China-Experte: "Der chinesische Markt entkoppelt sich komplett von Europa und den USA"

Willy Wang ist Partner und Managing Director bei der Beratung Berylls by AlixPartners. Er ist Spezialist für China und die Autoindustrie und war zu Beginn seiner Karriere Trainee bei Audi.  

Herr Wang, was erwarten Sie von der Shanghai Auto Show?

Auch dieses Jahr werden die chinesischen Autobauer wieder ein Feuerwerk an neuen Modellen und Marken abbrennen. Ich persönlich bin besonders gespannt auf BYD, Geely, Li Auto und Huawei mit ihren neuen Submarken.

Warum diese Unternehmen?

BYD wegen God's Eye, Geely wegen des sehr diversifizierten Produkt-Line-ups; Li Auto, weil sie ihre ersten Elektroautos bringen, und Huawei, weil Aito, Luxeed, Stelato und Maextro zu sehen sein werden. Die arbeiten außerdem neuerdings mit SAIC zusammen.

Auch Xiaomi wird sicherlich jede Menge Messebesucher anziehen. Letztes Jahr bei der Auto China in Peking war deren Stand völlig überfüllt, und man musste sich anstellen, um die Highlights sehen zu können. Das wird dieses Jahr nicht anders sein.

Was ist auf der Technologie-Seite zu erwarten?

Da bin ich richtig gespannt, was es an Neuigkeiten geben wird, insbesondere bei Fahrerassistenzsystemen (AD/ADAS), Batterie und Laden sowie KI. Das sind für mich die eigentlichen Highlights der Messe.

Bei den Assistenzsystemen steht der God's-Eye-Plan von BYD im Fokus. Darauf müssen alle anderen Hersteller eine Antwort finden, und ich gehe davon aus, dass sie es werden - sowohl auf der Hardware- als auch auf der Softwareseite.

Bei der Hardware geht es primär um die Anzahl der Sensoren, bei der Software um Funktionen - insbesondere End-to-end-Navigation.

Bei Batterie und Laden erwarte ich Durchbrüche bei der Festkörperbatterie, beim Einsatz von Natrium und erste Megawatt-Ladegeräte, beispielsweise von CATL, BYD und Huawei.

Das Laden wird immer interessanter, weil die Ladeinfrastruktur heute aktiv für das Branding einzelner Marken genutzt wird - durch das Aufstellen gebrandeter Ladestationen, siehe XPeng und so weiter.

Seit DeepSeek herrscht in China ja ein KI-Boom.

Unbedingt! DeepSeek hat eine enorme Begeisterung entfacht, und die ist inzwischen auf den Chatbot Manus sowie humanoide Roboter von UniTree und PND übergeschwappt. Dem eifern sämtliche chinesischen Hersteller mit humanoiden Robotern nach.

Li Auto hat sich bereits zu einem KI-Unternehmen gewandelt, das Auto soll nur noch ein Träger von KI sein, ähnlich wie die Roboter. Mit zunehmender Bedeutung von KI wird das Thema lokal gefertigte Chips eine stark zunehmende Rolle spielen.

Aufgrund der geopolitischen Lage ist das Ziel Chinas, die komplette Wertschöpfung im eigenen Land abzubilden. Somit werden chinesische Hersteller mit ihren In-house-Chips werben.

Entfernt sich China dadurch weiter von der Europäischen Union und den USA?

Ja. Der chinesische Markt entkoppelt sich komplett von den Märkten in Europa und den USA, insbesondere, was die Produktauslegung angeht.

Was bedeutet das?

Wie im "Quo Vadis China 25"-Report von Berylls by AlixPartners beschrieben, wird sich die Konzentration auf Beifahrer und Joy of Ride vielfach intensivieren.

Das beste Beispiel ist und bleibt die Auslegung von Sitzen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Autositze stärker der Business und First Class in Flugzeugen annähern, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man so etwas wie integrierte Lautsprecher und geschlossene Luftzirkulation vorfindet. Und natürlich weiterhin Screens: vorne, hinten, gemeinsame, getrennte…

Und unter der Haube?

Da wird eine massive Integration von Steuergeräten stattfinden. Die E/E-Architekturen werden sich immer mehr von konventionellen Architekturen entfernen.

Ich bin überzeugt, dass chinesische Hersteller beispielsweise alle Funktionalitäten von Fahrerassistenzsystemen, Smart Cockpit, E-Antriebs-Steuerung und sonstigen Anwendungen auf einem Chip und somit in einer Box integrieren werden. Chinesische E/E-Architekturen werden sich komplett verändern.

Wird diese Technologieoffensive dazu führen, dass der Preisdruck am Markt nachlässt?

Nein. Die Todesspirale aus mehr Tech für weniger Geld dreht sich einfach weiter. All die oben genannten Themen passieren, während die Preise weiterhin tief bleiben, und es gibt Null Anzeichen, weshalb sich das in naher Zukunft ändern sollte.

Es gibt auch überhaupt keinen Grund dazu. Das Ziel der Regierung ist die Verbreitung von New Energy Vehicles; dass ein paar Unternehmen dabei auf der Strecke bleiben, ist klar und Teil der zu erwartenden Konsolidierung der chinesischen Markenlandschaft.

Welche Rolle spielen Zulieferer in diesem Umfeld?

Zulieferer könnten starke Präsenz zeigen, und zwar in jeglicher Hinsicht. Chinesische Zulieferer müssen außerhalb Chinas expandieren, und dieses Jahr ist das Thema so offensichtlich wie nie zuvor.

Ich persönlich glaube, dass Huawei ein Feuerwerk an neuen Systemen und Komponenten zeigen wird. Von Smart Cockpit und Fahrerassistenzsystemen zu Hardware und Software, wo sie sich bereits in Richtung E-Antrieb und -Fahrwerk bewegen.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie Dinge wie Thermomanagement, Steuergeräte und so weiter völlig beherrschen und vorstellen werden. Somit könnte Huawei das erste 'Bosch Chinas' werden.

Ziel ist natürlich der Verkauf von Teilen und Komponenten an alle chinesischen Hersteller, vor allem aus ihrem HIMA-Ökosystem (Harmony Intelligent Mobility Alliance). Sie zeigen aber auch vermehrt Interesse daran, Lieferant bei westlichen Herstellern zu werden, wie die kürzlich geschlossene Kooperation mit BMW zeigt.

Apropos BMW: Welche Chancen haben denn die westlichen Hersteller?

Aus unserer jährlichen "Premium Customer Study", die wir in diesem Jahr zum dritten Mal durchgeführt haben, wissen wir, dass die Vorliebe der Kunden für chinesische Marken so hoch ist wie nie zuvor.

Insbesondere die neuen Marken, also XPeng und Li Auto, sind so beliebt wie noch nie. Eine Sache wird sehr klar: Chinesische Kunden kaufen inzwischen chinesische Marken auch wegen des Markenimages.

Noch in den vergangenen beiden Jahren wurden deutsche Marken wegen ihres Images gekauft und chinesische Marken wegen der Technologie, des Ökosystems und so weiter. Das dreht sich gerade.