Schneller auf Level 2+: Die VW-Tochter Cariad und Bosch treiben gemeinsam das Autonome Fahren voran – und haben einen Weg gefunden, die Entwicklung zu beschleunigen.
Mehr Komfort: Bei Level 2+ können die Hände dauerhaft weg vom Lenkrad, der Fahrer bleibt aber in der Verantwortung.
Hände weg vom Lenkrad: Das ist das Nahziel der Automobilhersteller, wenn es um das automatisierte Fahren geht. Denn dafür lassen sich gemessen am Entwicklungsaufwand die größten Zuwächse an Komfort beim Fahren erzielen.
Der Volkswagen-Konzern schloss dazu 2022 über seine Software-Tochter Cariad eine Allianz mit dem Technologiekonzern Bosch, um solche Level-2+-Systeme schneller einführen zu können. 2025 sollen sie auf den Markt kommen. Derzeit finden intensive Erprobungen statt.
Im Gegensatz zum bisherigen Vorgehen, bei dem einzelne Autos auf den Straßen unterwegs sind und Bilder von Verkehrssituationen einsammeln, greifen Bosch und Cariad auf eine Flotte mit rund 1500 Fahrzeugen zurück. Sie sind mit einem einfachen Kamerapaket nachgerüstet. Unterwegs sind Taxifahrer oder Service-Mitarbeiter von Bosch.
Das beschleunigt die Datensammlung um ein Vielfaches. „Wir nutzen die Fülle der Kundenfahrzeuge, um ein reales Abbild der Welt zu erhalten“, sagt Thomas Classen, Chef der „Automated Driving Alliance“, die aus jeweils 750 Ingenieuren beider Partner besteht. Die Bilder werden verschlagwortet, um sie gezielt herausfiltern zu können.
Immer wieder tauchen ungewöhnliche Situationen im Verkehr auf. Dazu zählen Wahlplakate während der Europawahl. Diese sind meist am Straßenrand angebracht und zeigen Personen, die keine Verkehrsteilnehmer sind.
„Dies müssen wir dem Algorithmus beibringen“, sagt Entwicklerin Elke Aufzug. „Einmal hatten wir sogar einen Radfahrer, der auf seinem Rücken ein Verkehrsschild transportiert hat.“ Auch solche Ausnahmefälle muss das System beherrschen.
Neben den Sensoren beziehen die Fahrzeuge über eine eigens entwickelte Karte Informationen zum Verkehrsgeschehen. Diese erstellen Bosch und Cariad unter Einbeziehung von Schwarmdaten. Fehlen auf einer Straße die Markierungen, dann entscheidet das System anhand der gewählten Route der Mehrheit der Autos.
Auch die Durchschnittsgeschwindigkeit in einer scharfen Kurve oder Autobahnausfahrt fließt auf diese Weise in den Fahrcomputer ein. „Das ist eine Revolution, eine Art vierter Sinn für die Kartengenerierung“, so Jürgen Müller, Leiter Fahrerassistenz. Mit dieser Info-Schicht lässt sich zudem unabhängig von Sichtverhältnissen oder Kurven weit vorausschauen.
Rund um Stuttgart sind Testfahrzeuge wie dieser ID. Buzz unterwegs, um das System zu optimieren.
Das Ziel zum Start des Systems ist ein Autobahnpilot mit einer Kombination aus Radarsensoren und Kamera, bei dem der Fahrer bis Tempo 130 dauerhaft die Hände vom Lenkrad nehmen kann. Im Gegensatz zu Level-3-Systemen, wie sie etwa Mercedes bereits eingeführt hat, ist der Fahrer weiter verantwortlich. In der Stadt müssen die Hände vorerst am Steuer bleiben, da die Verkehrssituationen komplexer sind.
Zwar können Premium-Fahrzeuge wie der BMW 5 oder die E-Klasse von Mercedes heute schon ähnlich selbstständig manövrieren. Doch bei der Allianz von Bosch und Cariad geht es nicht zuletzt darum, schnell zu skalieren und das System wegen der geringen Kosten in Einstiegssegmente, also etwa in einem Polo, verfügbar zu machen. Classen: „Und es gibt Situationen, wo es deutlich mehr kann als heutige Systeme.“
Damit das Ende aber noch nicht erreicht. Auch Level 3 und Level 4 sollen in absehbarer Zeit in die Fahrzeuge kommen. Zwar macht Classen dazu keine konkrete Angaben, lässt aber durchblicken, dass man etwa 2027 die nächste Stufe erklimmen könnte.
"Dazu brauchen wir aber gute Daten", so Classen. Außerdem reicht dann die Kombination aus Kamera und Radar nicht mehr aus. Die Fahrzeuge müssen auch LiDAR-Sensoren an Bord haben. Dabei handelt es sich um eine Fernerkundungstechnologie, die Laserstrahlen nutzt, um in Echtzeit präzise Entfernungen und Bewegungen in einer Umgebung zu messen.
Zwar startet Bosch die Technologie mit dem Volkswagen-Konzern und seinen Marken. Doch Teil der Vereinbarung ist auch, dass etwa Bosch seinen "Automated Driving Stack", also den zentralen Fahrzeugcomputer, später auch an andere Hersteller verkaufen kann.
In China etwa hat der Zulieferer ein ähnliches Projekt bereits umgesetzt, die ersten Fahrzeuge sind schon auf der Straße. "Die Resonanz der Kunden auf unser Level-2+-System ist außerordentlich erfreulich", so Classen. Bosch erhofft sich vom automatisierten Fahren und der dafür benötigten Hardware und Software in Zukunft Milliardenumsätze.
