligen müssen. Aus der Gesamtsumme der Performancemaßnahmen im Konzern entsteht das sechs Milliarden-Euro-Target. Angaben zu einzelnen Divisionen machen wir nicht.
Bleibt Ihre Lieferantenstruktur erhalten?
Wir haben keine Strategie uns nur noch auf große Lieferanten zu konzentrieren. Wir wollen vielmehr mit den Wettbewerbsfähigsten arbeiten. Deshalb haben wir ein Programm zur Lieferantenentwicklung gestartet und organisieren aktuell Lieferantentage. Zudem haben wir die geopolitische Situation im Blick, um uns abzusichern. Des weiteren fordern unsere Kunden mehr und mehr Nachhaltigkeit ein, und dementsprechend entwickeln wir auch unsere Lieferantenbasis.
Welche Ziele haben Sie im Bereich Forschung und Entwicklung?
Wir wollen weiter stark in das Nutzfahrzeug investieren, weil wir dank unserer Technologien und unseres einzigartigen Know-hows überproportionale Wachstumschancen sehen. Wir sind der Technologieführer und wollen diese Position weiter ausbauen.
Betrifft die Steigerung die F&E-Quote oder die absolute Summe?
Die Quote werden wir nicht mehr erhöhen. Das Niveau wird in etwa stabil bleiben. Aber in absoluten Zahlen werden wir mehr investieren.
Wo ergeben sich für den Bereich Nutzfahrzeuge Synergien innerhalb des Konzerns?
Beispielsweise über den genannten E-Mobilitätsbaukasten. Dieser ist abgeleitet aus unserer Pkw-Technologie. Und wir übertragen unseren Nutzfahrzeug-E-Baukasten wiederum auch auf Off-Highway-Fahrzeuge. Es gibt auch Kooperationen zwischen der Nutzfahrzeug- und der Pkw-Division im Umfeld der Fahrerassistenz. Dabei greifen wir auf die Sensoren zurück, die in der Pkw-Division entwickelt werden. Auch bei den Elektronikarchitekturen und den dazugehörigen High Performance Computern sind wir in engem Austausch mit unseren Pkw-Kollegen. Das sind nur einige Beispiele, um das einzigartige Potential von ZF im Nutzfahrzeug zu beschreiben.
Wie entwickelt sich in Ihrem Bereich das Geschäft mit dem autonomen Fahren?
Im Nutzfahrzeug gibt es für das automatisierte Fahren einen klaren Business Case. Auf den Fahrer entfallen zwischen 30 und 35 Prozent der Kosten. Wenn sich dort Kosten einsparen lassen, gibt es ein klares Interesse an solchen Lösungen. Zudem fehlen immer mehr Fahrer. Vor diesem Hintergrund gibt es seitens der Kunden einen klare Nachfrage nach automatisiert fahrenden Nutzfahrzeugen. Allerdings ist es sehr komplex, solche Fahrzeuge zu realisieren.
Wie schnell geht es?
Aufgrund der gegenüber den Annahmen vor einigen Jahren langsameren Einführung des automatisierten Fahrens im PKW stellt sich der Technologienübertrag auf das Nutzfahrzeug nicht so schnell ein, wie ursprünglich erhofft.
Welche Konsequenzen hat das für Ihren Bereich?
Wir müssen nutzfahrzeugspezifische Entwicklungen schneller vorantreiben. Das ist eine gewaltige Aufgabe vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen und knapper finanzieller Mittel.
Gibt es beim automatisierten Fahren derzeit nicht eine gewisse Desillusionierung?
Ja das ist im Moment so, aber es wird kommen. Etwas verzögert und zunächst in besonderen Anwendungen, aber, die Automatisierung im Nutzfahrzeug wird kommen. Die ersten Anwendungen gibt es bereits bei Logistikzentren, Häfen oder in Minen und wir werden in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erste Anwendungen auf öffentlichen Straßen sehen.
Wie fit ist der Standort D?
Deutschland ist seit vielen Jahren ein Hochlohnstandort, und wir waren schon immer mit höheren Stundenlöhnen konfrontiert als in anderen Standorten unseres Konzerns. In der Vergangenheit ist es uns bei einem guten Teil unserer Produkte gut gelungen, trotzdem in Deutschland wettbewerbsfähig zu produzieren.
Welche Gründe waren das?
