Warum es bei Audi brodelt

Über Cariad reden sie momentan nicht gern in Ingolstadt, denn da steht es inzwischen Spitz auf Knopf. Auch das Formel-1-Engagement ist kein gutes Gesprächsthema auf Vorstandsebene, denn die Familien haben wohl durchblicken lassen, dass es nicht auch noch auf der Rennstrecke zwischen Audi und Porsche krachen soll. Aus China hört man ebenfalls nichts Gutes von den vier Ringen: falsche Produkte, fehlende Premium-Inhalte, bröselndes Image, interne Machtkämpfe, sinkende Erträge.

Ablenkung von den Hiobsbotschaften verspricht ein Blick in die Zukunft, genauer gesagt nach Pebble Beach, wo Audi vor der Kulisse des 18. Grüns demnächst ein Gruppenbild mit drei Sphären präsentiert. Die offene Sky Sphere ist ein Hingucker ohne Chance, in die Serie übernommen zu werden. Die Formensprache des Grand Sphere dürften wir dagegen im Projekt Artemis wiederfinden, das ab 2026 als A8-Nachfolger die Luxusklasse aufmischen soll - bisher kein sehr erfolgreiches Unterfangen. Dem van-artigen Urban Sphere steht dem Vernehmen nach eine Zellteilung bevor. Die besonders geräumige, voll elektrische Hochbodenvariante ist zunächst nur für China vorgesehen, die Flachbodenvariante wird als A10-Weltauto vermutlich erst 2028 debütieren.

Haben wir etwas vergessen? Stimmt - da geistert ja noch eine weitere Sphere durchs All. Dabei handelt es sich um einen relativ großen CUV, der sportlicher und eleganter wirkt als der Q6, preislich aber deutlich unter dem Q8 rangiert. Nur zur Erinnerung: Audi- Modelle mit geraden Typziffern sind künftig grundsätzlich batteriebetrieben, die Zusatzbezeichnung e-tron entfällt spätestens mit dem Ende der übergangsweise notwendigen Portfolio-Verdoppelung. Ob die tradierten Kürzel A8 und A10 die Metamorphose überleben, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Als Taufpaten sind statt deutschen Autobahnen angeblich die Kunstnamen Landjet (A8) und Landyacht (A10) im Gespräch, doch auch dieser Ansatz überzeugt nicht wirklich.

Audi hat in Sachen Elektromobilität ein 18 Milliarden Euro Investitionsprogramm auf den Weg gebracht, will das Angebot in den nächsten vier Jahren auf über 20 Stromer ausbauen und möchte ab 2026 kein komplett neues Modell mit Verbrennungsmotor mehr präsentieren. Mit dieser Strategie soll das Unternehmen bis 2030 auf drei Millionen Einheiten wachsen und eine Rendite von langfristig mehr als elf Prozent erwirtschaften. Analog zu BMW, Mercedes und Jaguar wollen die Ingolstädter sich verstärkt in der Mittel- und Oberklasse festsetzen. Deshalb gesellt sich beispielsweise zum nächsten Q8 ein Sportback-Derivat, ist ein fetter Q10 als Schwestermodell des Porsche K1 in Planung und wird vom A8-Nachfolger und dem A10 (der zumindest in China Horch heißen könnte) eine größere Breitenwirkung und damit mehr Volumen erwartet.

Die Differenzierung innerhalb der Oberklasse gestaltet sich auch für Audi schwierig, denn die Display-Inflation ist als Aha-Effekt ebenso passé wie der den Fahrer irritierende Funktions-Overkill und jede Art von ostentativem Luxus. Innovative Software-Lösungen, fortschrittliche Digitalisierung und voll autonomes Fahren sind momentan leider keine echten Optionen. Weil sich auch Design, Materialitäten und Fahreigenschaften nur bedingt als Unterscheidungsmerkmale innerhalb einer klar definierten Markenwelt eignen, sollen die beiden Sphären mit Hilfe maßgeschneiderter Pouch- und Rundzellen sowie einem schwerpunkt-optimierten Batterie-Management- System (BMS) samt integrierter Kühlung eigene Kreise ziehen. Konkret geht es um die Ausbaustufen drei und vier (fünf ist Porsche vorbehalten) der E-Offensive, die gestaffelt deutlich mehr Power und Drehmoment, kürzere Ladezeiten und längere Reichweiten versprechen.

Audi beschäftigt rund 11.000 Entwickler, aber es fehlt an IT-Spezialisten, an der ordnenden Hand im Zusammenspiel mit den anderen Konzernmarken und an genug Aufträgen für die vielen Mitarbeiter, die aus Altersgründen oder mangels Befähigung für die neue Elektro-Ära nur bedingt infrage kommen. Deshalb konterkarieren unterschwellige Angst und Frust den aufkeimenden Optimismus und die verhaltene Aufbruchstimmung. Jetzt rächt sich zum wiederholten Mal, dass die Firma schon lange vor Duesmann den Ausverkauf essenzieller Inhalte und Werte zugelassen hat, durchaus vorhandene Innovationen nicht umsetzen konnte, Entscheidungsschwäche zum Unternehmensprinzip erhoben wurde und glänzende Ergebnisse lange Zeit die eklatante Führungsschwäche kaschierten.

Auch die aktuellen Zahlen geben nur wenig Grund zur Besorgnis, aber hinter den Kulissen brodelt es. Warum? Weil Audi, satt vom Erfolg, innerhalb des Konzerns sämtliche Brückenkopf-Systemführerschaften an VW oder Porsche verzockt hat. Weil die zunehmend digitale Customer Journey immer noch primär von tradierten Werten wie Top-Design, hoher Leistung und Premium-Qualität bestimmt wird. Und weil nach dem Cariad-Tiefschlag und dem drohenden China-Drama erst einmal die Sparfüchse das Sagen haben. Was die Marke jetzt braucht, ist nicht die fünfte A3-Generation, der sechste A6, einen späten Q2-Schnellschuß für Fernost und noch ein Sportback-Derivat. Was fehlt, ist statt dessen ein rundum überzeugender Metro-Cruiser, der längst überfällige R next Sportwagen, bewährte Emotionsgaranten wie Coupé und Cabrio, gerne auch der kontroverse Pick-Up, vielleicht sogar eine Münch Mammut TT-Neuinterpretation von Ducati.

Den Vorsprung durch Technik werden sie vermutlich wiederherstellen, doch zur Neuerfindung des großen Ganzen fehlt offensichtlich der Mut - und vielleicht sogar die Visionen.

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau Audi 2022 bis 2024