Software-definierte Fahrzeuge: Die Chinesen fahren davon

Tiefe Einblicke in die Entwicklung und die wachsende Bedeutung des Software-definierten Fahrzeugs (SDV) gibt der von Capgemini veröffentlichte Digital Automotive Innovation Radar. Untersucht werden vier zentrale Technologiefelder: Autonomous Driving (AD/ADAS), Connected ­Vehicle, Infotainment & Cockpit sowie Vehicle Motion & Energy.

Zu dem jährlich fortgeschriebenen Report steuert das von Stefan Bratzel geleitete Center of Automotive Management (CAM) ­Daten und Analysen bei. Die vor Kurzem erschienene neue Ausgabe gleicht einem Weckruf für die deutsche Auto­mobilindustrie.

So ist in allen vier untersuchten Technologiefeldern die Wachstumsdynamik chinesischer Hersteller am höchsten. Vielfach geht es für die deutschen Hersteller nicht mehr darum, ­einen Vorsprung zu verteidigen, sondern den Entwicklungsrückstand einzuholen.

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Zwar hätten die deutschen OEMs die Problematik erkannt, inzwischen seien aber die Chinesen beim Entwicklungstempo so aggressiv, dass "sich in den nächsten zwei bis drei Jahren entscheidet, ob die großen deutschen Hersteller den Hebel umlegen können", sagt Bratzel.

Gelinge dies nicht, drohe die Bedeutungslosigkeit in China. Und aus globaler Sicht könnten die chinesischen Hersteller und andere Newcomer, die das Auto als fahrende Hardware mit smarten Softwareanwendungen begreifen, den etablierten Unternehmen das Geschäft abgraben.

Laut aktuellem Digital Automotive Innovation Radar sind ­Innovationen der OEMs aus den Technologiefeldern Software-­defined Vehicles im Zeitraum 2016 bis 2023 um 36 Prozent im Vergleich zum vorigen Zeitraum gestiegen.

Das stärkste Wachstum verzeichnete der Bereich Vehicle Motion & Energy mit den Kernthemen Verbesserung des E-Antriebs und Smart Charging. Heißestes Thema bleibt das Feld Connected Vehicle. Auf dieses Technologiefeld entfallen 1484 von 4902 Innovationen im besagten Zeitraum.

Ein markantes Beispiel zum Tempo, das die Chinesen anschlagen, liefert der Bereich autonomes Fahren beziehungsweise hochautomatisiertes Fahren. Hier führten die deutschen OEMs das Innovationsranking bis 2022 an, inzwischen sind die Chinesen und die US-Hersteller aber vorbeigezogen.

Und die Chinesen drohen den Deutschen bis 2030 zu enteilen. Im aktuellen Ranking der innovationsstärksten OEMs bei ADAS stehen, angeführt von Xiaopeng, sechs chinesische Hersteller an der ­Spitze. Auf Rang sieben folgt BMW als bester deutscher OEM, die VW-Gruppe liegt auf Rang neun.

Deutlich wird bei dem Punkt auch der Einfluss wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen. So gehe man das Thema Robotaxi auch von der politischen Seite sehr viel progressiver an, als dies in Deutschland der Fall ist.

Im ­Infotainment sind China-OEMs bereits führend. Im Innovationsindex Connected Vehicle rücken sie den deutschen OEMs zunehmend auf die Pelle.

So kommen Nio und Tesla bei den Over-the-air-Updates (OTA), einer Schlüsseltechnologie zur kontinuierlichen Verbesserung und Monetarisierung neuer Services über den gesamten Fahrzeuglebenszyklus, auf zehn Updates jährlich. Die meisten etablierten Autobauer kommen gerade mal auf drei.

Besonders wichtig ist eine starke Position bei der Besetzung aller SDV-Technologiefelder im Zusammenhang mit dem Hochlauf der Elektromobilität. Denn wer hier die besten Technologien anbiete und die Kundenerwartungen am besten treffe und flexibel bedienen könne, werde letztlich auch in der Elektromobilität die Nase vorn haben, so Bratzel. Und das nicht nur in China.