Weil wir auf der einen Seite sehr gut ausgebildete Fachkräfte haben und auf der anderen Seite über signifikante und permanente Produktivitätssteigerungen in Summe wettbewerbsfähig produzieren konnten. Das wird aktuell zunehmend schwieriger aufgrund von mehreren Einflussfaktoren.
Und die wären?
Die Energiekosten in Deutschland sind deutlich gestiegen. Auch die Inflation und die damit nochmal einhergehenden höheren Lohnkosten sind ein wesentlicher Faktor. Zusätzlich haben sich die Logistikkosten deutlich erhöht. Darüber hinaus wird in Deutschland aktuell über eine weitere Reduktion der Arbeitszeit diskutiert. Diese veränderten Randbedingungen kommen zum einen aus geopolitischen und makro-ökonomischen Veränderungen und zum anderen aus Vorgaben der Politik und Forderungen von Tarifpartnern. Alles zusammen genommen tragen die aktuellen Veränderungen nicht zur Wettbewerbsfähigkeit des Standortes bei. Wir als Industrieunternehmen müssen diese sich verändernden Randbedingungen analysieren, beurteilen und darauf basierend Entscheidungen treffen, und das tun wir gerade.
Mit welchem Ergebnis?
Wir analysieren sehr klar, welche Produkte wir zukünftig unter den nun gegebenen Randbedingungen in Deutschland noch wettbewerbsfähig fertigen können und welche nicht. Das müssen wir dann entsprechend umsetzen.
Sie haben sich Ende November mit der Arbeitnehmervertretung auf ein Zielbild für die Produktionsbereiche in Friedrichshafen geeinigt. Wie weit sind Sie vorangekommen?
Wir befinden uns in der Umsetzung des Zielbildes. Die Verhandlungen in Friedrichshafen waren nicht einfach, aber am Ende des Tages haben wir uns auf ein Paket geeinigt, was die Wettbewerbsfähigkeit erhöht und somit den Standort gestärkt hat.
Welche Investitionen planen Sie in Friedrichshafen?
Ich möchte keine Summe nennen, man kann aber sagen, dass wir deutliche Investitionen vorsehen. Dazu gehören solche zur Erhaltung des Standorts, aber auch Investitionen in neue Fertigungsanlagen und Technologien. Wir haben ein Programm aufgesetzt, um an deutschen Standorten die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. In die Standorte, die in diesem Umfeld ihre Wettbewerbsfähigkeit darstellen, werden wir weiter investieren.
Wie viele Standorte haben Probleme?
Dazu will ich keine Zahl nennen. Aber wir schauen uns jeden Standort individuell an. Wir entwickeln aktuell für jeden Standort ein individuelles Maßnahmenprogramm. Und wir werden sehr eng verfolgen, wie dieser Plan umgesetzt wird.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Zum einen braucht die Industrie Planungssicherheit von der Politik. Wir brauchen verlässliche Szenarien für die Einführung neuer Technologien wie beispielsweise der E-Mobilität. Nur mit einer gewissen Planungssicherheit können unsere Kunden und wir eine verlässliche Planung der notwendigen Investitionen in die neuen Produkte und die benötigten Produktionskapazitäten machen. Neben der Kapazitätsplanung bei OEMs und Zulieferern benötigen die Speditionen Planungssicherheit, damit die Restwerte ihrer Fahrzeuge stabil bleiben. Zudem brauchen wir mehr Technologieoffenheit. Wünschenswert wäre auch eine einheitlichere Regulatorik in den unterschiedlichen Regionen der Welt, damit wir nicht unterschiedliche Technologien entwickeln müssen, was die Kosten weiter erhöht. Ein weiteres Thema betrifft die Infrastruktur.
Was meinen Sie damit konkret?
Wenn wir neue Technologien wie batterieelektrische Mobilität oder wasserstoffbasierte Antriebe in den Markt bringen, muss die entsprechende Lade- beziehungsweise Tank-Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Die aktuellen staatlichen Initiativen reichen nicht aus. Das heißt, wir brauchen ein Incentivierungsprogramm mit verlässlichen Randbedingungen, um private Investoren anzulocken, die diese Infrastruktur bereitstellen.
Das sind viele Punkte auf der Wunschliste. Was ist ihnen am wichtigsten?
Planungssicherheit und Technologieoffenheit.
Dazu aus dem Datencenter: