Von Dr. Magnus Tessner
Letzten Monat fand in Schanghai die mittlerweile größte Automesse der Welt statt und die Presse war voll des Lobes ob der chinesischen Autoindustrie auf dem Vormarsch. Die aktuelle Zulassungsstatistik in China zeigt, dass bei Elektrofahrzeugen Tesla unter den Top 5 liegt und Volkswagen unter den Top 10 und die chinesischen Autohersteller, angeführt von BYD, inzwischen im eigenen Land eine Macht darstellen. Die chinesische Autoindustrie hat gelernt und zeigt Stärke.
Wie ist es zu dieser Stärke gekommen?
Wir schreiben das Jahr 2005 und während die deutsche Autoindustrie auf der IAA in Frankfurt ein grandioses Fest feiert, titelt die Autobild „Das gefährlichste Auto der Welt“. Damit ist der Jiangling Landwind gemeint, der für China Europa erobern sollte. Der Landwind schnitt in der Tat beim Crashtest so katastrophal schlecht ab, dass sich die chinesische Autoindustrie von den Expansionsplänen verabschiedete. Die europäische Autoindustrie begrüßte und bejubelte dies.
Im April 2006 fand die Automesse in China in Peking statt und anlässlich dieses Events, gab es unter Beteiligung europäischer Vertreter der Automobilindustrie auf Einladung Dr. Dings ein im traditionellen Muster dargebotenes Dinner mit dem ersten „Autominister Chinas“ Herrn Xa. Bei dieser Gelegenheit fragte ich ihn, wie sich die chinesische Regierung zum Crashtest des Landwinds verhalten würde und seine Antwort war wie folgt: „Wir wissen jetzt, dass wir mit der europäischen und deutschen Autoindustrie nie werden so konkurrieren können mit Verbrennermotoren, wie wir das ursprünglich geplant hatten und müssen uns strategisch neu aufstellen.“ Weiterhin führte er aus, dass wir die Rahmenbedingungen verändern müssen, um wettbewerbsfähig zu werden. In der Zwischenzeit wissen wir, wie China die Rahmenbedingungen als mittlerweile größter Markt und Trendsetter verändert hat und wie schwer sich die Autoindustrie global tut, mit dem vorgegebenen Tempo Schritt zu halten. China zeigt heute, wie Infotainment, Connectivity, Elektromobilität, Interior Design aussehen, funktionieren und gestaltet werden können. Vielleicht hat es etwas länger gedauert, als sich manch einer vorgestellt hat, aber dafür scheint das Ziel der chinesischen Autoindustrie, im Jahr 2030 einer von zehn industriellen Schwerpunkten mit chinesischer Dominanz zu sein, aus heutiger Sicht in greifbarer Nähe. Und jetzt will Nio auch noch einen EV Kleinwagen für Europa ins Angebot aufnehmen.
Stellen wir uns folgendes vor: Wäre der Landwind damals nicht so desaströs gecrasht worden, wäre die chinesische Autoindustrie nach Europa gekommen und hätte größte Anstrengungen unternommen. Ohne den Landwind-Crashtest wäre die Neuaufstellung der chinesischen Autoindustrie vermutlich nie so radikal umgesetzt worden und die strategische Position der europäischen Hersteller wäre unter den neuen, chinesischen Rahmenbedingungen nicht so erodiert, wie dies heute deutlich sichtbar ist. So lag das Interesse Chinas in der fundamentalen Veränderung der Rahmenbedingungen - dies ist nachhaltig gelungen. Oder: In der Stunde der größten Niederlage steckt die Chance für den Wiederaufstieg.
Der Autor ist Partner der Personalberatung ifp.